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Aufarbeitung in Karlsruhe

Experte spricht: Keiner urteilte so hart gegen Homosexuelle wie das Oberlandesgericht in der NS-Zeit

In der Zeit des Nationalsozialismuses war Karlsruhe eine Hochburg der Verfolgung von homosexuellen Menschen. Ein Experte fällt ein vernichtendes Urteil.

Neues Ständehaus
Aufarbeitung in Karlsruhe: Arbeit an der Gedenkkultur fand im Karlsruher Ständehaus statt. Dort wurde am Freitag über die Verfolgung homosexueller Menschen in der NS-Zeit gesprochen und informiert. Foto: Annette Borchardt-Wenzel

„Karlsruher Gedenkkultur ist fester Bestandteil des bürgerlichen Engagements“, so OB Frank Mentrup (SPD) am Freitagabend in seiner Begrüßung bei der Gedenkveranstaltung der Stadt Karlsruhe zum 27. Januar.

Der „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ beleuchtete dieses Jahr „Die Verfolgung von Homosexuellen in der Zeit des Nationalsozialismus in Karlsruhe“, so der Titel des Vortrags des Historikers Christian Könne aus Pforzheim.

Mentrup verwies auf „die Gedenkarbeit der Stadt“. Wichtig sei der lokale Bezug als Ansatz der Vermittlung, aber auch, „um Lehren für die Gegenwart abzuleiten“, so Mentrup. Umrahmt und eingeleitet wurde die Veranstaltung im gut besuchten Ständehaussaal vom Holzbläsertrio des Busch Kollegiums.

Im 19. Jahrhundert wurden homosexuelle Handlungen noch verfolgt

Christian Könne ist Lehrer und forscht seit vielen Jahren an der Geschichte der LSBTI – Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen – in Region Rhein-Neckar. Die Verfolgung Homosexueller sei erst 1985 in der Rede zum 8. Mai 1945 von Bundespräsident Richard von Weizsäcker erstmals erwähnt worden.

Bereits im 19. Jahrhundert habe es in Deutschland eine – die erste weltweit – Homosexuellen-Bewegung gegeben, als der jüdische Arzt Magnus Hirschfeld 1897 das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee gründete und sich für die Abschaffung des Paragraphen 175 einsetzte, der „homosexuelle Taten von Männern“ unter Strafe stellte.

Regelmäßige Treffen in der Karlsruher Hirschstraße

Auch in Karlsruhe habe diese Emanzipationsbewegung Unterstützer – 15 Personen „von hohem Stand“ unterzeichneten die Petition – gehabt und als 1919 mit Beginn der Weimarer Republik die Zensur fiel, konnte die Zeitschrift „Die Freundschaft“ erscheinen, die als Sprachrohr für die sogenannten „Freundschaftsbünde“ fungierte.

In der Karlsruher Hirschstraße 20a trafen sich die Bündler im Gasthaus „Prinz Wilhelm“, wie eine Anzeige verrate. Dennoch konnte auch während der Weimarer Republik Homosexualität zu Anklagen führen und den Arbeitsplatz gefährden.

„Keiner verurteilte so hart wie Karlsruhe“
Christian Könne

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten verschärften sich ab 1935 der Paragraph 175 und die Verfolgungen – vornehmlich für Männer, bei denen bereits „ein falscher Blick als ideeller Koitus“ ausreichte. Obwohl keine Paragraphen für lesbische Frauen existierten, seien sie verfolgt worden.

Das Institut für Sexualwissenschaft wurde geschlossen, entsprechende Bücher aus Bibliotheken entfernt, die Freundschaftsbünde aufgelöst und Begriffe wie „Volks- und Staatsfeinde“ wurden propagiert. 1937 kam es zu 337 Anklagen beim Oberlandesgericht in Karlsruhe.

Ohne Aktenarbeit geht es nicht

Könne stützte sich bei der Recherche wegen Corona hauptsächlich auf Zeitungsarchive, die online zugänglich waren.

Wo vorher Geldstrafen verhängt wurden, wird nun Gefängnisstrafe, Konzentrationslager oder sogar Todesstrafe verhängt. „Keiner verurteilte so hart wie Karlsruhe“, so die Einschätzung des Historikers. 18 Verurteilte „wegen widernatürlicher Unzucht“ kamen direkt aus der Stadt.

In seiner weiteren Forschung konzentriere er sich darauf, auch ein verfolgtes Frauenpaar finden, was bisher aber nicht gelungen sei. In den Akten der Psychiatrie hoffe er, fündig zu werden, erklärte Könne. Mit einer Fragerunde, die gut angenommen wurde, fand der Abend seinen Abschluss.

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