Liubov Krivich legt ihre rechte Hand aufs Herz, verbeugt sich leicht: „Sie will Danke sagen für die Unterstützung hier“, übersetzt Dmytro Udodenko ihre schnell gesprochenen Sätze. Beide stammen aus der Ukraine, Dmytro Udodenko kam lange vor dem Krieg nach Karlsruhe.
Hier hat nun auch Liubov Krivich Schutz gefunden – nachdem sie über Monate versuchte, trotz Raketenangriffen in Kiew auszuharren. „Am 25. September bin ich gegangen“, erzählt die Frau.
In einem früheren Schwesternwohnheim des Vincentius-Krankenhauses in der Steinhäuserstraße hat Krivich mit einer weiteren Frau ein Zimmer bezogen. Noch ist wenig Persönliches zu sehen, auf dem Nachtisch liegt eine Lesebrille. Es gibt ein kleines Bad, wenige Meter weiter eine Gemeinschaftsküche. „Für Neuankömmlinge haben wir ein Starterpaket mit Grundnahrungsmitteln und Hygieneartikeln da“, erklärt Udodenko, der Sozialarbeiter bei der AWO ist.
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Die Wohlfahrtsorganisation managt den Betrieb in der Unterkunft, die von der Stadt als Drehscheibe konzipiert ist: Kommen Ukrainer neu in der Stadt an, bekommen sie erst einmal ein Zimmer im früheren Schwesternwohnheim.
Bisher war Station Nummer eins das Rathaus West in der Kaiserallee: Weil dieser Bau wegen der Sanierung des Technischen Rathauses wieder als Ausweichquartier für städtische Mitarbeiter gebraucht wird, musste ein neues Drehkreuz her.
Wohnraumakquise in Karlsruhe: 250 neue Wohnungen seit Kriegsbeginn
Die seit 2003 aktive städtische Wohnraumakquise wurde fündig. Nachdem die ViDia-Kliniken im Zuge eines Neubaus das bisherige Schwesternheim nicht mehr für ihr Personal brauchten, stellte der kirchliche Träger es der Stadt zur Verfügung.
„Das ist zeitlich erst mal nicht begrenzt“, erklärt Linda Brenk von der Wohnraumakquise. Bei dieser stellen seit 2003 private Immobilienbesitzer der Stadt Wohnraum zur Verfügung. Rund 3.000 von Obdachlosigkeit bedrohte Menschen fanden so ein neues Zuhause. „Seit Kriegsbeginn in der Ukraine kamen 250 neue Wohnungen hinzu“, bilanziert Brenk.
Nicht mitgezählt ist das Schwesternwohnheim, in dem keiner dauerhaft wohnen soll. „Wir haben Platz für 200 Personen, aktuell sind 179 da“, erklärt die Leiterin des Geschäftsbereichs Jugend und Soziales bei der AWO, Barbara Mehnert.
Ihr Team hilft bei allen Fragen, die die Menschen haben. Es gehe um das Ausfüllen von Formularen und auch mal darum, dass ein Dolmetscher jemanden zum Arzt begleitet. Zwei bis sechs Wochen blieben die Leute im Schnitt in dieser ersten Station wohnen. Weiß die Stadt, wer da ist und welcher Bedarf besteht, sucht sie eine Folgeunterkunft. Das reicht von der Wohnung bis zur Unterbringung in früheren Hotels, erklärt Brenk.
„Vom Rathaus West heraus wurden 555 Personen weitervermittelt“, blickt die Chefin der Sozial- und Jugendbehörde, Karina Langeneckert, zurück. Brenk sagt: „Aktuell haben wir noch 332 Plätze in Unterkünften wie eben früheren Hotels und 109 in Wohnungen frei.“ Damit ist Karlsruhe – anders als bundesweit viele Städte – noch weit von Zeltstädten oder der Belegung von Turnhallen entfernt.
Karlsruhes Sozialbürgermeister Lenz bei Bundesbauministerin
Schon zum Kriegsbeginn im Frühjahr setzte Sozialbürgermeister Martin Lenz (SPD) darauf, Menschen nicht in provisorischen Sammelunterkünften unterzubringen. Nicht zuletzt die eingespielte Wohnraumakquise half dabei. Immer neue Kommunen rufen an und wollen Informationen zu diesem Konzept, berichtet der Dezernent.
Diese Woche war Lenz wieder in Berlin bei Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD), um über das Potenzial von Leerstand im Wohnungsmarkt zu sprechen. Lenz sagt: „Es ist wirklich gemeinwohlorientiert, dass wir jetzt dieses Schwesternwohnheim nutzen können.“ Mehnert findet dieses sogar besser als das Rathaus West: „Dort standen Feldbetten in Büros. Hier gibt es kleine Appartements. Einige Zimmer sind barrierefrei.“ Auch Liubov Krivich sagt: „Es ist schön, man hat etwas Privatsphäre.“
Inzwischen wurde auch ein Kleiderkammer eingerichtet. „Die Menschen brauchen Winterkleidung“, so Langeneckert. Auch die Nähe des Baus zum Jobcenter, zur Arbeitsagentur und zum Rathaus an der Alb mit der dortigen Sozialbehörde sei ein Vorteil.
Es kommen weitere Schutzsuchende bei uns an.Karina Langeneckert, Sozial- und Jugendbehörde
Und Langeneckert ist sicher: „Es kommen weitere Schutzsuchende bei uns an.“ Die Mitarbeiter berichten von traumatisierten Menschen. „Einige flohen nach der Besetzung der Krim innerhalb der Ukraine und jetzt ins Ausland, das macht etwas mit den Menschen“, berichtet Sozialarbeiter Dmytro Udodenko. Er sieht Menschen ankommen, deren Auto Löcher hat, weil es bei der Flucht beschossen wurde.
Viele der Schutzsuchenden hoffen, dass der Krieg bald endet und sie zurück können. Lenz kann sich vorstellen, die Immobilie auch dann weiter zu nutzen. „Erschwinglicher Wohnraum ist gefragt.“ Auszubildende, Studenten, Frauen aus dem Frauenhaus, Flüchtlinge oder Wohnungslose: „Am Ende ist es völlig egal, wer da wohnt.“