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44. Ausgabe

„Hercules“-Premiere: So war die Eröffnung der Händel-Festspiele in Karlsruhe

Nach der Absage der Händelfestspiele im Jahr 2021 konnte nun die 44. Ausgabe der beliebten Festspiele im Badischen Staatstheater eröffnet werden.

Szene aus der Oper „Hercules“ bei den Karlsruher Händel-Festspielen 2022. Im Bild: Händel-Festspielchor, Statisterie
Dynamik und Dramatik sind Stilmittel der Inszenierungen von Floris Visser, der mit „Hercules“ zum zweiten Mal eine Händel-Oper in Karlsruhe inszeniert. Foto: Falk von Traubenberg

Eigentlich hätte das Oratorium „Hercules“ schon letztes Jahr über die Bühne gehen sollen, aber durch die Absage der Händelfestspiele 2021 musste sich das Karlsruher Publikum in Geduld üben.

Vor der Premiere konnte man im belebten Foyer schon Vorfreude und eine gewisse Aufbruchsstimmung spüren, die sich dann nach über vier Stunden packendem Musiktheater in kräftigem, lange anhaltendem Applaus entlud. „Hercules“ als echtes „Musical Drama“, mit aufgerauter Klanggebung im Orchestergraben und starken, oft auch beklemmenden Bildern auf der Bühne.

Man konnte dem Interims-Intendanten Ulrich Peters, der nun gemeinsam mit Operndirektorin Nicole Braunger die Händelfestspiele verantwortet, schon bei seiner Begrüßung auf der Bühne im ausverkauften Badischen Staatstheater die Erleichterung anmerken, dass die aufwändige Produktion ohne Krankheitsfälle einstudiert werden konnte.

Staatssekretärin Olschowski zu Gast in Karlsruhe

„Endlich wieder Händel in Karlsruhe“ – darüber freut sich auch Petra Olschowski, Staatssekretärin im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg. Für Frank Mentrup fühlen sich die diesjährigen Händelfestspiele wie ein Neustart des Theaters an. Die überregionale Ausstrahlung des Festivals gefällt dem Oberbürgermeister der Stadt.

Mit Händels wenig gespieltem Oratorium „Hercules“, das bei der Uraufführung am 5. Januar 1745 im Londoner King’s Theatre durchfiel, haben sich Dirigent Lars Ulrik Mortensen und Regisseur Floris Visser einen echten Brocken vorgenommen.

Musikalisch überaus reich – mit einem farbigen Orchesterpart, komplexen Chören und ausschweifenden Arien, darunter einer effektvollen Wahnsinns-Szene – ist die sparsame Handlung zudem wenig plausibel.

Dejanira wartet auf ihren Gatten Hercules, der vom Krieg Iole, die Tochter der feindlichen Königs, mit nach Hause bringt. Dejanira wird krankhaft eifersüchtig und versucht, ihr eheliches Liebesleben mit dem Blut eines Zentauren, der sich einst an ihr vergehen wollten, neu zu beleben. Hercules stirbt aber durch den blutgetränkten Mantel – und landet als Adlergestirn am Firmament. Sohn Hyllus heiratet abschließend Iole. Und das Volk jubelt.

Der niederländische Regisseur Florian Visser erzählt die Geschichte als erschütterndes Familiendrama in den frühen 50er Jahren - und stellt dabei Dejanira in den Mittelpunkt. Sie leidet in ihrer Ehe mit Hercules, der nicht nur ganz offensichtlich ein Verhältnis mit der jungen Königstochter hat, sondern auch jede Kommunikation scheut und gewalttätig wird. Aus Verzweiflung vergiftet sie ihren tyrannischen Gatten, wird aber durch die Tat wahnsinnig und von Soldaten in eine Zwangsjacke gesteckt.

Am Ende steht Dejanira vor Gericht. Visser erzählt diese Geschichte auf der häufig aktivierten Drehbühne, die das Wohnzimmer, Schlafzimmer und einen repräsentativen Raum einer Villa zeigen (Bühne und Kostüme: Gideon Davey), mit Rückblicken und Visionen, mit Traumbildern und genau beobachteten Alltagssituationen.

Geradezu filmisch schneidet er die einzelnen Bilder zu einer aufwühlenden Story zusammen, arbeitet mit Zeitlupen und Lichtwechseln, zoomt Szenen heran und geht wieder in die Totale. Nur im letzten Akt verliert er in seiner hohen Regiekunst das richtige Maß.

Hohe, dynamiche Bandbreite und Affektgehalt

Um die Geschichte mit Emotionen zu füllen, braucht man die Musik. Vom Cembalo aus macht Dirigent Lars Ulrik Mortensen aus den Deutschen Händel-Solisten einen mal zupackenden, mal sanft säuselnden Klangkörper. Die dynamische Bandbreite ist hoch, der Affektgehalt ebenfalls. Die Seufzer der Streicher sind ganz nah an den Emotionen der Protagonisten. Vor allem ist Mortensen nah bei den Solisten, denen er alle Freiheit schenkt.

Ann Hallenberg ist mit ihrem dunkel grundierten Mezzo, ihrem immer wieder aufflackernden dramatischen Potential und auch ihrer darstellerischen Wucht eine ideale Besetzung für diese von Eifersucht zerrissene Dejanira. Die Begegnungen mit Hercules (mit beängstigender Präsenz und kernigem Bariton: Brandon Cedel) sind Szenen einer Ehe, die man nicht erleben möchte.

Und wenn sie im 3. Akt in der großen Arie „Where shall I fly“ den Verstand verliert, befeuert von ruppig hervorschießenden Streichergesten, dann kulminieren die Emotionen. Lauren Lodge-Campbell verleiht mit ihrem schlanken, beweglichen, gelegentlich etwas dünnen Sopran der von Vater und Sohn begehrten Iole Koketterie, aber auch tiefe Emotionalität, wenn sie, mit der Urne in der Hand, um ihren von Hercules getöteten Vater weint.

Moritz Kallenberg ist ein mit warmem Timbre und ganz runden Melodiephrasen schmachtender Hyllus, der nach vielen Verletzungen am Ende doch noch seine Iole bekommt. James Hall (Lichas) komplettiert mit seinem tragfähigen Altus das spielfreudige Solistenensemble.

Gewalt wird als Unterhaltung zelebriert

Regisseur Floris Visser schafft verstörende Bilder, wenn zu den Triumphklängen des Chores die gefangenen Frauen misshandelt werden. Mitten in der feinen Gesellschaft wird Gewalt als Unterhaltung zelebriert. Im von Dissonanzen geschärften „Jealousy! Infernal pest“ verwandelt sich der klangschöne, expressive, auch darstellerisch starke, nur in den Männerstimmen gelegentlich schleppende Händel-Festspielchor (Leitung: Marius Zachmann) zur bedrohlichen Masse. Zum leuchtenden Schlussjubel des Chores wird im Gerichtssaal ausgelassen gesteppt.

Dieser überraschende Stimmungswechsel nimmt viel von der Fokussierung, zumal am Ende Ann Hallenberg als Dejanira schreiend die Szenerie verlässt. Aber Wahnsinn erklärt auch nicht alles.

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