Es kracht und knirscht, wenn die Bahn um eine leichte Kurve biegt. Der Motor rattert laut. Neben den Gleisen stehen immer wieder mal Menschen, die Fotos und Videos machen.
Vor ihren Kameras und Smartphones fährt zwischen Hauptbahnhof und der Tullastraße eine historische Straßenbahn vorbei. 1978 wurde sie erbaut und im selben Jahr in Betrieb genommen.
Theoretisch erreicht sie eine Höchstgeschwindigkeit von 60 Kilometern pro Stunde. „Die ersten Modelle des Fahrzeugs wurden bereits 1958 produziert“, sagt Volker Dürr.
Der gut gelaunte Rentner, dessen weiße Haare in einem Pferdeschwanz zusammengebunden sind, steuert die alte Bahn. Sein Ziel ist die Ausstellung des Vereins „Treffpunkt Schienennahverkehr Karlsruhe“ (TSNV) vor dem historischen Depot aus dem Jahr 1913.
Die Ausstellung ist Teil des bundesweiten „Tags der Schiene“. Der dauert eigentlich sogar zwei Tage lang. Er umfasst mehrere Veranstaltungen, Vorträge, Gewinnspiele und Führungen.
Neuere Schienenfahrzeuge seien schon komfortabler zu führen, erzählt Dürr. Bahnen spielen in seinem Leben seit vielen Jahren eine große Rolle.
Neben seiner beruflichen Tätigkeit als Straßenbahnfahrer reiste er um die ganze Welt – meist um Straßenbahnen anzuschauen, erzählt er stolz. „Sogar in Nordkorea war er schon“, berichtet seine Ehefrau Nicole. Sie erwartet ihn an der Endhaltestelle vor dem historischen Depot.
Karlsruher Schienenfahrzeuge im Wandel der Zeit
Derzeit darf das Gebäude aus baulichen Gründen nicht betreten werden. Deshalb stehen die Ausstellungsstücke – vier historische Schienenfahrzeuge und ein Bus – im Freien.
Die älteste Bahn ist der sogenannte Akkuwagen 14, der 1899 gebaut wurde. „Akkuwagen heißt er, weil er anfangs noch mit Akkus betrieben wurde, da es in der Kaiserstraße damals noch keine Oberleitungen gab“, erzählt Johannes Wolff vom TSNV.
Mehr Fahrgäste und weniger Personal lautete die Devise.Johannes Wolff vom Treffpunkt Schienennahverkehr Karlsruhe
Obwohl der Akkubetrieb vier Jahre später aufgegeben wurde, blieben die Modelle bis in die 1950er in Betrieb. Rund zwei Jahrzehnte war zu dieser Zeit bereits der sogenannte Spiegelwagen auf den Karlsruher Schienen unterwegs. Die Bezeichnung geht auf kleine Spiegel zurück, die im Wageninneren verbaut sind.
Eine größere Innovation war der Breitraumwagen, Baujahr 1958. „Mehr Fahrgäste und weniger Personal lautete die Devise“, erzählt Wolff. Im Wagen waren keine Schaffner mehr. Tickets verkaufte der Zugführer. Bis 1984 war dieser Fahrzeugtyp im Einsatz.
Albtalbahn legt Grundstein für das Karlsruher Modell
Das letzte Schienenfahrzeug der Ausstellung – der sogenannte EP-Wagen – wies in die Zukunft. Nur ein Jahr nach dem Breitraumwagen wurde er gebaut und von der Albtal-Verkehrs-Gesellschaft (AVG) auf der Strecke zwischen Karlsruhe und Bad Herrenalb in Betrieb genommen.
Vor dem historischen Depot ist das Fahrzeug das einzige mit Gelenk. Es war die erste Karlsruher Stadtbahn, die sowohl auf regulären Eisenbahn- als auch auf den innerstädtischen Straßenbahngleisen fahren konnte.
Für die Bahn-Enthusiasten war das ein wegweisender Schritt, der die Grundidee des von Dieter Ludwig maßgeblich entwickelten Karlsruher Modells vorwegnahm.
„Nicht der Fahrgast soll umsteigen, sondern das Fahrzeug soll das System wechseln“, fasst Johannes Wolff zusammen. Den 2020 verstorbenen geistigen Vater dieses Systems ehrt der TSNV am „Tag der Schiene“ mit einer Informationstafel vor dem Depot.