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Corona verhindert 60. Fahrt

Fünf Jahre Critical Mass in Karlsruhe: Aktive sehen Stillstand statt Verkehrswende

Mehr Platz fürs Rad: Was der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) seit 2019 fordert, dafür treten in Karlsruhe schon seit fünf Jahren verkehrspolitisch engagierte Bürger in die Pedale. Mit gemeinsamen Ausfahrten am letzten Freitag jedes Monats seit März 2015 wollen sie eine kritische Masse sein. So heißt ihre internationale Bewegung auch auf englisch: Critical Mass.

Ein Bild aus frühen Tagen: Im Juni 2016 rollen Karlsruher Radler bei einer Critical-Mass-Ausfahrt über die Herrenalber Straße. Einige Teilnehmer tragen signalfarbene Westen, sie begleiten und ordnen das Geschehen bei Bedarf. Schon damals eskortiert Polizei die Gruppe. Dahinter staut sich der Autoverkehr.
Ein Bild aus frühen Tagen: Im Juni 2016 rollen Karlsruher Radler bei einer Critical-Mass-Ausfahrt über die Herrenalber Straße. Einige Teilnehmer tragen signalfarbene Westen, sie begleiten und ordnen das Geschehen bei Bedarf. Schon damals eskortiert Polizei die Gruppe. Dahinter staut sich der Autoverkehr. Foto: jodo

In der Chemie ist die „kritische Masse“ eine kleine Menge einer Substanz, die viel auslöst, etwa Flüssigkeit überschäumen lässt. So wie Hefe einen Teig aufgehen lässt, so wollen die nicht formal organisierten, aber höchst aktiven Radfahrer erreichen, dass sie im Stadtverkehr nicht länger im Schatten von Autos und Lkw stehen.

Die 60. Critical Mass ist vertagt

Rund 8.700 Fahrtteilnehmer zählen die Organisatoren bisher. Nach 644 Aktiven im Startjahr bringt im Sommer 2016 eine Ausfahrt über die Herrenalber Straße die 1.000 Teilnahme. 2017 kommen insgesamt rund 1.300 Teilnehmer, mehr als 2.000 sind es im Jahr 2018 und schon 3.500 Radler 2019.Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Radfahrer sich wieder am Kronenplatz treffen, um 18 Uhr starten und eine Runde durch die Stadt drehen. Die Critical-Mass-Ausfahrt Ende März ist wegen des Coronavirus vertagt. Doch sie wird die 60. in der Fächerstadt sein. Die runde Zahl ist für die Aktiven gerade kein Grund zu feiern. Ein Programm mit kritischem Rückblick ist vorbereitet.

Zur Premiere gehen 160 Radler an den Start. Der Dezembertermin ist fast eine Nullnummer, aber seither gibt es keine Winterpause mehr. Im September 2019 rollen mehr als 700 Radler gleichzeitig an – das ist vorläufiger Rekord.

Von Anfang an sind Christa Walter und der Karlsruher ADFC-Vorsitzende Ulrich Eilmann bei der Critical Mass dabei. „Fünf Jahre sind zu lang“, betont Walter, die bei jedem Wetter zu den Ausfahrten kommt. Ihre Packtaschen stecken voller Warnwesten mit Logo, Info-Material und Plakaten für Teilnehmer. Darauf stehen Slogans wie „Fahrradlust statt Dieselfrust“, „Das Klima kippt – handelt!“ oder „Verkehrsfläche gerecht verteilen“.

Bahngleise erfordern besondere Planung

Die vielen Bahngleise in der Stadt fordern mehr Planung von den Critical-Mass-Akteuren in Karlsruhe als in anderen Städten. Unter anderem deshalb melden die Karlsruher seit 2016 an, wohin ihre Radausfahrten jeweils führen.

Neben eigenen Ordnern hält seither auch Polizei den Radfahrern den Rücken frei. Obwohl das Verkehrsrecht Radlern in Gruppen erlaubt, im Verband zu rollen und nicht einzeln hintereinander, und trotz Demonstrationsfreiheit brauchen die Menschen, die gegen Auto-Privilegien und für eine Verkehrswende ausradeln, diesen Schutz.

„Bevor uns die Polizei begleitet hat, sind manche aus Angst nicht mitgefahren“, erzählt Christa Walter. Mehrfach steuern Autofahrer laut hupend auf die Gruppe zu. Einmal lenkt ein Autofahrer seinen Pkw quer durch den Pulk. „Alle Radfahrer haben zum Glück sofort gebremst. Kaum zu glauben, dass da nichts passiert ist“, erinnert sich Eilmann.

Auch ihn bedrängt, als er das Feld von hinten beobachtet, einmal ein Pkw-Fahrer. Ein wütender Autofahrer rammt bei einer Ausfahrt einen Fahrradanhänger.

„Ich war Zeuge, aber der Geschädigte wollte die Mühe einer Anzeige nicht auf sich nehmen“, erzählt der ADFC-Vorsitzende. Er bedauert das. Die Behörde habe, so beurteilt er die Lage, grundsätzlich überall im Stadtgebiet Interesse, zugunsten von Fußgängern und Radfahrern einzuschreiten, auch wenn zum Beispiel eine Kreuzung wild zugeparkt sei und dies Gefahren mit sich bringe.

Scheuen sich Radfahrer, Geltung der Gesetze einzufordern?

„Ich würde mir wünschen, dass man nach fünf Jahren Critical Mass nicht immer noch wegen jeder Kleinigkeit betteln muss,“ sagt Eilmann. Er findet, Radfahrer hätten „Scheu, die Anwendung geltender Gesetze einzufordern – es ist halt auch mühsam.“ Jeder könne Anzeige erstatten, indem er einen Missstand fotografiere und das Bild mit Beschreibung des Sachverhalts ans Bürger- und Ordnungsamt schicke – etwa die oft zugeparkte neue Radroute 15 vom Durlacher Tor stadtauswärts.

Folgenloses Anprangern von Verstößen im Internet dagegen lehnt Eilmann ab: „Das ist populistisches Gezänke.“

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