Im Jahr 1979 befand sich der Jazzclub in einer klassischen Situation: In der Kasse herrschte Ebbe. Aber Not macht bekanntlich erfinderisch und wenn man etwas unmittelbar erfindet, gleichsam aus dem Stand heraus, dann nennt man das Improvisieren.
Und zu improvisieren, das ist der Jazzer täglich Handwerk. Das Kulturreferat der Stadt meinte zunächst, ein Swing- und Bluesfest in der Stadthalle könnt’s richten. Das fand auch statt. Bloß, nachdem man die Bluesstars aus den USA ausbezahlt hatte, blieb für den Jazzclub nichts mehr übrig. Also ran ans Improvisieren.
Wenn man jazzt, ist es hilfreich, eine Melodie zu haben, über die man improvisieren kann. Die „Melodie“ der Jazzclubber Manfred Pfeiffer und Henner Klusch war eine Idee: Kein einfaches Konzert schwebte ihnen vor, eines, bei dem die Zuschauer wie in der Stadthalle brav vom Tisch aus zuhörten, nein, ein richtiges Fest sollte es werden.
Ein Fest mit Musikern aus der Region. Ein Fest, das den Jazz, die Bands, das Publikum und nicht zuletzt auch den Club selbst hochleben lassen sollte, denn der wurde im selben Jahr 10 Jahre alt. Es sollte was Großes werden.
Ein außergewöhnlicher Ort musste her
Dass der Jazzclub so etwas organisatorisch stemmen konnte, hatte er bereits mit der Veranstaltung der Jazz-Meetings bewiesen, mit seinen Beiträgen zum 1. Badischen Heimatfest und zum Karlsruher Kulturmarkt, der damals größten örtlichen Kulturveranstaltung mit bis zu 50.000 Besuchern. Aber wo sollte so ein Fest stattfinden?
Es sollte ein außergewöhnlicher Ort sein, aber er musste trotzdem alle Einrichtungen haben, die man für eine große, öffentliche Veranstaltung benötigt: Viel Platz, technische Einrichtung, Bewirtungsmöglichkeiten und die notwendigen sanitären Anlagen. Es gelang dem Club, den Betreiber der Schauburg, Georg Fricker, für ein Jazzfest in seinem Kino zu begeistern.
Ich bin vor der Tür gestanden und habe versucht, die Leute nach Hause zu schicken. Die haben mich richtiggehend beschimpft. Da habe ich sie halt reingelassen..Manfred Pfeiffler, Organisator
Am 30. November war es dann soweit: Das erste Jazzfest in der Schauburg ging über die Bühne. Über drei Bühnen, um genau zu sein, die in Foyer und Kinosälen aufgebaut waren. Sage und schreibe 14 Bands hatte der Club aufgeboten, darunter Mama’s Washhouse Stompers und das Günter Möll Quartett. Zwischen 1.600 und 2.000 Zuschauer besuchten die Schauburg.
Schon beim Auftakt kamen mehr Besucher als geplant
Auch ein Phänomen beim Improvisieren: Ist die Melodie erstmal in der Welt, hat man nur noch eine bedingte Kontrolle über sie. Manfred Pfeiffer jedenfalls wird im Nachbericht dieser Zeitung, als der Einlass irgendwann geschlossen werden sollte, folgendermaßen zitiert: „Ich bin vor der Tür gestanden und habe versucht, die Leute nach Hause zu schicken. Die haben mich richtiggehend beschimpft. Da habe ich sie halt reingelassen...“
Und reingelassen wurden über die Jahre viele, denn never change a winning team und bleib bei einem Festival, das ob des Besucherandrangs aus allen Nähten platzt. Herumgesprochen hatte sich die Sache auch. Schon im folgenden Jahr berichtete der SWF vom Jazzfest.
Insgesamt fanden bis 1998 20 Jazzfeste in der Schauburg statt. Viele Bands, die auftraten, kennen nur noch Insider, manche aber haben einen bleibenden Eindruck mindestens in der deutschen Jazzszene hinterlassen oder spielen sogar heute noch regelmäßig.
Der bereits erwähnte Günter Möll gehört dazu, Armin Heitz, der 2015 verstorbene Wolfgang Weth, der hauptberuflich in der Badischen Staatskapelle die Klarinette spielte.
Tobias Langguth, der sich in den letzten Jahren immer mehr dem Blues zugewendet hat und natürlich Karlsruhes Freejazzer Dinkel/Frisch/Theilmann und Bieler-Wendt.
„Ruhe bei Abmarsch“ verlangte ein Schild
Dass Lehrgeld gezahlt werden musste, blieb nicht aus. 530,– DM Bußgeld verlangte die Stadt im Januar 1983, weil nach 1 Uhr nachts noch 200 Menschen in der Eingangshalle bewirtet wurden. Seither wurde regelmäßig ein Antrag auf Verkürzung der Sperrzeit gestellt und auch bewilligt.
1984 wurde es zusätzlich zur Auflage gemacht, ein Schild mit der sehr ungroovigen Ermahnung „Ruhe bei Abmarsch“ aufzuhängen. Zwei Jahre später klang das schon etwas freundlicher: „Bitte Ruhe beim Verlassen des Gebäudes“. Verstopfte Toiletten, angesengte Kinovorhänge, ramponierte Fliesen und ein abmontierter Leuchter: Das alles waren bloß Kollateralschäden und brachten das Fest nicht ins Wanken.
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Was zu seinem Ende führte, war der seit Mitte der 90er relativ plötzlich nachlassende Besucherstrom im Verbund mit steigenden Kosten. 1998 zählte man lediglich 700 Besucher.
Das ist in der heutigen Zeit immer noch sehr viel – um es mal einzuordnen: Der große Saal des Tollhaus’ fasst bei voller Bestuhlung 750 Personen –, aber man war an das Doppelte gewöhnt. Gleichzeitig stieg der Preis für die Saalmiete von ursprünglich 3.200,– DM auf zum Schluss 7.036,– DM.
Es rechnete sich nicht mehr. Auf der Mitgliederversammlung am 4. März 1999 wird das Ende des Jazzfestes in der Schauburg beschlossen. Das Protokoll vermerkt: „Eine Ära geht somit zu Ende.“