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 Brand- und Wundgel reicht Katharina Schmitt beim nächtlichen Notdienst in der Karl-Apotheke durchs Ausgabefenster.

Schlange stehen für Hilfe im Notfall

Keine ruhige Minute: Eine Nacht im Notdienst in der Karl-Apotheke in Karlsruhe

Ein böser Insektenstich, steigendes Fieber beim kranken Kind, die „Pille danach“: Bis tief in die Nacht reicht die Apothekerin Katharina Schmitt wichtige Medikamente und Präparate aus dem Notdienst-Fenster der Karl-Apotheke am Stephanplatz.
6 Minuten
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Die Läden schließen in der Innenstadt, doch in der Karl-Apotheke geht es diesmal weiter. Wer auf die Nacht noch ein wichtiges Medikament braucht oder gesundheitliche Probleme bekommt, findet Hilfe bei den Apotheken, die reihum Notdienst leisten. Auch die Karl-Apotheke garantiert in einer warmen Sommernacht rund um die Uhr die Versorgung.

Schlag auf Schlag geht es im Apothekennotdienst in der City schon vor 20.30 Uhr. Vor dem Pavillon am Rand des Stephanplatzes stehen die Hilfesuchenden zeitweise Schlange. Coronagerecht halten sie Abstand. Die Apothekerin Katharina Schmitt wird bis Mitternacht pausenlos auf den Beinen sein. Ob sie danach ein bisschen zum Schlummern kommt?

An der Seitentür mit dem Ausgabefenster zur Karlstraße steht eine junge Frau. Um den linken Zeigefinger hat sie ein Papiertaschentuch gewickelt. Es ist blutig. Katharina Schmitt lässt sich die Wunde zeigen. „Ist es arg tief?“, fragt sie. „Ah, ich sehe.“ Schon verschwindet die 42-Jährige im weißen Kittel vom ovalen Fenster, um Verbandmaterial zusammenzustellen.

Am Notdienst-Fenster gibt es auch Tipps

Kompressen, Pflaster, aber auch gute Tipps hat Schmitt zu geben. „Halten Sie den Finger hoch, das hilft am besten, damit es aufhört zu bluten“, sagt sie. Danach verbinden mit Kompresse und Pflaster „und viel Druck – nehmen Sie dazu ruhig ein Küchentuch!“

Der Fall ist typisch für den Notdienst. „Als erstes habe ich vorhin eine Brand- und Wundsalbe für verbrannte Finger herausgegeben“, erzählt die Diplom-Pharmazeutin. „Wirklich jede Nacht verlangt wird Nasenspray. Und Schlaftabletten auch oft.“

Apothekerin Katharina Schmitt greift ein Nasenspray aus dem Regal.
Der Klassiker: Kein Nachtdienst in der Karl-Apotheke vergeht, ohne dass jemand Nasenspray verlangt. Foto: Jörg Donecker

Nachhaken ist das A und O

Das erste Antibiotikum des Abends wird gebraucht. Schmitt nimmt das Rezept entgegen, füttert den Computer mit den Angaben, schon fällt das Medikament klappernd in ein Kistchen. Um den einstelligen Euro-Betrag einschließlich Notdienstgebühr zu bezahlen, reicht der Kunde einen 50-Euro-Schein durch die Ausgabeluke. „Dreimal täglich eine Tablette eine halbe Stunde vor dem Essen, mindestens fünf Stunden Abstand dazwischen“, gibt Katharina Schmitt ihm mit auf den Weg. „Gute Besserung für Sie!“

Gelassen wirkt die Apothekerin, strahlt Sicherheit aus. Da merkt man 14 Berufsjahre, erst in Rostock, seit 2010 in Karlsruhe. Oft hakt sie nach. „Nimmt Ihre Mutter Medikamente?“, fragt sie den Mann, der Nasenspray gegen den Schnupfen seiner 68-jährigen Mutter braucht. Ein anderes Nasenspray, das die eigene Allergie lindert, nimmt er auch gleich mit.

Eltern kommen mit ernsten Fällen

Gegen 22 Uhr treibt es auffallend viele Eltern an die Karl-Apotheke. Familien seien oft gut ausgestattet für Probleme ihrer Kleinen, weiß die Apothekerin, die selbst zwei Jungs im Vorschulalter hat. „Irgendwann merkt man, dass es so nicht mehr geht“, sagt sie. „Das kenne ich von mir auch.“

Ernstere Fälle treffen jetzt ein. Ein Vater soll ein hoch dosiertes Antibiotikum für sein Kind holen. Zu viel Wasser schwächt die Wirkung. Katharina Schmitt bietet an, es anzumischen. „Ich bereite die Säfte gern gleich zu, bevor die Eltern das falsch machen“, sagt sie. „Dafür sind viele dankbar.“

Mörser, Tiegel und altes Porzellan zieren die Karl-Apotheke.
Sauber zubereitet: Mörser, Tiegel und altes Porzellan zieren die Apotheke. Viele Eltern sind froh, wenn ihnen die Apothekerin fürs kranke Kind nach Rezept fix und fertig angemischte Medizin überreicht. Foto: Jörg Donecker

Dosierung kann knifflig sein

Für den Vater vor der Glastür rechnet die Apothekerin also die Dosierung aus – und stutzt. „Das muss ich leider nochmal kontrollieren. Ich rufe da jetzt an, einen Moment“, sagt sie dem Wartenden. Und tatsächlich: Nach Rücksprache mit Ärzten in der Kinderchirurgie erhält der Vater eine etwas andere Lösung, die sich auch besser über 24 Stunden verteilt verabreichen lässt.

Solche zusätzlichen Aufgaben bringen Schmitt nicht etwa aus der Ruhe, sondern richtig in Schwung. „Ich muss immer ein gutes Gefühl haben, wenn die Leute gehen“, sagt sie. Sie ist daran gewöhnt, große Verantwortung zu tragen. Riskiert sie ärgerliche Reaktionen, wenn sie telefonisch nachfragt? Nein, sagt sie, im Gegenteil: „Alle sind froh, wenn jemand zusätzlich mitdenkt.“

Konzentriertes Arbeiten im Alleingang

Konzentriert arbeitet die Apothekerin im Alleingang einen Wunsch nach dem anderen an der Tür ab. Zwischendurch klimpert immer wieder das Notdienst-Telefon. „Welches Schmerzmittel?“, fragt Schmitt, hört die Antwort und sagt: „Kommen Sie her, das kann ich Ihnen geben.“

Eine Mutter ruft an: Das fiebernde zweijährige Töchterchen erbricht den Saft, der helfen soll. Schmitt empfiehlt Zäpfchen: „Da ist genauso viel Wirkstoff drin, wie der Arzt verschrieben hat, und sie machen zusätzlich müde. Damit wird die Kleine wohl einschlafen, dann ist das Schlimmste vorüber.“

In 420 Schubladen lagern in der Karl-Apotheke alphabetisch sortiert viele wichtige Medikamente.
Von A bis Z: In 420 Schubladen lagern nach dem Alphabet sortiert viele wichtige Präparate, Antibiotika ebenso wie fiebersenkende Zäpfchen. Foto: Jörg Donecker

Auf Umwegen zum passenden Medikament

Mit geschwollenem Knöchel hockt eine Frau in kurzer Hose, Sporttrikot und Sandalen vor der Notdienstpforte auf dem kleinen Bordstein am Straßenbahngleis. Sie ist das erste Opfer eines bösen Insektenstichs, das an diesem milden Sommerabend kommt. Das quietschgelbe Rivanol ist das klassische Mittel dagegen. Pech für alle, die es später trifft: Irgendwann gegen Mitternacht ist Schmitts Vorrat erschöpft.

Steht ein Präparat auf dem Rezept, das nicht in der Karl-Apotheke bereitliegt, gibt es noch die zweite Anlaufstelle dieser Nacht. „Ist bei Ihnen heute auch so viel los?“, fragt Schmitt in der Hardt-Apotheke in Neureut nach. In einem anderen Fall tut es eine Salbe mit gleichen Wirkstoffen. Für den jungen Mann, der auf die Corona-Impfung mit Fieber reagiert, hat die Apothekerin hingegen Abhilfe griffbereit. Ein Kumpel zahlt: 5,59 Euro passend in Münzen.

Schlafwandlerische Sicherheit

„Vor Notdienst-Wochenenden bestellen wir gezielt auf Vorrat“, erklärt die erfahrene Pharmazeutin, während sie das nächste Rezept in den Computer tippt. „Wir wollen die Leute ja versorgen können. Manchmal ist es aber ein bisschen komplizierter“, sagt sie, lächelt und summt leise vor sich hin. Sie weiß schon, welches Nachfolgeprodukt das Passende ist, wenn auf dem Zettel ein nicht mehr aktuelles Medikament steht.

Verstaut sind die Präparate unter anderem in 420 Schubladen – sortiert nach Alphabet, aber ohne pharmazeutisches Fachwissen unüberschaubar. Mit schier schlafwandlerischer Sicherheit greift Schmitt Stunde um Stunde das Richtige heraus. Sie hat die Wirkstoffe und Eigenschaften der Präparate im Kopf und kennt Alternativen.

Hilfe vor Ort plus Botendienst

Schmitts Augen blitzen, wenn sie an die Werbung von Internet-Apotheken denkt, an denen sie auf dem Weg zur Arbeit vorbeiradelt. „Geh da mal hin, wenn Du nachts was brauchst“, sagt sie. „Die Leute haben doch oft plötzlich eine Not, und der Weg vom Arzt oder der Klinik zur Apotheke ist so einfach.“

Im Notdienst höre sie oft: „Sie sind ja besser als Amazon.“ Zwar habe sie nicht alles auf Lager, aber die Großhändler liefern vier- bis fünfmal am Tag. Und wenn jemand so krank ist, dass er nicht kommen kann? „Dann haben wir einen Botendienst, jeden Tag!“, sagt die 42-Jährige.

Ohrentropfen für eine alte Dame und Medikamente für ein Kind mit Magen-Darm-Infekt hat Schmitt gerade überreicht, da fährt ein Mann sein Mountainbike direkt an die Glastür. Die Apothekerin weiß Bescheid: „Das ist ein Vater, der Läusemittel abholt, der hat vorhin angerufen.“ Deshalb zum Notdienst? „Die haben es gerade eben entdeckt, und wenn die Eltern es heute noch behandeln, dürfen ihre beiden Kinder morgen wieder in die Kita“, erklärt Schmitt.

Erschöpfter Schlaf auf dem Ausklappsessel

Um 22.30 Uhr ist das Schlangestehen vorbei, erstmals drückt jemand auf den Klingelknopf an der Tür. Über diffuse Bauchschmerzen klagt die Kundin. Schmitt empfiehlt zusätzlich Tee und Wärme. „Man weiß oft nicht alles“, sagt sie. Diskretion, Verständnis und Hilfsbereitschaft sind selbstverständlich für die Apothekerin.

Gummibärchen und Windeln sind die ausgefallensten Wünsche, die Katharina Schmitt schon in den langen, mehr oder weniger durchwachten Nächten im Notdienst erfüllt hat. Mit Tee und viel Wasser hält sie durch. Irgendwann weicht die permanente innere Anspannung der Erschöpfung. Dann zieht sich die Apothekerin in den Mini-Büroraum ohne Fenster zurück, legt sich auf einen samtgrünen, ausklappbaren Schlafsessel – vor sich den Schreibtisch, schräg darüber ein brummender Schaltkasten. „Irgendwann ist man so müde, dass man wirklich schläft“, erzählt sie.

Manchmal hilft nur Trost

Umso härter wird Schmitt aus dem Schlaf gerissen, wenn es 3 und 4 Uhr geworden ist. Ans letzte Mal erinnert sich die Pharmazeutin nur zu gut. Die Frau an der Klingel erbat die „Pille danach“. Dazu stellt Schmitt stets ein paar Fragen, um das passende Präparat zu übergeben. „An der Nachtdiensttür fing die Frau dann mit mir eine Diskussion an über Vor- und Nachteile. Darauf hatte ich um die Uhrzeit und unter den Umständen keine Antwort mehr“, sagt die Apothekerin.

So kundig die erfahrene Apothekerin ist: Sie weiß, wo ihre Grenzen sind. Offen steht sie dazu, auch im Fall des jungen Mannes, der für eine Freundin ein Beruhigungsmittel erbittet. Am Glasfenster lässt Schmitt sich die Lage schildern. Die Hilfebedürftige müsse einen Todesfall verkraften, sei nicht zu beruhigen, nehme nicht einmal einen Schluck Wasser. „Ich könnte Ihnen nur Baldriantropfen bieten, die sind da keine Hilfe“, erklärt die Apothekerin, die still zugehört hat. „Bleiben Sie bei ihr, trösten sie, und wenn es nicht besser wird oder die Freundin apathisch wird, rufen Sie den Notarzt.“

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