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Podiumsdiskussion

Verfassungsgespräch in Karlsruhe geht Fake News und Verschwörungsmythen auf den Grund

Bei der Diskussion im Bundesverfassungsgericht mahnen die Experten, der Entstehung von Filterblasen entgegenzuwirken, ohne die Meinungsfreiheit unnötig einzuschränken.

In der Corona-Pandemie haben manche Menschen das Virus und die Maßnahmen zu seiner Eindämmung als eine gigantische Verschwörung gesehen. Ihre Wut gegen die Politik haben sie nicht selten öffentlich gemacht.
In der Corona-Pandemie haben manche Menschen das Virus und die Maßnahmen zu seiner Eindämmung als eine gigantische Verschwörung gesehen. Foto: Frank Rumpenhorst picture alliance/dpa

„Leben wir noch im gleichen Universum?“, fragt sich gelegentlich Frank Mentrup. Karlsruhes Oberbürgermeister muss sich hin und wieder mit Verschwörungsgläubigen und Fake-News-Anhängern beschäftigen, die ihm offenbar viel Geduld und Beherrschung abverlangen.

So hat anscheinend auch die bizarre Theorie von pädophilen Satanisten, die Kinder foltern, um aus ihrem Blut ein vermeintliches Elixier der ewigen Jugend zu gewinnen, die badische Metropole erreicht.

„Für Karlsruhe kann ich diese Theorie nicht bestätigen“, sagt Mentrup am Sonntagabend und stellt mit einer rhetorischen Frage die Sinnlosigkeit solcher Behauptungen bloß: „Hätten wir dann nicht viele Vermisstenanzeigen von Kindern haben müssen?“

Der Karlsruher SPD-Politiker spricht damit bei einer Diskussion im Bundesverfassungsgericht ein schwieriges Problem an: In der eng vernetzten Welt, die keine Schranken für Kommunikation kennt, verbreiten sich durch das Internet und andere Medien sowohl harmlose als auch gefährliche Informationen in Windeseile und erreichen Millionen Menschen, die manchen Mythos als reine Wahrheit interpretieren und weiterverbreiten.

Jeden Unsinn im Netz verbieten kann und sollte man nicht. Was also tun, wenn Falschinformationen und Verschwörungen die Grundfesten der Demokratien erschüttern? Um diese Problematik drehte sich am Sonntag das traditionsreiche Karlsruher Verfassungsgespräch – nunmehr in der 22. Auflage und zum ersten Mal seit dem Pandemiebeginn auch wieder in Präsenz.

Verbreitung von Mythen stärkt das Selbstwertgefühl

Die hochkarätig besetzte Runde, deren Diskussion zeitgleich im Fernsehkanal Phoenix übertragen wurde, ging dem Phänomen „alternative Fakten“ aus mehreren Perspektiven auf den Grund.

Dass eine kleine, aber lautstarke Minderheit von Menschen sie gerne verbreitet, ist aus der Sicht der Fake-News-Expertin Pia Lamberty eine „Selbstwertfunktion“. Wer die Fakten verdrehe und „Böses“ erschaffe, etwa indem er allen Politikern niedere Verschwörungsmotive unterstelle, werte sich selber auf und schaue auf andere Menschen herab, weil sie als „Schafe“ nichts begreifen würden, so die Forscherin am Berliner Center für Monitoring, Analyse und Strategie.

Die Kölner Medienpsychologin Maren Urner erklärt die Popularität von Falschnachrichten und Verschwörungen besonders in Krisenzeiten damit, dass das menschliche Gehirn aus dem Selbsterhaltungstrieb immer Vorhersagen über Entwicklungen mache.

„Wenn sie, wie zum Beispiel am Anfang der Pandemie, ins Leere laufen, entsteht das Gefühl von Unsicherheit und Kontrollverlust. Solche Menschen greifen dann nach einfachen Erklärungen, die ihnen gut tun.“ Laut Urner ist es völlig normal, Dinge ganz unterschiedlich zu interpretieren. Die Gesellschaft müsse sich dennoch immer wieder auf die gemeinsame Basis von Fakten und Werten besinnen, die sie zusammenhält.

Großflächige Desinformationen entziehen dem vernünftigen Diskurs die Basis.
Bettina Limperg, Präsi­den­tin des Bundes­ge­richts­hofs

Die Präsidentin des Bundesgerichtshofs, Bettina Limperg, findet extreme Formen von Skeptizismus bedrohlich für die Gesellschaft. „Sie lebt davon, dass wir vernunftgesteuerte Entscheidungen treffen“, erklärt sie. „Großflächige Desinformationen entziehen diesem Diskus jedoch die Basis.“

Limperg hält es allerdings für keine gute Idee, Meinungen im Netz generell stärker zu zensieren. Man müsse offen und tolerant sein für Meinungen anderer, solange sie nicht gegen Gesetze verstoßen, ist die Juristin überzeugt.

Es gebe ohnehin keine „reine Wahrheit“, weil Menschen subjektiv urteilten, sagt die BGH-Chefin. Limperg plädiert aber dafür, die Geschäftsmodelle von Konzernen wie Facebook zu prüfen, die „von der Empörung leben“ – und sie bei Bedarf mehr zu regulieren. Denn die Gesellschaft müsse der Entstehung von Filterblasen entgegenwirken.

Landesbeauftragter warnt bei Karlsruher Verfassungsgespräch vor Angriffen auf Synagogen

Der Landesbeauftragte gegen Antisemitismus, Michael Blume, ist besorgt, dass mit der Entstehung von „Verschwörungssekten“ die Radikalisierung in der Gesellschaft zunimmt. Manche Menschen tauchten immer tiefer in solche Universen ein und würden es nicht schaffen, sie zu verlassen. „Und wenn die Leute an Weltverschwörungen glauben, landen sie am Ende immer im Antisemitismus“, sagt der Religionsexperte und Politologe. „Es wird weitere Angriffe auf Synagogen geben“, warnt Blume.

Er hält die Demokratie aber auch für krisenfest. „Dass wir einen öffentlichen Raum für Diskussionen herstellen und uns von Vernunft leiten lassen, sind enorme Leistungen, dafür müssen wir einstehen“, sagt der Fachmann.

Blume hebt hervor, dass es über die zentralen Fragen unseres Lebens noch nie solch einen breiten Konsens von Wissenschaft, Politik und Kultur gegeben habe wie jetzt. „Es kommen einige harte Jahre, aber die Verschwörungstheoretiker werden unsere Demokratie nicht vernichten“.

Wenn uns der Ernst der Lage klar wird, wenn die Titanic auf den Eisberg trifft, wird es zu spät sein.
Stefan Rahmstorf, Potsdam-Institut für Klima­fol­gen­for­schung

Optimistisch blickt in die Zukunft auch Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung in Potsdam. „Es wird uns gelingen, vernünftige Spielregeln für das Internet zu finden, die die Flut der ,alternativen Nachrichten’ eindämmen werden“, glaubt er.

Aus der Sicht von Rahmstorf soll jeder Unsinn erzählen dürfen - eine gezielte Täuschung der Öffentlichkeit sei jedoch gefährlich. In seinem Fachgebiet warnt der Forscher eindringlich davor, die Verbreitung von Lügen über den Klimawandel zu ignorieren: „Wenn uns der Ernst der Lage klar wird, wenn die Titanic auf den Eisberg trifft, wird es zu spät sein“.

Am Ende des Verfassungsgesprächs einigt sich die Runde auf einen positiven Ausblick: Zwar werden die Menschen in „alternativen Universen“ leben, was ihre Weltanschauungen angeht, aber die Vernunft werde sie zusammenbringen, so das hoffnungsvolle Fazit der Experten in Karlsruhe.

Sie plädieren dafür, dass die Gesellschaft unterschiedliche Meinungen toleriert und es jedem ermöglicht, am öffentlichen Diskurs mitzuwirken. „Wir haben gute Werkzeuge zur Hand, um es richtig zu machen“, fasst die Sozialpsychologin Pia Lamberty zusammen. „Die Demokratie bedeutet immer Arbeit“.

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