
Das hat uns gerade noch gefehlt – zu den allgemein steigenden Preisen, der allmählich unbezahlbaren Energie und dem Mangel an qualifiziertem Nachwuchs treffen die Lieferengpässe bei Arzneimitteln die Apotheken besonders hart. Die Zusatzbelastungen in den Apothekenteams sind enorm.
Lange vorbei sind die Zeiten, in denen ein kurzer Anruf beim Großhandel ausreichte, um in Ausnahmefällen die Lieferung dringend benötigter Medikamente zu beschleunigen. Stattdessen telefoniert sich das Apothekenpersonal die Ohren wund, um an alltägliche Arzneimittel zu kommen.
Der Stress-Level ist am Anschlag, zu wenig Zeit, kaum Personal.Martin Braun über die aktuelle Situation der Apotheken
In vielen Apotheken gehört die Eigenherstellung bestimmter Medikamente mittlerweile zur Tagesordnung. Weil das sehr zeitaufwändig ist, muss das pharmazeutische Personal eigens dafür abgestellt werden. Das Problem: Nur für wenige Apotheken kommt dies infrage, da bereits ohne Lieferengpässe und Eigenherstellung schlicht zu wenig Personal vorhanden ist.
Eine Umfrage unter Apotheken vom vergangenen Monat kam zu einem deutlichen Ergebnis: Das Stress-Level ist am Anschlag, zu wenig Zeit, kaum Personal – und die Kosten laufen weiter.
Tabletten statt Saft
Um die unübersehbaren Lücken in den Regalen und Apothekerschränken nicht noch größer werden zu lassen, geben die Apotheken immer häufiger nicht die verordnete Packungsgröße ab oder weichen von der verordneten Darreichungsform ab. Anstelle des Safts gibt’s dann eben Tabletten.
Doch auch an den Basics mangelt es inzwischen. Erst kürzlich war in der Deutschen Apotheker Zeitung zu lesen, wie wunderbar sich Kakaobutter statt Hartfett als Grundlage für Paracetamol-Zäpfchen in Eigenherstellung eignet. Diese Lösungen klingen pragmatisch und kreativ – sind für sich gesehen aber ein unhaltbarer Zustand.
Jedes fünfte Medikament ist betroffen
Denn die anhaltenden Lieferengpässe sind für die Apothekerschaft eine Katastrophe. Mittlerweile ist jedes fünfte Medikament betroffen. Wie sollen wir als Apotheker unter diesen Umständen eine flächendeckende Arzneimittelversorgung gewährleisten?
Ich kann den Frust unter den Apothekern da gut verstehen. Dank und Anerkennung für den unermüdlichen Einsatz bleiben nämlich aus. Ganz im Gegenteil: Einerseits wird den Apotheken ab diesem Jahr bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Medikamente das Honorar um etwa 3 Prozent gekürzt, andererseits hält die Apothekenvergütung mit der horrenden Inflation schon lange nicht mehr schritt.
Immer mehr Apotheken machen dicht
In diesem Teufelskreis wird es für immer mehr Apotheken so eng, dass sie für immer dichtmachen. Die Patienten werden es also künftig noch schwerer haben, an Fiebersaft und Co. zu kommen. Nicht umsonst avancierte genau dieses Medikament zum Symbol der Misere: In einer aktuellen aposcope-Umfrage geben über 90 Prozent der Apotheker an, dass sie erhebliche Schwierigkeiten haben, an Fiebersaft zu kommen.
Diese Entwicklung ist besonders fatal, weil es gerade bei der Versorgung von Kindern schwierig ist, gangbare Alternativen zu finden. Nicht jedes Kind wird eine Tablette anstelle des vertrauten Fiebersafts anstandslos schlucken. Und wie sieht es mit Menschen aus, die auf verschiedene Medikamente angewiesen sind? Mögliche Wechselwirkungen können der Umstellung schnell einen Strich durch die Rechnung machen.
Um die Dimension zu verdeutlichen: Wir sprechen hier nicht von leeren Nudelregalen. Manche Patienten sind auf einen bestimmten Wirkstoff und Einnahmeform angewiesen. Die Lage darf sich nicht weiter zuspitzen.
Zum Glück sind die meisten Ursachen für die Lieferengpässe politisch lösbar. Angesagt sind jetzt weitreichende Maßnahmen wie die Verlängerung von Ausnahmeregelungen zur Abgabe alternativer Wirkstoffe. Momentan können die Apotheken Lieferengpässe zwar mit viel Aufwand, aber immerhin relativ unbürokratisch managen – sofern die Alternative verfügbar ist.
Produktion nach Europa zurückholen
Wichtig ist auch, die Wirkstoff- und Arzneimittelproduktion wieder nach Europa zurückzuholen. Schwerpunkte liegen dieser Tage in Indien und China. Diese Länder sind allerdings extrem anfällig für Störungen in den Lieferketten. Gerade China hat uns in der Coronazeit sprichwörtlich den Hahn zugedreht.
Das Beispiel Österreich zeigt, dass lukrative Produktionsumfelde geschaffen werden können. Die dortige Regierung investiert einen Millionenbetrag in das Novartis-Werk in Kundl, um die Antibiotikaproduktion zu sichern. Alles eine Frage der Prioritäten.
Die politische Verweigerungshaltung rechtfertigt jedes Protestvideo.Martin Braun fordert die Politik auf, endlich zu handeln
Und hierzulande? Das Thema scheint in der Politik angekommen zu sein. Die Reaktionen darauf wirken jedoch mitunter verstörend. Während die einen nach „transparenten“ Apothekenlagern rufen, legen die anderen „Eckpunkte“ vor, die das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben stehen. Daneben etabliert sich immer mehr der Euphemismus „Ungleichverteilung“. Diese politische Verweigerungshaltung rechtfertigt jedes Protestvideo und jeden Brandbrief vonseiten der Apothekerschaft.
Der Startschuss muss jetzt fallen
Die Politik muss endlich begreifen, dass die Apotheken ein integraler Bestandteil der Gesundheitsversorgung sind. Ohne uns läuft nichts. Die Lieferengpässe setzen Patienten und Apothekern massiv zu. Die Lösungen liegen in nachhaltigen und langfristigen Ansätzen. Der Startschuss für diese Maßnahmen muss aber jetzt fallen.
Auf eines können Sie sich jedoch verlassen: Wir Apothekerinnen und Apotheker werden alles in unserer Macht stehende tun, um die kontinuierliche Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln zu gewährleisten. Dafür sind wir Apotheker geworden, darum sind wir für Sie da.