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Bezirksärztekammer Nordbaden

In Baden-Württemberg wird Corona-Impfstoff weggeworfen, weil er nicht verbraucht wird

Seit zwei Jahren hält die Pandemie die Welt in Atem, ein Stresstest fürs Gesundheitssystem. Welche Erkenntnisse zieht man daraus? Darüber sprachen gesundheitspolitische Akteure aus ganz Baden-Württemberg auf Einladung der Bezirksärztekammer Nordbaden.

Die Bezirksärztekammer Nordbaden blickte kritisch auf das Gesundheitssystem in Baden-Württemberg während der Pandemie zurück. Vor Ort dabei waren Martin Ulmer (von links), Geschäftsführer der Bezirksärztekammer Nordbaden, Wolfgang Miller, Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg, Christof Hofele, Präsident der Bezirksärztekammer Nordbaden, Jürgen Kußmann, Ärztlicher Leiter Ambulantes Zentrum für Rehabilitation und Prävention Am Entenfang, Karlsruhe, und Ulrich Wagner, stellvertretender Leiter des Gesundheitsamts für den Stadt- und Landkreis Karlsruhe.
Zwei Jahre Corona: Die Bezirksärztekammer Nordbaden blickte kritisch auf das Gesundheitssystem in Baden-Württemberg während der Pandemie zurück. Foto: Jörg Donecker

Wie lief die Bewältigung der Corona-Pandemie in Baden-Württemberg rückblickend? Welche Erkenntnisse kann man daraus gewinnen und welche Konsequenzen für künftige Pandemien oder gesundheitspolitische Krisen ziehen?

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, hat die Akademie für Ärztliche Fortbildung in der Bezirksärztekammer Nordbaden verschiedene gesundheitspolitische Akteure aus Karlsruhe und Baden-Württemberg in einer Fortbildung zusammengebracht, an der auch Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) teilnahm.

Der Impfstoff kam unzuverlässig.
Johannes Fechner, stellvertretender Vorstandsvorsitzender KVBW

„Der Impfstoff kam unzuverlässig“, bilanzierte Johannes Fechner, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW). Für die Praxen und Impfzentren sei nicht das Impfen eine Belastung gewesen, sondern eben diese Unzuverlässigkeit. „Wir haben die Krise bewältigt durch den maximalen Einsatz aller“, sagte er.

Sie habe aber auch Schwächen aufgezeigt: in der Digitalisierung und in der personellen Unterbesetzung im Gesundheitssystem. Nun sei es wichtig, sich für den Herbst zu wappnen. „Die fünfte und sechste Impfung kommt“, sagte Fechner, „das müssen wir besser steuern.“

Impfstoff wird weggeworfen, weil er nicht verbraucht werden kann

Es gebe 12.000 Praxen in Baden-Württemberg, die impfen könnten. Ungefähr 7.000 davon hätten geimpft. Aktuell seien es noch 3.000. Die Nachfrage sei allerdings stark gesunken. „Der Impfstoff wird aktuell teilweise weggeworfen, weil er nicht verbraucht wird“, gab Fechner zu und plädierte dafür, das Impfen zu vereinfachen sowie den Impfstoff in Einmalspritzen zu verteilen.

Eine große Herausforderung sei auch Long Covid. Das Krankheitsbild habe man noch nicht ausreichend verstanden, was Geduld und Zeit erfordere. Fechners Bilanz nach zwei Jahren Pandemie: „Der ambulante Bereich ist leistungsfähig.“ Denn 13 von 14 Covid-Fällen seien zwischen Februar 2020 und August 2021 von niedergelassenen Ärzten behandelt worden.

Einen „Bericht von der Basis“ lieferte Ulrich Wagner. „Ich habe zwei verrückte Jahre hinter mir“, sagte der stellvertretende Leiter des Gesundheitsamtes für den Stadt- und Landkreis Karlsruhe. In dieser Zeit sei das Gesundheitsamt in den öffentlichen Fokus geraten – durch massive Kritik, aber auch Lob.

Wir sind schon lange auf dem Weg der Digitalisierung.
Ulrich Wagner, stellvertretender Leiter Gesundheitsamt Stadt- und Landkreis Karlsruhe

Besonders geärgert habe ihn, so Wagner, die Darstellung seines Amtes als „Amtsschimmel mit Bleistift und Faxgeräten“. „Wir sind schon lange auf dem Weg der Digitalisierung“, sagte er. Das Team im Infektionsschutz habe vor der Pandemie aus zehn Mitarbeitern bestanden und sei phasenweise auf 160 angewachsen. Aktuell seien es 100 Beschäftigte aus ganz verschiedenen Bereichen.

Auch mit sozialen Fragen sei das Gesundheitsamt konfrontiert worden: die Bedingungen in der Fleischindustrie, die Unterbringung von Erntehelfern und die Not von Wohnungslosen. Und es habe Gruppen gegeben, die mit den staatlichen Botschaften zu Impffragen und der Pandemie fast nicht zu erreichen gewesen seien.

Gesundheitsminister Lucha: mehr Transparenz in der Corona-Krise

Diese Bilanz zog auch Knut Bühler. „Die Grenzen von objektiver Erkenntnis und subjektiver Erkenntnis verschwimmen“, sagte der Erste Landesbeamte des Landratsamts Karlsruhe. Ein einheitliches Bild der Wirklichkeit sei aber die Grundlage des politischen Diskurses für die Regeln des Zusammenlebens. „Wir brauchen einen breiten Konsens über die Lage, damit die dafür ausgehandelten Regeln akzeptiert werden.“

Wir hätten alle mutiger sein sollen.
Manne Lucha, Gesundheitsminister

Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) bestätigte Bühlers Bilanz. „Wer im Gesundheitswesen tätig ist, für den sollte es selbstverständlich sein, sich selbst und Dritte zu schützen“, sagte er. Die Politik hätte sich früher für die Impfpflicht einsetzen sollen, dadurch wäre vielen Bereichen im Zusammenleben eine Belastung erspart geblieben. „Wir hätten alle mutiger sein sollen“, sagte Lucha.

Doch jetzt sei die Diskussion parteipolitisch besetzt. Die Impfkampagne müsse nun weiter gestärkt werden, und es brauche mehr Transparenz von wissenschaftlicher Erkenntnis hin zu politischen Entscheidungen.

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