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Gedenkveranstaltung

Neue Stelen auf dem Karlsruher Hauptfriedhof sollen an Euthanasie-Opfer erinnern

Über 220.000 seelisch Kranke und Menschen mit Behinderungen wurden zwischen 1940 und 1945 getötet. Darunter viele Karlsruher. Die Gruppe der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie will daran erinnern.

Mann arbeitet auf Friedhof
Letzte Arbeiten: Steinmetz Sven Münchgesang kümmert sich um die neun Stelen, die am Ehrenfeld B2 enthüllt werden sollen. Foto: Jörg Donecker

Zwischen 1940 und 1945 wurden im damaligen Deutschen Reich mindestens 230.000 behinderte Menschen und seelisch kranke Patienten umgebracht. „Sicher 700, wahrscheinlich aber deutlich mehr davon, waren Karlsruher Bürger“, sagt Maria Rave-Schwank.

Die Sprecherin der Karlsruher Gruppe der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) war Ärztliche Direktorin der Psychiatrischen Klinik am Städtischen Klinikum. „Sie alle hatten Angehörige, Eltern, Kinder, Geschwister und auch Freunde, die mitbetroffen waren.“

Urenkel von Karlsruher Johannes Hohl erzählt über Zeit in Bezirkskrankenhäuser

Eines der Karlsruher Opfer ist Johannes Hohl. Er war 61 Jahre alt, als er im Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren starb. Die Familie erhielt die Todesnachricht am 7. Februar 1945.

Nur wenige Monate zuvor, im Juni 1944, war er aus der Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch nach Kaufbeuren verlegt worden. „In der Krankenakte steht, dass er an Lungenentzündung gestorben ist, aber er ist wohl ein typisches Euthanasieopfer“, erzählt Matthias Mergner, der Urenkel von Johannes Hohl.

Die Gewichtskurve belegt, dass er regelrecht ausgehungert wurde.
Matthias Mergner, Urenkel von Johannes Hohl

„Die Gewichtskurve belegt, dass er regelrecht ausgehungert wurde“, berichtet Mergner und fügt hinzu, dass die sogenannte „Hungerkost“ typisch gewesen sei für die Bezirkskrankenhäuser in Bayern.

Über das Schicksal des Uhrgroßvaters wurde in der Familie nie gesprochen

Mergner erzählt, dass sein Urgroßvater Alkoholiker gewesen sei und dass er wohl aufgrund dieses übermäßigen Alkoholkonsums an Schizophrenie gelitten habe, weshalb er bereits 1934 erstmals in die Heil- und Pflegeanstalt Illenau eingewiesen worden sei.

Mergner erzählt aber auch, dass über das Schicksal des Urgroßvaters in der Familie nie geredet wurde. „Als ich angefangen habe, die Geschichte zu recherchieren, hat man das nicht gerne gesehen“, sagt er.

„Man muss sich ja schämen“, so die Aussage. Mergner erfuhr, dass man „mit dieser Art von Erkrankung“ in der Familie nicht umgehen konnte.

„Mir war es wichtig, den Urgroßvater in die Familie zurückzuholen, denn durch das Schweigen ist er ein zweites Mal umgekommen“, meint er. Mergner erzählt, dass der Urgroßvater trotz der Erkrankung viel geleistet habe und von der Ehefrau und den fünf Kindern geliebt worden sei.

Neureuter Opfer kam als Versuchspatient nach Wiesloch

Auch Mechthild Lahres sammelte Erfahrungen im Umgang mit Euthanasie-Opfern: Sie erzählt von einem Neureuter Opfer, das 1903 geboren wurde, als kleiner Junge einen Unfall hatte und danach schwerstbehindert war.

„Er kam als sogenannter Versuchspatient nach Wiesloch“, erzählt Lahres, die seit Jahren ehrenamtlich in der DGSP-Gruppe arbeitet und Lebensläufe von Opfern recherchiert.

Die meisten gaben sich mit den Angaben auf den Totenscheinen zufrieden.
Mechthild Lahres, DGSP-Ortsgruppe Karlsruhe

Sie hat dadurch erfahren, dass die Angehörigen durchaus Einfluss nehmen konnten auf das Schicksal von kranken und behinderten Menschen. Lahres berichtet von einem Fall, bei dem sich die Eltern eines behinderten Kindes massiv gegen die Einweisung dieses Kindes gewehrt hatten und das deswegen überlebte.

Lahres hat aber auch erfahren, dass viele Angehörige nie nachgeforscht haben, was in den Einrichtungen tatsächlich passiert ist. „Die meisten gaben sich mit den Angaben auf den Totenscheinen zufrieden“, sagt sie.

Auch heute noch gibt es Stigmatisierungen in der Gesellschaft

Dass eine seelische Erkrankung auch heute noch zu Stigmatisierungen führen kann, berichtet Uschi Franz. Bei ihr wurde in jungen Jahren eine Bipolare Störung diagnostiziert, weshalb sie zeitweise in einer psychiatrischen Einrichtung lebte.

Heute arbeitet sie als Genesungsbegleiterin. „Vor 80 Jahren wäre wohl auch ich eines der Euthanasie-Opfer geworden“, meint Franz. „Man leidet nie alleine, die Familie und das gesamte persönliche Umfeld sind immer mitbetroffen“, sagt sie.

„Meine Mutter hat damals nie aufgehört, an mich zu glauben, was mir sehr geholfen hat“, erzählt sie. Franz ist davon überzeugt, dass der „Mythos der Unheilbarkeit“ viel zur Stigmatisierung beitrage. Sie plädiert für eine Gleichstellung von körperlich und seelisch Kranken.

Gedenkveranstaltung am Karlsruher Hauptfriedhof am 8. Oktober

Mit einer Gedenkfeier will die Karlsruher DGSP-Gruppe an die Opfer, aber auch an das Leid und die Ächtung der Angehörigen erinnern. Dazu werden insgesamt neun Stelen enthüllt. Auf sechs Stelen stehen die Namen von Opfern, die während der sogenannten T4-Aktion getötet wurden.

Der Name steht für die systematische Ermordung von Behinderten und psychisch Kranken zwischen 1940 und 1941. Auf drei Stelen werden 30 Namen verewigt, die zwischen 1941 und 1945 in verschiedenen Einrichtungen ums Leben kamen.

Diese Namen stehen stellvertretend für alle anderen Opfer.
Maria Rave-Schwank, Sprecherin DGSP

„Diese Namen stehen stellvertretend für alle anderen Opfer“, sagt Rave-Schwank und weist darauf hin, dass die Opfer aus dieser sogenannten „Dezentralen Phase“ schwer zu ermitteln seien, da die Tötungen verschleiert wurden. „Die Opfer starben, weil sie verhungerten oder keine medizinische Behandlung bekamen. Auf den Totenscheinen ist dann oft von Lungenentzündung oder Herzinfarkt die Rede“, erklärt sie.

Die Gedenkveranstaltung zur Würdigung der Karlsruher Euthanasie-Opfer findet am Samstag, 8. Oktober, auf dem Hauptfriedhof, Ehrenfeld B2, statt. Beginn ist um 11 Uhr. Zu Wort kommen Angehörige von Opfern, aber auch Michael von Cranach, der bis 2006 Direktor des Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren war und der die Beteiligung der Einrichtung am Euthanasie-Programm aufarbeitete.

Buch zur Geschichte

Weitere Informationen zum Thema gibt es in dem Buch „Gegen die Macht des Vergessens“. Herausgeberin Maria Rave-Schwank. Info Verlag, 2020.

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