Vor wenigen Wochen kamen die Erinnerungen noch einmal hoch und Karlheinz Klotz sah sie vor sich, die Bilder aus dem Sommer 1972. Den Lauf in die Geschichtsbücher, die Siegerehrung im Olympiastadion, die Zeit im Olympischen Dorf, aber auch die dunklen Stunden aus jenen Tagen.
Ein halbes Jahrhundert nach dem Bronze-Coup mit der 4x100-Meter-Staffel war Klotz Anfang Juli mit anderen Medaillengewinnern der München-Spiele in der bayerischen Landeshauptstadt zusammengekommen. „Highlights waren Gespräche mit damaligen DDR-Athleten und mit heutigen Bewohnern des Olympischen Dorfes“, erzählt er.
Viel hatte vor 50 Jahren nicht gefehlt und es wäre alles ganz anders gekommen. Im Sommer 1972, kurz vor Beginn der Spiele, muss Klotz einen Schicksalsschlag verkraften, der ihn beinahe die Olympia-Teilnahme kostet. „Ich bekomme heute noch eine Gänsehaut, wenn ich daran denke“, sagt er.
Schreckliche Nachricht erreicht Neureuter Klotz in der Mensa
August 1972. Der junge Mann aus Neureut, damals gerade 22, sitzt wenige Tage vor der Eröffnungsfeier nichtsahnend in der Mensa, als ihn eine schreckliche Nachricht aus der Heimat erreicht: Sein Trainer und Mentor Heinz Heuser ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen.
Das war’s. Olympische Spiele ade, habe ich damals gedacht.Karlheinz Klotz, Medaillengewinner bei Olympia 1972
„Das war’s. Olympische Spiele ade, habe ich damals gedacht“, sagt der heute 72-Jährige rückblickend. Bei der Beerdigung habe er aber von Angehörigen und auch von seiner eigenen Familie viel Zuspruch erhalten: „Es wäre in Heinz’ Sinne gewesen, tue es für dich und tue es für Heinz, haben sie gesagt.“
Und so reist Klotz – in Gedanken bei seinem tödlich verunglückten Trainer – doch zurück nach München und erlebt am 10. September auf der Tartanbahn des Olympiastadions nach Tagen der Trauer einen Glücksmoment. Der Druck ist groß, als er den Staffelstab von Jobst Hirscht übernimmt. Auf der anderen Seite der Gegengeraden wartet Gerhard Wucherer.
„Im Jahr zuvor bei der EM haben wir den Wechsel vermasselt, diesmal musste es klappen“, erzählt Klotz. Und es klappt. Wucherer schnappt sich den Stab, schießt um die Kurve und schickt Klaus Ehl auf die Zielgeraden, der letztlich hinter den Athleten aus den USA und der Sowjetunion als Dritter einläuft.
Gedrückte Stimmung beim Empfang in Neureut
Trotz des unerwarteten Bronze-Coups fällt die Feier hinterher klein aus. Auch beim Empfang in Neureut, damals noch eigenständig und kein Stadtteil von Karlsruhe, geht es nicht sonderlich ausgelassen zu, wie sich Klotz erinnert: „Der Terroranschlag und der Tod meines Trainers haben auf die Stimmung gedrückt.“
Reichlich stolz ist Neureut dennoch auf sein Sprinter-Ass. Bei der Leichtathletik war Klotz recht spät gelandet. Er ist bereits 13, als er beim Wettrennen mit den Nachbarsjungen als besonders schneller Läufer auffällt. Beim TV Neureut-Süd versucht er sich zunächst im Mehrkampf, glänzt unter anderem im Hoch- und Weitsprung, ehe er sich als junger Erwachsener auf die Sprintdisziplinen konzentriert.
Und das mit großem Erfolg. Bei den deutschen Meisterschaften in Stuttgart ist er 1971 sowohl über 100 als auch über 200 Meter nicht zu schlagen. Verletzungsprobleme verhindern ein Jahr später allerdings einen Einzelstart bei Olympia.
So bleibt ihm nur der mögliche Einsatz im Team, für das sechs Läufer infrage kommen. „Manfred Ommer ist nach dem Attentat nicht mehr angetreten und Klaus Bieler steckte in einem Formtief“, erklärt Klotz, warum sich das BRD-Quartett damals praktisch von selbst aufstellte.
Aus der „Zwangsgemeinschaft“ wurden dicke Freunde
Die vier Athleten harmonieren an jenem Tag auch im Team. „Als Einzelläufer waren wir Konkurrenten, in der Staffel dann eine Zwangsgemeinschaft“, sagt Klotz.
Das hat sich längst geändert. Die vier Bronze-Sprinter sind inzwischen dicke Freunde und treffen sich regelmäßig – in diesem Juli dann am Ort ihres damaligen Medaillen-Coups. Nach dem offiziellen Programm blieben Klotz, Hirscht, Wucherer und Ehl noch drei Tage länger in München.
Auch ansonsten hat Klotz, der Mitte der 1970er Jahre seine aktive Karriere bei Salamander Kornwestheim beendete, die Leichtathletik nie losgelassen. Seit vielen Jahren leitet der studierte Bauingenieur beim TuS Neureut, wie sein Heimatverein mittlerweile heißt, die Abteilung und ist selbst nach wie vor ziemlich fit. Dafür sorgen häufige Rad- und Walking-Touren, aber auch seine drei Enkel. Und denen hat er – nach seinem neuerlichen München-Trip erst recht – viel zu erzählen.