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Sozialprojekte in Karlsruhe

Schlangestehen für eine Packung Mehl: Wo es in Karlsruhe kostenlose Lebensmittel gibt

Steigende Preise und durch den Krieg mehr Bedürftige: Diese Kombination stellt die Tafeln und weitere Ausgabestellen von kostenlosen Lebensmitteln vor Probleme. In Karlsruhe gibt es Akteure, die Bedürftige unterstützen.

 Tafel / seimensch bei der Liebfrauenkirche
Anstehen für Nahrungsmittel: Wenn die Gruppe #seimensch in die Südstadt kommt, ist die Schlange immer schon lange. Foto: Jörg Donecker

An der Liebfrauenkirche in der Südstadt stehen Menschen Schlange. In gut einer Stunde gibt es vor dem Gotteshaus kostenlos Lebensmittel. Die Gruppe #seimensch verteilt zweimal pro Woche Mehl, Nudeln, Brot oder Gemüse. „Über ein Päckchen Tortellini würde ich mich freuen“, sagt eine 63-Jährige. Beim Warten erzählt sie ihre Geschichte: Ihr von ihr getrennt lebender Mann bezahlt zwar die Miete, sonst aber nichts. „Ich habe kein Einkommen, aber noch nie Hartz IV genommen.“

Die Frau hat eine Tüte dabei. „Ich versorge auch meine 86 Jahre alte Mutter und meine Schwester.“ Gibt es mal Schokolade, hebt sie diese für ihre in Tübingen studierende Tochter auf. Regelmäßig kommt die 63-Jährige, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, zu der Lebensmittelausgabe. „Wenn die Vesperkirche läuft, bin ich dort ebenso“, berichtet sie. Andere Wartende kennen weitere Adressen, wissen, wann wo etwas zu essen ausgegeben wird.

Quer über die Stadt verteilt gibt es entsprechende Initiativen. Und viele stehen vor dem gleichen Problem: Während sowohl von Einzelhändlern als auch von Privatpersonen immer weniger Spenden kommen, wächst nicht zuletzt durch die Flucht vor dem Ukraine-Krieg die Zahl der Kunden.

Eine Soforthilfe in Höhe von je 5.000 Euro für die drei Tafeln forderte deshalb als erste Reaktion die SPD-Fraktion. Sozialbürgermeister Martin Lenz (SPD) stellt diese Summe aus Stiftungsmitteln zur Verfügung. Doch er ist sicher: „Die Lösung ist nicht alleine Geld.“ Der Dezernent glaubt vielmehr, dass sich durch eine noch stärkere Vernetzung der Akteure Synergien ergeben, von denen alle profitieren. Auf diesem Weg biete die Stadt Unterstützung an.

Einige Kunden kommen extra aus Rastatt

Lenz nennt Beispiele: Eine Gruppe bekommt Lebensmittel, die gekühlt werden müssen, hat aber keinen Kühlschrank. Andere wiederum haben ein Kühlhaus, das aber leer ist. Aus Gesprächen weiß der Bürgermeister, dass manche Ehrenamtler quer durch die Stadt fahren, um Spenden abzuholen, dass das Windhundprinzip entscheidet, wer was bekommt.

Und auch, dass bei den Tafeln mancher Kunde Ausweise für bis zu fünf Ausgabestellen hat oder sogar aus dem Raum Rastatt nach Karlsruhe fährt. „Wir würden uns wünschen, dass es im Landkreis Karlsruhe mehr Tafeln gäbe“, so Lenz. Die Tafel im Rheinhafen hat erst vor kurzem einen Aufnahmestopp für neue Kunden aufgehoben.

Zu den 1.200 bisherigen Nutzern kamen über 400 Ukrainer hinzu, erzählt Gabriela Plohmann, die seit 26 Jahren bei diesem Sozialprojekt mitwirkt. Obwohl es für die Ausgabe drei Zeitfenster gibt, seien Wartezeiten von anderthalb Stunden keine Seltenheit.

Inflation sorgt auch bei Tafeln für weniger Spenden

Vertreter der Tafeln trafen sich nun auf Einladung von Lenz mit zahlreichen weiteren Akteuren, vom Sozialprojekt des Bürgervereins in der Waldstadt, dem Sozialgarten von Initial und dem Herzprojekt, das am Kühlen Krug aktiv ist, bis hin zu #seimensch. Auch Foodsharing war dabei, eine Initiative, die vor allem aus Gründen der Nachhaltigkeit Lebensmittel retten will. 1.000 Euro und bei begründetem Bedarf mehr gehen ebenfalls aus Stiftungstöpfen an die Akteure, so Lenz.

Der Bürgermeister kann sich vorstellen, dass eine zentrale Ausgabe der Ausweise bei den Tafeln verhindert, dass einige Kunden mehrere Stellen aufsuchen. „Bisher gleichen wir manchmal mit der Beiertheimer Tafel händisch unsere Listen ab, das könnte man wahrscheinlich vereinfachen“, so Plohmann. Lenz hofft zudem, künftig an mehr Spenden zu kommen.

Zusammen mit Wirtschaftsbürgermeisterin Gabriele Luczak-Schwarz (CDU) will er Lebensmittelmärkte und ebenso die Betriebe im Großmarkt ansprechen. Die städtische Sozialplanerin Regina Heibrock sagt: „Einige spenden frische Ware, einfach weil sie spenden wollen.“ Andere Händler wiederum würden aktuell weniger geben und lieber Lebensmittel kurz vor dem Verfallsdatum selbst günstig verkaufen.

Die Inflation ist auch bei unseren Unterstützern angekommen.
Sandra Czepielewski, Gründerin von #seimensch

„Wir bekommen weniger Spenden, die Inflation ist auch bei unseren Unterstützern angekommen“, sagt Sandra Czepielewski. Vor zwei Jahren lernte sie zu Beginn der Pandemie Serdar Kunduz an einem sogenannten Gabenzaun kennen. Beide kamen ins Gespräch – und gründeten die private Initiative #seimensch.

Mit Kisten voller Lebensmittel steuerten sie den Werderplatz an. „Es kamen spontan 50 Leute, die Bedarf hatten“, erinnern sich die Ehrenamtlichen. Und mancher Passant habe angeboten, im nahen Supermarkt noch etwas zu kaufen, um es zu spenden. Das Projekt wuchs. „Heute haben wir knapp 50 Helfer und versorgen vor der Liebfrauenkirche pro Woche etwa 300 Menschen“, erzählt Kunduz. Eine ukrainische Familie reist für die Ausgabe aus Pforzheim an. „Sie arbeitet inzwischen selbst mit. Nur wenn sie etwas tun dürfen, wollen sie unsere Hilfe annehmen“, erzählt Czepielewski.

Gerade war sie auf eigene Kosten einkaufen, damit noch einige Konserven mehr auf dem Ausgabetisch stehen. „Anfangs war das Lager in meinem Wohnzimmer“, erzählt sie. Jetzt nutze man Raum bei der ebenfalls in der Südstadt befindlichen Nehemia Initiative. Kooperationen gibt es zudem schon mit Foodsharing. „Dort fährt schon mal jemand mit der S-Klasse vor, um sich Lebensmittel zu holen, nicht weil er arm, sondern vom Konzept überzeugt ist“, weiß Kunduz.

Er und seine Mitstreiter klären vor dem Gotteshaus im Gespräch, ob jemand bedürftig ist. „Wir hatten mal eine junge Mutter hier, die uns erzählte, dass sie nicht von Sozialleistungen lebt. Aber weil die Waschmaschine repariert werden musste, kam sie in dem Monat mit dem Geld nicht klar“, erzählt Czepielewski. Die Frau bekam Lebensmittel. „Und im Monat darauf brachte sie uns welche als Spende an andere.“

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