Quer durch die riesige Halle zieht sich ein weiß-rotes Absperrband. Mehr als 100 Jahre hat das Bauwerk mit dem markanten denkmalgeschützten „Sägezahndach“ auf dem Buckel.
Die Statik macht an der ein oder anderen Stelle Sorgen. Gedämmt ist nichts, die Technik längst nicht mehr auf dem Stand der gesetzlichen Anforderungen. Die Halle ist das Herzstück des Areals der ehemaligen Tabak-Fabrik Rotag in Grünwinkel.
Die Stadt Karlsruhe möchte es in den nächsten Jahren zu einem „lebendigen Quartier“ entwickeln. Einen Plan dafür gibt es nicht, aber erste Ideen.
Baubürgermeister Fluhrer schwärmt vom Potenzial des Areals
„Wir wollen den Charme erhalten“, gibt Baubürgermeister Daniel Fluhrer (parteilos) am späten Donnerstagabend vor. Dann lässt er seine Gedanken schweifen. Er schwärmt vom Potenzial des Gewerbeareals, das ein „Schlüsselgelände“ sei. Man wolle „Spuren des Alten zelebrieren und mit Neuem verbinden“.
Mehrwert für Grünwinkel, die Stadt, ja sogar die ganze Region solle hier entstehen. Fluhrer lässt Schlagworte fallen: Handwerkskunst, Gastronomie, Tanzflächen am Abend. Doch der Weg dorthin ist ebenso lang wie die Sanierungsliste. Wie sich die Stadt die Finanzierung des Projekts vorstellt, machen Fluhrer und Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD) zum Abschluss eines ganztägigen Leitbild-Workshops klar. Parzellierung lautet das Motto.
„Wir brauchen auf der einen Seite Einnahmen, um auf der anderen vergünstige Angebote machen zu können“, sagt das Stadtoberhaupt. In Fluhrers Worten: „Wir müssen ein paar Prinzessinnen und Prinzen finden, um das Areal aus dem Dornröschenschlaf zu wecken.“ Zahlungskräftige Mieter sollen im Laufe der Zeit aber nicht jene mit weniger finanziellen Möglichkeiten verdrängen, verspricht er.
OB Mentrup macht Künstlern und Musikern Hoffnung
Begehrliche Blicke richten ob der Karlsruher Flächenknappheit viele Interessenten auf das Gelände – nicht jeder davon hat tiefe Taschen. Künstler und Musiker hoffen beispielsweise auf neue Ateliers und Proberäume. Die Karlsruher Liste (KAL) hatte das Areal Anfang 2021 dafür ins Spiel gebracht, im Gemeinderat fand die Idee viel Zustimmung.
Konkreter ist der Gedanke bis heute nicht. Fluhrer und Mentrup machen aber Hoffnung auf baldige, zeitlich befristete Nutzungen. Man werde mit Interessenten sprechen, sagt der Rathauschef. Fluhrer bringt beispielsweise Menschen ins Spiel, die durch ihr Handwerk zur Sanierung der Gebäude beitragen können. Gleichzeitig dämpft er die Erwartungen ein wenig. Man müsse zahlreiche Rechtsvorschriften beachten, beispielsweise zum Brandschutz oder aus der Arbeitsstättenrichtlinie.
Erinnerung an Umgestaltung des Alten Schlachthofs
Mehr Vorlauf brauchen zahlreiche Ideen aus der Leitbild-Entwicklung, die eine Vision für die Zukunft in bis zu 15 Jahren aufzeigen. Sie sind auf vielen kleinen Zetteln zu finden, die auf verschiedene Aufsteller geklebt sind. „Kita“ steht auf einem. „Markthalle“ und „Einzelhandel“ auf anderen. Für diesen Herbst kündigt Mentrup den nächsten Schritt an. Dann ist eine Planungswerkstatt vorgesehen.
Ein zweiter Schlachthof wird es nicht.Daniel Fluhrer, Baubürgermeister
Eigentümer des Areals ist die städtische Fächer Gesellschaft, die im Alten Schlachthof bereits Erfahrung mit der Umwandlung alter Industrie-Areale gesammelt hat. „Ein zweiter Schlachthof wird es nicht“, stellt Fluhrer klar. „Aber wie dort wird es seine Zeit brauchen. Es ist kein Projekt von heute auf morgen.“
Die ältesten Gebäude auf dem Rotag-Areal, die Sheddach-Halle und eine Direktorenvilla, stammen aus dem Jahr 1910. Die Karlsruher Bau- und Kunsttischlerei Billing & Zoller ließ sie damals errichten. In den 1930er Jahren ging die Firma pleite. Das Gelände wurde von der Rohtabak-Vergärungs-AG (Rotag) übernommen und bis 1999 stückweise erweitert.
2018 verlagerte das Unternehmen die Rohtabak-Verarbeitung nach Südfrankreich. Ein Jahr später kaufte die Stadt das Areal. Bis Ende 2021 blieb der Rotag-Mutterkonzern Alliance One International aber als Mieter vor Ort.