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Schauspiel-Star stellt Doku vor

„Herzchen war Karlsruhe“: Lars Eidinger ganz nahbar auf Kinotour in der Schauburg

Lars Eidingers Rollen gehen durch Mark und Bein – vor allem ihm selbst. Das zeigt eine beeindruckende Doku über ihn, die der Schauspieler in Karlsruhe persönlich vorstellte.

Lars Eidinger hält eine Popcorn-Tüte aus dem Publikum im Karlsruher Kino Schauburg hoch.
Der Schauspieler erzählt bei seinem Kinobesuch in Karlsruhe von einem Dreh mit der Band „Deichkind“ am Beispiel einer Popcorn-Tüte aus dem Publikum. Foto: Paul Needham

Eigentlich ist buchstäblich höchste Eisenbahn. Lars Eidinger muss zum Zug, erinnert Matthias Gralla von der Filmwelt Verleihagentur. Weiter nach Stuttgart zur nächsten Station seiner Kino-Tour.

Der Schauspieler aus Berlin hat schon im jeweils ausverkauften kleinen und nochmal im großen Saal der Schauburg in Karlsruhe zugewandt und ausführlich die Fragen vieler Kino-Besucherinnen beantwortet.

Hat sich anschließend am Popcorn-Schalter noch paarmal Durchatmen und ein Wasser gegönnt, weil es ihm die Treppe und die Kronleuchter im Schauburg-Foyer sichtlich angetan haben. Die Zeit wird knapp.

Eidinger reagiert spontan auf die Menschen in Karlsruhe

Trotzdem hält er jetzt nochmal inne: Draußen vor dem Ausgang steht mit ihrer Tochter im Rollstuhl eine Frau mit Filmplakat. Sie ist glühender Fan, sagt sie, fuhr schon oft nach Berlin, um ihn auf der Bühne zu erleben. Eidinger kniet sich zu ihrer Tochter vor den Rollstuhl und spricht eine ganze Weile mit den beiden, signiert das Plakat. Erst dann setzt er sich ins Auto zu Schauburg-Chef Herbert Born, der ihn flugs zum Bahnhof fährt.

Lars Eidinger – der Mann der krassen Rollen im Film und auf der Bühne. Wer ihn einmal erlebt, behält ihn vor Augen. Manchen ist der 47-Jährige mittlerweile fast schon zu präsent. Andere können gar nicht genug kriegen von seinem Spiel – sei es im „Tatort“, sei es in der Serie „Babylon Berlin“ oder in Filmen wie seinem Kinodebüt „Alle anderen“ (2009) von Maren Ade, der ihm den internationalen Durchbruch brachte.

Lars Eidinger steht im kleinen Saal des Karlsruher Kinos Schauburg.
Lars Eidinger besuchte auf seiner Kinotour in der Schauburg beide ausverkauften Säle – zuerst den kleineren. „Schönes Kino, ganz steil!“, bemerkte er. Foto: Paul Needham

„An diesem Film müssen sich viele Angebote messen“, erklärt der leidenschaftliche Schauspieler in dem Dokumentarfilm über ihn selbst. Ein Künstlerporträt, das jetzt in die Kinos kam und nach Eidingers Besuch auch in der Schauburg Premiere feierte.

Film zeigt Lars Eidinger ungeschminkt und verletzlich

„Sein oder nicht sein“, fragt der Film im Untertitel und nimmt Bezug auf Eidingers Lieblingsstück: „Als Schauspieler muss man ein Haus bauen, einen Baum pflanzen, ein Kind zeugen und Hamlet spielen“, sagt er in einer der vielen eindrücklichen Szenen, die ihn bei der Erarbeitung von Rollen begleiten, aber auch ganz verletzlich zeigen.

Neun Monate hat der Dokumentarfilm-Regisseur Reiner Holzemer den erfolgreichen Schauspieler mit der Kamera begleitet. Mit ihm geht es in die Werkstätten der Salzburger Festspiele und man verfolgt gebannt etwa, wie Eidinger die Hauptrolle des Jedermann bei den Salzburger Festspielen 2021 entwickelt. Wie ihm vor Angst die Tränen aus den Augen fließen und Rotz aus der Nase baumelt als er die „Jedermann“-Rufe aus der Ferne vernimmt.

Wie man Todesangst spielt und wieder runterkommt

„Wie spielt man Todesangst? Muss man sie erlebt haben?“, fragt eine Kino-Besucherin. Eidinger antwortet mit einer Anekdote von den Dreharbeiten zum Drama „Cold blue“ (2011), das mit der Nahaufnahme einer alten Frau beginnt, die stirbt.

Die Darstellerin konnte sich nicht ins Sterben einfühlen, habe sie ihm erzählt, weshalb die Regisseurin sie fragte, ob sie denn einen Orgasmus spielen könne. Das wurde im fertigen Film dann rückwärts abgespielt. „Ich finde das philosophisch interessant, dass Sterben vielleicht ein umgekehrter Orgasmus ist“, sagt Eidinger. Von manchen Situationen sei man als Schauspieler aber tatsächlich überfordert.

Viele Urteile umfloren Lars Eidinger. Gute wie schlechte. Die Geister scheiden sich an dem Darsteller, der immer existenziell und exzentrisch wirkt und in öffentlichen Auftritten auch mal irritiert, aneckt und Häme auf sich zieht.

„Das ist ja ein Vorwurf, der mir öfter begegnet, dass ich so omnipräsent bin“, sagt er dem Karlsruher Publikum. „Das ist die Krux in diesem Beruf. Alles, was ich mache, sind Sachen, die ich mache, weil man mich dazu anfragt und weil ich darauf Lust habe.“

Dazu gehört auch seine Tätigkeit als DJ, die im beeindruckenden Soundtrack mitschwingt. Aber auch die Zusammenarbeit mit der Band „Deichkind“. Dass er in einem Musikvideo als riesiger Pinsel für Michelangelos „Die Erschaffung Adams“ eingesetzt wurde, erzählt er spontan am Beispiel einer Popcorn-Tüte aus dem Publikum mit diesem Motiv.

Die Schauburg besucht er in seinen Lieblingsschuhen, was er auch nur verrät, weil er gefragt wird: Clarks Desert Boots, ein Modell, das schon Ulrike Meinhof getragen habe. „Für mich ist der Schuh auf der Bühne fundamental!“, sagt Eidinger im Film.

Mehrmals erlebt man Eidinger auch als sensiblen Menschen

Mehrmals erlebt man ihn auch im Kinosaal als den Sensiblen, der hellwach auf Kleinigkeiten in seinem Umfeld reagiert. So kommentiert er, wie elegant sich der Fotograf für diesen Artikel doch vor ihm winde. Er schmunzelt und posiert.

Eine Sensibilität, die im Film wiederum zum Wutausbruch führt: Darin gerät er während der „Jedermann“-Proben mit Regisseur Michael Sturminger aneinander, weil sich der ausgerechnet in einer emotional besonders starken Szene mit seiner Assistentin austauscht. „Was macht Ihr denn jetzt? Komischer Moment...“, und brüllt dann: „Wenn ich sowas spiele, will ich, dass hier absolute Ruhe ist!“

Ich erreiche auf der Bühne einen Grad an Emotionalität, der mir in der Realität total verstellt ist.
Lars Eidinger, Schauspieler

Nicht nur Eidinger kommt man ungewöhnlich nahe. Der Film wirft einen fantastischen Blick auch in die „Küche“ bedeutender Bühnen. So erlebt man auch die Zusammenarbeit zwischen Eidinger und Thomas Ostermeier, Regisseur und Intendant an der Berliner Schaubühne, die mit Shakespeare-Inszenierungen Theatergeschichte geschrieben haben.

Eidinger gehen die Rollen selbst durch Mark und Bein. „Ich erreiche auf der Bühne einen Grad an Emotionalität, der mir in der Realität total verstellt ist.“ Auf der Bühne sei er mehr er selbst als im Alltag, sagt er.

Doku klammert das Privatleben komplett aus

Insofern stört es nicht, dass die Doku das Privatleben komplett ausklammert. Er habe das zwar vor den Dreharbeiten selbst vorausgesetzt, dass er nicht zuhause oder mit der Familie gefilmt werde. „Ich fand es aber kurios, dass Holzemer das auch gar nicht interessiert hat“, erzählt er und lacht. „Der Film zeigt, wie ich arbeite.“

Wie er denn wieder runterkomme nach seinem so intensiven Schauspiel, fragt eine Dame. Nach einer Vorstellung müsse er über 20 Minuten duschen. Auch das zeigt der Film in einem Ausschnitt, in Karlsruhe erklärt Eidinger warum: „Ich brauche diese Zeit, um die Rolle wieder abzuwaschen.“

Er sei übrigens gar nicht zum ersten Mal in Karlsruhe, widerspricht er Moderator Sven Varsek. „Meine Tante hat in Karlsruhe gewohnt, deshalb kenne ich das sogar ganz gut. Sie hatte den schönen Namen Herzchen. Sie hieß eigentlich Erika, aber wir haben sie immer Herzchen genannt. Herzchen war Karlsruhe!“

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