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Forschung auch in Karlsruhe

Gefährlich frühe Blüte: Der Klimawandel löst die Jahreszeiten auf – mit bedrohlichen Folgen

Krokusse blühen, Bienen sind an Januar-Tagen unterwegs. Das Verschwimmen der Jahreszeiten birgt auch für Obstbauern große Risiken. Forschung dazu gibt es auch in Karlsruhe. Eine Züchtung namens „Mammut“ könnte helfen.

Sogar die Schneeglöckchen haben in diesem ungewöhnlich warmen Winter einen viel früheren Auftritt.
Sogar die Schneeglöckchen haben in diesem ungewöhnlich warmen Winter einen viel früheren Auftritt. Foto: Monika Zeindler-Efler

Hobby-Gärtner und Ausflügler schwanken aktuell zwischen Staunen und Gruseln. „Gerät die Natur komplett aus dem Gleichgewicht?“, fragen sie sich.

Amseln singen, als ob sie schon bald ihr Nest flechten wollten. Flauschige Weidenkätzchen sind bereits geöffnet. Krokusse blühen in diesen ersten Januarwochen – in den Vorjahren reckten sie ihre Köpfe erst Mitte Februar oder sogar im März ins Licht. Zierquitten tragen knallrote Blüten. Sogar die Schneeglöckchen sind etliche Wochen früher dran als in „normalen“ Jahren.

Alle zehn Jahre rückt die Weinernte eine Woche nach vorne.
Peter Nick, Biologie-Professor am KIT

„Das Problem der verschwimmenden Jahreszeiten-Grenzen ist ein Phänomen des Klimawandels, das noch relativ selten thematisiert wird“, meint Peter Nick, Botanik-Professor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). „Vor allem für den Obst- und Weinbau ist es ein Problem.“

Die sorgenvollen öffentlichen Diskussionen kreisten meist um Hitze und Trockenheit. Dabei beobachteten Forscher schon lange: „Alle zehn Jahre rückt die Weinernte eine Woche nach vorne.“

Ein Schmetterling zu Silvester: Bei Rekordtemperaturen von über 20 Grad waren zum Jahreswechsel schon ungewöhnlich viele Insekten unterwegs. Dieses Exemplar flog einen Duftschneeball an, einen typischen Winterblüher. Doch insgesamt ist das Nahrungsangebot noch sehr knapp.
Ein Schmetterling zu Silvester: Bei Rekordtemperaturen von über 20 Grad waren zum Jahreswechsel schon ungewöhnlich viele Insekten unterwegs. Foto: Monika Zeindler-Efler

Laien fallen die Wetter-Kapriolen vor allem dann auf, wenn der Rhododendron im eigenen Garten wenige Wochen vor Weihnachten blüht. Oder wenn der Fliederstrauch fast keine Erholungsphase mehr hat: Einzelne Sträucher trieben im ungewöhnlich warmen November und Dezember nochmal Blüten aus – jetzt im Januar tragen sie schon wieder zarte grüne Blätter.

Frische Flieder-Blätter im Januar: Scheintod-Hormon wirkt bei Wärme nicht

Wie viel Kraft kostet dieser Ausnahmewinter die Pflanzen? „Pauschal kann man die Frage nicht beantworten“, betont Nick. Generell entspreche der frühe Austrieb von Blumen, Bäumen und Sträuchern einem Naturgesetz. „Wenn Pflanzen wachsen können, dann wachsen sie auch“, sagt der Biologe. „Im Süden blühen die Pflanzen ja auch schon im Januar.“

Ein „Scheintod-Hormon“ namens Abscisinsäure sorgt bei Kälte in der Herbst- und Wintersaison dafür, dass Pflanzen das Wachstum einstellen und Knospen und Samen ruhen. Bei Wärmeeinbrüchen erwacht das Grün jedoch. „Die Pflanze misst die Tageslänge und die Temperatur“, erklärt Nick. Eine kurze Winterruhe ist demnach nicht per se ein Problem. Frost im Frühjahr aber sehr wohl.

Wenn Blüten und junge Blätter erfrieren, geht auch die Energie flöten, die in den frühen Wachstumsschub geflossen ist – und bei Obstkulturen kann die Ernte im Sommer ausfallen. „Man müsste schauen, dass man mehr spätblühende Sorten anbaut“, sagt der Botaniker. „Aber einen Obstgarten legt man nicht alle zehn Jahre neu an.“

Je früher etwas blüht, desto größer ist das Risiko bei Frost.
Hermann Meschenmoser, Obsthof-Leiter am LTZ

Wie man Obstplantagen in Zeiten des Klimawandels am besten umgestaltet, erforscht Hermann Meschenmoser im Landwirtschaftlichen Technologiezentrum Augustenberg (LTZ) in Karlsruhe. Pfirsichbäume seien durch diesen ungewöhnlich milden Winter besonders gefährdet. „Die können sogar Ende Februar zum Blühen kommen“, sagt der Leiter des LTZ-Obsthofes. „Je früher etwas blüht, desto größer ist das Risiko bei Frost.“

Und im Schnitt stünden die Obstbäume heutzutage ohnehin rund zwei Wochen früher in der Blüte als vor 30 Jahren, beobachtet Meschenmoser. Und in der ersten Januarwoche dieses Jahres sei es mit durchschnittlich Tages- und Nacht-Temperaturen von 10,9 Grad ungewöhnlich warm gewesen.

Der Hoffnungsträger: Ein Apfel namens „Mammut“

Fast keine Ruhepause für den Flieder: Im Dezember trugen manche Sträucher noch neue Blüten, jetzt im Januar treiben sie schon wieder frische Blätter aus.
Fast keine Ruhepause für den Flieder: Im Dezember trugen manche Sträucher neue Blüten. Foto: Elvira Weisenburger

Selbst wenn Spätfrost erst zuschlägt, wenn ein Baum schon zarte Früchte ausgebildet hat, ist die Gefahr des Ernteausfalls nicht gebannt. „Die kleinen Früchte sind noch empfindlicher als die Blüte“, sagt der Agrar-Experte. „Sie fallen bei Frost ab.“ Entscheidend sei allerdings, ob Kälteeinbrüche im Frühjahr die kritische Grenze von minus fünf Grad unterschreiten. Und es gibt einen Hoffnungsträger namens „Mammut“. „Das ist eine Apfelsorte, die später blüht und sehr frosthart ist“, erklärt Meschenmoser.

Seit zwei Jahren testet er das Mammut aus deutscher Züchtung am LTZ. Obstbauern seien da durchaus experimentierfreudig, erzählt er – und der Klimawandel lasse ihnen auch kaum eine Wahl. Hagel, Frühblüte und Frostgefahr, Hitze und Trockenheit: „Das Risiko wird immer größer und die Preise für Obst werden nicht besser.“

Frost-Schutz-Beregnung schluckt ungeheure Wassermengen

Neben dem Sorten-Umbau gibt es andere erprobte Methoden gegen späten Frost. Erstens: Kleine Feuer in der Plantage. Zweitens: Frostschutz-Beregnung. Dabei werden die Bäume mit feinen Wassertröpfchen besprenkelt, schon bevor die Temperatur in den Minusbereich rutscht.

Bei der Eisbildung entsteht dann Kristallisationswärme – und die Pflanze bleibt unter der Eisschicht unversehrt. Nicht jeder Standort kann da aber aus dem Vollen schöpfen. „Wir haben 15 Hektar. Da bräuchten wir pro Stunde eine Million Liter Wasser“, betont Meschenmoser. „Das sind die Probleme der Bauern.“

Im Sommer droht Obstbäumen der Sonnenbrand: Hilft ein Solarzellen-Dach?

Und im Hitzesommer drohen neue Strapazen: Auch Obstbäume können an Sonnenbrand leiden. Der Versuchshof Augustenberg bereitet gerade ein neues Großexperiment vor. Verschiedene Photovoltaik-Anlagen sollen als schützende Dächer über Obstbäumen errichtet werden.

Wie viel Gießwasser spart man durch diese Schattenspender? Wie lichtdurchlässig müssen die Solarmodule sein, damit die Bäume noch Blüten bilden? Solche Fragen wollen Meschenmoser und sein Team beantworten.

Die Winterlinge passen zwar namentlich zur Jahreszeit, doch üblicherweise blühen sie eher im Februar als im Januar.
Die Winterlinge passen zwar namentlich zur Jahreszeit, doch üblicherweise blühen sie eher im Februar als im Januar. Foto: Monika Zeindler-Efler

Auch für Insekten- und Vogelkundler werfen die ungewöhnlich warmen Wintertemperaturen quälende Frage auf. Am Silvestertag mit Rekord-Temperaturen über 20 Grad schwirrten in der Rheinebene schon viele Bienen herum, vereinzelt sogar Schmetterlinge. Doch das Nahrungsangebot ist noch spärlich.

NABU warnt vor Auswirkungen auf Vogelwelt

„Ökologische Zusammenhänge und bislang vertraute Tier- sowie Pflanzengemeinschaften werden tüchtig durcheinandergewirbelt“, teilte der Naturschutzbund Deutschland (NABU) sorgenvoll mit. Wenn Krokusse und Winterlinge im Januar statt im Februar blühen, hat das teils harte Folgen: „Das frühe Austreiben kann dafür sorgen, dass der Blühzeitpunkt von Pflanzen nicht mehr mit dem Flugzeitpunkt von Insekten übereinstimmt“, erklärte NABU-Gartenexpertin Aniela Arnold.

NABU-Ornithologe Stefan Bosch verweist in einer Mitteilung auf ein gravierend verändertes Brut- und Zugverhalten der Vögel durch den Klimawandel: „Blaumeisen, Sumpfmeisen und Kleiber balzen und brüten früher im Jahr, was zur Folge hat, dass den Nestlingen nicht das Nahrungsoptimum zur Verfügung steht.“

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