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Sorge um Afghanistan

Hakim Ludin: „Wem sollen die Menschen nun noch vertrauen“

Zwei gebürtige Afghanen aus Karlsruhe nehmen Stellung zur derzeitigen Situation im Krisengebiet. Sie machen sich große Sorgen um ihre Angehörigen in Afghanistan.

Hakim Ludin spricht über die Situation in Afghanistan.
Wenig Kontakt: Hakim Ludin ist in Sorge um seine Verwandtschaft in Afghanistan. Seine Cousins und Cousinen pflegen nur notdürftig den Kontakt zu ihm, aus Angst vor der Verfolgung der Taliban. Foto: Jörg Donecker

Als Hakim Ludin sieht, wie es um sein Heimatland Afghanistan steht, ist er nur noch verzweifelt. Er ist in Schockstarre. Seine Verwandtschaft wohnt in der Hauptstadt Kabul und sitzt dort fest. „Ich habe geweint, als ich die Bilder von den Menschen in Afghanistan sah. Junge Leute halten sich verzweifelt an Flugzeugen fest, einfach um wegzukommen.“

Der gebürtige Afghane pflegt nur notdürftig den Kontakt zu seinen Cousins und Cousinen. „Meine Verwandten haben Angst, mit mir zu telefonieren“, sagt er. Angst, etwas Falsches zu sagen. Angst vor der Verfolgung durch die Taliban.

Ludin ist 1955 in Kabul geboren. Deutsch lernt er in Afghanistan. 1975 zieht er nach Deutschland. Sein Plan: in Europa studieren, Karriere machen und das Know-how zurück in sein Heimatland bringen. Sein Vater habe damals 60.000 Afghani als Startguthaben für sein neues Leben in Europa zusammengespart, erzählt er. Umgerechnet sind das knapp 600 Euro.

Musiker macht Karriere in Deutschland

Eigentlich hätte Ludin Ingenieur werden sollen. Stattdessen entdeckt er seine Leidenschaft für Musik und schreibt sich an der Musikhochschule in Karlsruhe ein. Er studiert Orchestermusik und lernt Schlagzeugspielen. Hakim Ludin macht Karriere und geht sogar mit dem Sänger Peter Maffay auf Tour. Der Karlsruher startet durch, so wie es sein Vater wollte.

Wem sollen die Menschen denn nun noch vertrauen?
Hakim Ludin, Musiker

Ludin konnte zuvor eine deutsche Schule in Afghanistan besuchen, Freunde treffen, Basketball spielen. In Freiheit leben. Der Vormarsch der Taliban in den Präsidentenpalast droht nun, künftigen Generationen solche Chancen zu verwehren. „Es ist eine beunruhigende Situation. Die Machtverhältnisse in Afghanistan sind im Ungleichgewicht“, sagt Ludin.

Als der Karlsruher davon hört, dass selbst der Präsident Aschraf Ghani die Flucht vor den Extremisten ergreift, wird er wütend. „Aschraf Ghani ist wie ein Schauspieler, der 20 Jahre lang seine Rolle gespielt hat.“ Ghani habe sein Volk im Stich gelassen und interessiere sich nicht für die Menschen in seinem Land, sagt Ludin und haut mit der flachen Hand auf den Tisch.

Ludin ärgert sich über die politische Naivität des Westens

„Die politische Lage in Afghanistan ist wie ein richtiger Paukenschlag. Ich kann immer noch nicht glauben, was in meiner Heimat passiert.“ Ludin versteht nicht, wie es so weit kommen konnte. Über die politische Naivität des Westens ärgert er sich besonders. „Warum schickt man so viele Gelder nach Afghanistan? Tausende Zivilisten sind schon gestorben und keiner fragt warum.“

Dieben werde die Hand oder der Fuß abgeschlagen, Ehebrecherinnen werden hingerichtet. Die Horrorgeschichten der Taliban, die er in seiner Jugend hört, drohen zur bitteren Realität zu werden. „Die Machtübernahme der Taliban wirft das Land um 1.400 Jahre zurück“, fährt er fort. Hakim Ludin hat Angst um das Volk. „Wem sollen die Menschen denn nun noch vertrauen“, sagt er mit fragendem Blick.

Afghane muss seine Familie zurücklassen

Ludin ist nicht der einzige, der sich Sorgen um seine Heimat macht. Auch ein weiterer befragter Afghane aus Karlsruhe ist zutiefst betroffen. Er möchte seinen Namen nicht in der Zeitung lesen aus Angst, dass seine Aussagen negative Konsequenzen für sich und seine Familie haben könnten. Er arbeitet in Hagsfeld, hat hier eine Ausbildung gemacht.

Bei seiner Flucht im November 2015 musste er seine Verwandten zurücklassen. „Meine Familie weiß nicht, wie es jetzt weiter gehen soll. Das Land wurde von heute auf morgen aufgegeben. Sie können keinem mehr vertrauen“, sagt er.

Betroffener hat große Angst um seine Schwester

Der 22-Jährige ist sprachlos, findet keine Worte, die beschreiben, was in ihm vorgeht. Er macht sich besonders um seine 19-jährige Schwester Sorgen. „In einigen umliegenden Dörfern haben die Taliban früher Frauen entführt. Das waren Mädchen im Alter zwischen zwölf und 15 Jahren. Für eine Zwangsheirat“, erzählt er. Er hat nun Angst, dass seiner kleinen Schwester das gleiche Schicksal droht.

Aschraf Ghani ist wie ein Schauspieler, der 20 Jahre lang seine Rolle gespielt hat.
Hakim Ludin, Musiker

Als er noch vor vier Wochen seine Familie nach sechs Jahren Trennung besucht hatte, hatte er ständig Angst. „Ich bin nicht rausgegangenen und nur von Familienmitglied zu Familienmitglied gefahren. Nachts konnte ich nicht schlafen, aus Angst entdeckt zu werden.“

Der Karlsruher will sich nicht ausmalen, was seinen Eltern oder seiner Schwester passiert, wenn die Taliban herausfinden, dass er nach Deutschland geflohen ist. Dass er womöglich eine neue Glaubensrichtung eingeschlagen hat. Gerade noch rechtzeitig sei er wieder nach Karlsruhe zurückgekommen. „Einerseits war es so schön, meine Familie wiederzusehen. Andererseits war der Besuch eine Zeit der Angst für mich.“

Der Karlsruher ist verzweifelt: „Es ist eine Katastrophe für das ganze Land. Der Terror ist wieder da. Das wirft Afghanistan um Jahre zurück.“ Seiner Familie gehe es den Umständen entsprechend noch gut. „Ich schaue jede Sekunde Nachrichten. Ich hoffe, dass sich die Situation bessert.“

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