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Notdienst im Rathaus West versorgt mit Geldkarten

Rund 700 Karlsruher sind über den Jahreswechsel wohnungslos – hier bekommen sie Hilfe

Wie halten sich eigentlich die ärmsten Menschen in Karlsruhe finanziell über Wasser, wenn „zwischen den Jahren“ fast alles geschlossen und das Geld womöglich alle ist? Im Rathaus West hilft ein Notdienst Menschen in prekärer Lage.

Nur per Karte: Selbst wer seinen Tagessatz persönlich beim Sozialamt abholt, erhält das Geld nicht mehr bar in die Hand.
Nur per Automat: Selbst wer seinen Tagessatz persönlich beim Sozialamt abholt, erhält das Geld nicht mehr bar in die Hand, sondern eine Geldkarte. Foto: Andrea Warnecke/dpa-tmn

Das Leben ist schwierig, wenn man mit sehr wenig Geld auskommen muss. Noch schlimmer ist dran, wer nicht einmal ein Bankkonto hat.

Neujahr und anschließend Wochenende: Das Jahr 2021 beginnt mit drei Tagen, an denen Menschen in prekärer Lage noch mehr Wege verschlossen sind als sonst. In Karlsruhe sorgen Notdienst-Teams immerhin vor.

Automat schluckt die Geldkarte als Beleg

20 bis 30 bedürftige Frauen und Männer kommen regelmäßig, spätestens zum Monatswechsel, ins Rathaus West am Mühlburger Tor. Manche, aber nicht alle, haben mithilfe der Sozialbehörde ein Dach über dem Kopf, zum Beispiel im Hotel Anker, wo auch wohnungslose Frauen zum Schutz vor dem Erfrieren übernachten können. Einige warten bereits vor dem großen historischen Eckgebäude, wenn es um 8.30 Uhr für drei Stunden für sie öffnet.

Etwa zehn Geldkarten pro Tag programmiert das Team in coronagerechten Sprechzimmern im Erdgeschoss des Rathauses. Nicht Scheine und Münzen gehen von Hand zu Hand, sondern Geldkarten. Die passen in einen Automaten, der innerhalb eines Zeitfensters die angewiesene Summe Bargeld auswirft. Dann schluckt der Apparat die Karte als Beleg.

Längst nicht jeder mittellose Mensch kann bei der Sozialbehörde nahe der Christuskirche Geld abholen. EU-Migranten zum Beispiel oder Wohnungslose, die neu in Karlsruhe sind, gesteht das Gesetz erstmal keine Hilfe zu. Sie können aber zu Uwe Enderle von der Wohnungslosenhilfe der Diakonie Karlsruhe im Tagestreff „Tür“ kommen, wo täglich 50 Männer und einige Frauen nacheinander erscheinen, oder im Tagestreff „Taff“ für Frauen zu Lissi Hohnerlein vom Verein „Sozialpädagogische Alternativen“ (Sozpädal).

700 Karlsruher sind über Neujahr ohne Zuhause

Umgekehrt steuern nur wenige Menschen in der Stadt, die wohnungslos und bettelarm sind, den Geldautomaten im Rathaus West an. Die weit überwiegende Mehrheit erhält Zahlungen per Überweisung.

„In Karlsruhe haben wir zur Zeit rund 600 wohnungslose Menschen“, sagt Hohnerlein. Allerdings gebe es zusätzlich Post-Abholer – ein Indiz dafür, dass jemand bei wechselnden Bekannten unterschlüpft oder wohnt, wo man sich nicht offiziell anmelden kann oder es nicht mal einen Briefkasten gibt. „Diese verdeckte Wohnungslosigkeit wird auf mindestens 20 Prozent geschätzt“, sagt die Tagestreff-Leiterin. Damit wächst der Kreis der Karlsruher, die ohne eigenes Zuhause ins Jahr 2021 gestartet sind, auf mehr als 700.

Auch Familien sind dabei. „Wir vom Tagestreff für Frauen haben in der letzten Dezemberwoche zwölf Mütter mit Essen und Gutscheinen ausgestattet, die mit ihren Kindern in einem Hotelzimmer oder einer Pension wohnen, wo es keine Küche gibt“, sagt Lissi Hohnerlein.

Insgesamt versorgte die Einrichtung für die Durststrecke über Neujahr rund 70 Besucherinnen. Auf der Straße leben sechs der Frauen, die Hohnerlein regelmäßig sieht. Zwei von ihnen erhalten ihr zufolge im Rathaus West ihren Tagessatz.

Es ist wichtig, die Lebenssituation der Menschen zu kennen.
Mauricette Smitran, Notdienst-Team im Rathaus West

In der Regel gibt es pro Tag 14,40 Euro, ein Dreißigstel der Monatssumme von 432 Euro, erklärt Mauricette Smitran die Amtsformel. Stehen Wochenende und Feiertage bevor, wird entsprechend multipliziert. Wer am Dienstag kam, erhielt auch schon die Tagessätze für Mittwoch bis Sonntag. Das muss bis zum Morgen des 4. Januar 2021 reichen.

Ein Treuhandkonto hilft Schuldnern

28 Jahre Erfahrung hat Smitran und betont: „Mitgefühl braucht man. Es ist wichtig, die Lebenssituation der Menschen zu kennen.“ Inzwischen gehören fest vergebene Termine zum eingespielten Ablauf. Das funktioniere gut, sagt die Teamleiterin: „Zu 80 Prozent klappt das.“

Den anderen „einzelnen Pappenheimern“ hält sie deren Umstände zugute: „Die haben eine gewisse Toleranz verdient.“ Sie schüttelt auch nicht den Kopf, wenn sich ein wohnungsloser Mensch beim Bäcker ein belegtes Brötchen kauft. Luxus? „Wer auf der Straße lebt, dem ist das Selbermachen gar nicht möglich“, gibt Smitran zu bedenken.

Mit sehr wenig Bargeld in Karlsruhe durchschlagen müssen sich auch Menschen, bei denen sich extreme Schulden angehäuft haben. Manche kooperieren freiwillig mit dem Verein Sozpädal. „Vier, fünf oder sogar zwölf Gläubigern gegenüberzustehen, das kann eine enorme Überforderung sein“, sagt Jörg Mauter vom Sozpädal-Vorstand.

Der Verein bietet ihnen ein Treuhandkonto an. „Da schreibt dann unser Betreuer je nach Absprache zum Monatsersten oder auch viermal pro Monat einen Scheck aus. Dem Klienten wird dann bei der Bank die Summe ausgezahlt“, erklärt Mauter. „Das ist sein eigenes Geld“, betont er, „aber es ist ein wunderbares Instrument und hilft bei der Stabilisierung.“

Behörde leitet Spenden an Bedürftige weiter

Mauricette Smitran und ihr Notdienst-Team der Abteilung Soziales und Teilhabe (SoTei) im Rathaus West werden zwischen Weihnachten und Neujahr sowohl für die ärmsten Menschen in Karlsruhe als auch bei akuten Notfällen wie dem Wohnungsbrand am letzten Sonntag im Dezember in der Untermühlsiedlung aktiv.

Spenden sind für die Bedürftigsten Gold wert. Die Sozial- und Jugendbehörde hat dafür extra Spendentöpfe eingerichtet. Wer spenden will, kann direkt Kontakt aufnehmen per E-Mail an sotei@sjb.karlsruhe.de.

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