
Sie sitzen bei gutem Wetter auch mal vor dem Büro auf der Kaiserstraße und diskutieren: Der Impact Hub will eine offene Stätte zur Diskussion und Austausch sein. Dabei geht es vor allem um eine lebenswerte Welt.
Es braucht neue Arbeitsmodelle
Welche Visionen hat das Team für das Arbeiten von morgen? Warum braucht es dazu neue Arbeitsmodelle? Und: Warum der Begriff „Nachhaltigkeit“ nicht – wie viele meinen– „ausgelutscht“ ist. Ein Interview mit Maria Fritz und Anton Baranowski.



Welche Veränderungen nehmt ihr wahr im Gespräch mit Menschen, die ihr Leben, ihre Arbeit oder ihr Unternehmen anders gestalten wollen?
Anton: Wir sehen einen Mix aus Idealismus und praktischen Erfahrungen, die schwer zu balancieren sind. Die meisten Menschen meinen es auch gut, sie sind wie wir. Sie wollen etwas beitragen und dabei ein gutes Leben führen. Wir sehen auf der einen Seite, dass sich viele Menschen schwer vorstellen können, anders zu arbeiten, zum Beispiel mit weniger Stunden, weniger Sicherheit, aber dafür mit mehr Sinn und Zufriedenheit. Wir leben das vor und wollen damit auch andere inspirieren. Auf der anderen Seite hat sich insbesondere in der Pandemie gezeigt, dass viele von uns digital arbeiten können und es angenehm finden, auch mal zu Hause am Rechner zu sitzen.
Maria: Viele, denen wir auf Veranstaltungen oder auch auf der Straße vor unserem Hub begegnen, wissen, dass wir weniger Rohstoffe verbrauchen sollten, dass wir faire Preise bezahlen können und dass davon auch unsere eigene gesunde Zukunft abhängt. Sie finden es aber schwierig, das umzusetzen und irgendwo anzufangen. Die Gründerinnen und Gründer in unseren Workshops wollen dafür alles sozial und ökologisch wertvoll machen und vergessen dabei ihre finanzielle Nachhaltigkeit, teils schon seit Jahren. All das vereint unsere Denkweise der Gemeinwohlorientierung. Unser Leben, Arbeiten und Wirtschaften sollte doch zum allgemeinen Wohl beitragen, oder? Darunter verstehen wir vor allem ein Unternehmertum, das sowohl soziale und ökologische als auch finanzielle Werte liefert. Also, dass das eine nicht auf Kosten des anderen geht. Geld verdienen und fair bezahlen und zugleich die Natur wiederherstellen.
Anton: Und dann kommt immer die Frage: Geht das überhaupt? (lacht)
Da schließen wir uns an: Ist das möglich und was hat eure Arbeit damit zu tun?
Maria: Gestern bin ich durch den Schlossgarten gelaufen und hab das Herbstlaub genossen und die Idylle zwischen den Menschen und dem Aufbau der Eisbahn für den Weihnachtsmarkt. Hier in Karlsruhe scheinen die Probleme manchmal noch ganz schön weit weg. Aber wenn wir mit unseren Co-Workern, Genossenschaftsmitgliedern und Partnern reden, dann kommt doch viel zusammen: Fachkräftemangel, Lieferengpässe, Nachfolgesorgen, mehr Regularien, hohe Kosten für Anpassungen. Und gerade die jüngere Generation fragt sich: Wird es hier immer genug zu Essen geben und wie sieht es in anderen Regionen aus? Die Menschen machen sich Sorgen und wissen, dass der Wandel in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft stattfindet.
Anton: Natürlich brauchen wir eine Anpassung an den Klimawandel, technische Innovation wie effektivere Maschinen, Solaranlagen und auch Digitalisierung. Natürlich brauchen wir für all diese Herausforderungen auch neue Geschäftsmodelle und soziale Innovationen wie neue Arbeitsmodelle, die Zeit lassen fürs Erholen und das eigene Wohlsein - also well-being heißt auch Gemeinschaft erfahren.
Maria: Wir sind die letzten Jahrzehnte sehr erfolgreich damit geworden, so viel zu produzieren, dass die meisten Menschen hier sehr gut leben können. Das sieht man an den früheren Statussymbolen wie Auto, Haus mit Garten oder dem jährlichen Urlaub. Und es gibt größtenteils Frieden, keinen Hunger und genug Arbeit. Das ist sehr gut. Damit haben sich aber auch die Umstände geändert; wir haben von manchen Ressourcen zu wenig, wir bezahlen für manche Produkte zu wenig und viele Menschen bleiben auf der Strecke. Wir sind überfordert mit Krisen, Einsamkeit und Erwartungen. Somit wollen viele junge Menschen lieber anders arbeiten und leben. Daher macht es Sinn, dass wir Geschäftsmodelle entwickeln, die das adressieren und die neben den finanziellen Gewinnen auch ökologischen oder sozialen Mehrwert schaffen. Auch für bestehende Unternehmen.
Anton: Ein konkretes Modell zur Umsetzung ist etwa die Kreislaufwirtschaft. KMUs können damit langfristig kosteneffizient zirkulär produzieren und kurzfristig ihr Angebot diversifizieren. Auch werden sie resilienter gegenüber Krisen, Lieferengpässen von ihren globalen Lieferanten oder Abbruch in Absatzmärkten. Und diesen Wandel zu anderen Geschäftsmodellen und einem anderen Wirtschaften zu unterstützen, daran wollen wir als Impact Hub Karlsruhe eG mitarbeiten. Und das eG steht für Genossenschaft, d.h. wir sind offen und bei uns kann jeder Mitglied werden, der oder die das auch unterstützen möchte. Durch Geld oder/und aktiven Einsatz.
Viele behaupten, der Begriff Nachhaltigkeit hat seinen Höhepunkt überschritten und wird mittlerweile oft verächtlich als „abgelutscht” bezeichnet. Was bedeutet das Wort für euch?
Maria: Nachhaltigkeit heißt einfach etwas langfristig erhalten und das ist doch in unser aller Sinne als Spezies Mensch. Manche Sachen haben vielleicht irgendwann ihr Haltbarkeitsdatum erreicht und die können wir dann auch „sterben” lassen, so wie auch in der Natur. Eine lebenswerte Welt will ich aber gerne langfristig möglich machen und dafür setze ich mich mit meinem Verhalten und meinen Aktivitäten im Privatleben und in der Arbeit ein. Ich will doch auch in 40 Jahren lecker essen, den Wasserhahn öffnen und meine Freunde auf der ganzen Welt besuchen können, ohne dass Mangel und Naturkatastrophen meinen Alltag bestimmen. Ich sage auch immer, dass mein Einsatz größtenteils egoistisch ist, weil ich das für mein eigenes Leben mache. Mir fällt es schwer, hier einen anderen Begriff zu finden, der das so gut umfasst. Ich fülle die Wörter selbst mit Bedeutung, dann stehen sie auch für etwas.
Anton: In der Wirtschaft umfasst der Begriff die Vereinbarkeit von sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Aspekten. Seine Inhalte spielen weiterhin eine zentrale Rolle, wenn wir über zukunftstaugliche Wirtschaftsmodelle sprechen. Eigentlich reden wir mittlerweile sogar über Regeneration, also sowohl der Erhalt von dem, was gut ist (also Nachhaltigkeit), als auch die Wiederherstellung dessen, was schon verloren ist (die Regeneration). Das trifft zum Beispiel auf Natur und Versiegelung zu. Auch hier können wir durch Geschäftsmodelle einen Beitrag liefern. Kennen Sie zum Beispiel die GOOD Suchmaschine, mit der ich mit jeder Suche auch in solche Zwecke mit investieren kann? Oder hier in Karlsruhe gibt es den Unverpackt-Laden „Tante M”, bei dem ich direkt beim Einkauf Abfall vermeiden kann.
Maria: Oder den Fair Fashion Store, Faire Ware, Glore und viele weitere Bekleidungsgeschäfte hier, die eben gleich bei der Produktion schon Abfall und Gift vermeiden, faire Löhne bezahlen. Wir halten uns hier nicht mit Begrifflichkeiten auf. Es gibt eine Vielzahl an Möglichkeiten, nachhaltig zu unternehmen und da kann jede Firma ihren Weg finden. Beispielsweise durch die Rechtsform wie bei uns. Es ist uns letztlich egal, ob sie sich jetzt als gemeinwohlorientiert, Sustainable Entrepreneurs oder Sozialunternehmen sehen: Hauptsache, sie versuchen in ihrem Tun die 3 P’s „People, Planet, Profit” ins Gleichgewicht zu bringen. Und sie messen das auch, sodass es für alle sichtbar wird.
Braucht es eine gewisse Sichtbarkeit und Befürwortung in der Öffentlichkeit, um gemeinwohlorientiertes Wirtschaften in der Breite zu erreichen?
Anton: Ja, das kann man so sagen. Wir treffen beispielsweise öfter auf Gründer:innen oder Inhaber von Familienunternehmen, die sich bemühen, umweltgerecht zu agieren und auf dem neuesten (technischen) Stand zu sein und sich z.B. für Kreislaufwirtschaft interessieren. Die aber noch nie was von gemeinwohlorientiertem Unternehmertum gehört haben. Hier setzen wir an: Wir vermitteln Fachwissen und bieten Vernetzungsmöglichkeiten für Entrepreneure und Gründende. Die Bestandteile der Gemeinwohlorientierung sind dabei unsere Treiber für zukunftstaugliches Leben und Arbeiten.
An vielen Stellen wird nach zukunftstauglichen Modellen und Lösungen für unsere Welt von morgen gearbeitet. Wie kommen sie eurer Erfahrung nach am besten zustande?
Maria: Die besten Lösungskonzepte wollen das Rad nicht neu erfinden, sondern schauen, was es schon gibt. Daher sind wir global vernetzt und lassen uns grenzüberschreitend inspirieren - beispielsweise durch unsere Kooperationen mit Organisationen in Straßburg oder dem Impact Hub in Rom. Und gleichzeitig fokussieren wir uns bei der Umsetzung auf die Region und berücksichtigen die konkreten, regionalen Bedingungen. Deshalb bieten wir einerseits Räumlichkeiten mit Co-Working, Veranstaltungen, Netzwerktreffen und Workshops zu unterschiedlichen Aspekten der Nachhaltigkeit in der Wirtschaft in der Karlsruher Innenstadt. Andererseits sind wir international angebunden an das globale Impact Hub Netzwerk mit über 320.000 Mitgliedern in mehr als 110 Hubs und über 15 Jahren Erfahrung zu den Themen Nachhaltige Innovation und „Impact-at-scale“, also Wirkung in großem Maße. Es ist also eine Mischung aus „Abgucken”, was sich woanders bewährt hat, die eigene Situation vor Ort genau kennen und dann mit vielen verschiedenen Menschen zusammen Ideen entwickeln. Dabei auch ein bisschen träumen und wünschen. Ideen, die die anschließende Prüfung der Machbarkeit bestehen, kann man dann als unsere Konzepte für eine lebenswerte Zukunft bezeichnen.
