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Saurier-Affäre

Shitstorm aus Brasilien trifft Naturkundemuseum Karlsruhe 2022 ins Mark

Eine falsche Datumsangabe bei der Einfuhr eines Fossils wird 2022 beim Naturkundemuseum Karlsruhe zum Politikum. Am Ende gibt es lauter Verlierer.

Das Fossil des Sauriers Ubirajara im Naturkundemuseum in Karlsruhe.
Darum geht es: Seit Jahrzehnten befindet sich das Fossil des Sauriers Ubirajara im Naturkundemuseum in Karlsruhe, jetzt wollen die Brasilianer die versteinerten Überreste zurück. Foto: Jörg Donecker

Richtig zur Ruhe kommt Eberhard „Dino“ Frey auch im Ruhestand nicht. Anfang Oktober sucht der pensionierte Paläontologe in einer mexikanischen Mine nach knöchernen Hinweisen für eine frühe menschliche Besiedlung des amerikanischen Kontinents. Nach seiner Rückkehr geht es an die Untersuchung des Flugsaurier-Fossils aus dem oberfränkischen Wattendorf. Wird einmal nicht geforscht, steht Holzhacken auf dem Programm. „Das alles hält mich fit“, sagt Frey. „Deshalb will ich mich auch nicht beklagen.“

Vor einem Jahr sieht es noch anders aus. Da hat der langjährige Leiter der geologischen Abteilung des Naturkundemuseums Karlsruhe ein Disziplinarverfahren am Hals. Grund ist eine falsche Datumsangabe bei der Einfuhr eines Fossils aus Brasilien. Mehrere Jahre liegt die Steinplatte von der Öffentlichkeit unbemerkt im Museum.

Doch die wissenschaftliche Publikation im Fachmagazin Cretaceous Research über den Flugsaurier Ubirajara jubatus wird in der Fachwelt als Sensation gefeiert. Die Freude ist nur von kurzer Dauer. Als Zweifel am Einfuhrdatum angemeldet werden, steht das Naturkundemuseum inmitten eines Shitstorms. In den sozialen Netzwerken werden Frey und seinen Kollegen Diebstahl und Nazi-Methoden unterstellt. Der Ton ist rau, die Empörung groß.

Saurier-Affäre zieht weitere Kreise

„Natürlich war das ein idiotischer Fehler von mir“, sagt Frey heute. Aber er sei sich immer sicher gewesen, dass das Fossil auf legalem Wege nach Deutschland kam. Auch Recherchen dieser Redaktion ergeben, dass die versteinerten Saurier-Reste 2006 von brasilianischen Händlern über ein pfälzisches Import-Unternehmen für Fossilien nach Deutschland gebracht werden – also noch vor dem 26. April 2007, seitdem die Einfuhr von Fossilien aus Brasilien nach einem internationalen Abkommen verboten ist. Im September 2021 bestätigt auch das baden-württembergische Wissenschaftsministerium die rechtmäßige Einfuhr.

Einige Brasilianer lassen sich davon aber nicht beeindrucken. Sie beharren ihrerseits darauf, dass der Fossilien-Export nach brasilianischem Recht seit 1990 verboten sei. Frey will auch gar nicht auf Jahreszahlen beharren und sucht nach einer eleganten Lösung wie der Rückgabe des Fossils im Rahmen eines Festakts mit einem brasilianischen Museum.

Doch zu diesem Zeitpunkt hat die Saurier-Affäre schon längst weitere Kreise gezogen. Das baden-württembergische Wissenschaftsministerium will sich um die lückenlose Aufklärung kümmern, vollzieht eine Kehrtwende und kommt im Juli zu folgendem Schluss.: Die Herkunft kann nicht eindeutig geklärt werden und deshalb muss das Fossil zurückgegeben werden.

Eberhard Frey und Museumsdirektor Norbert Lenz am Pranger

Die Leidtragenden sind zunächst einmal Eberhard Frey und Museumsdirektor Norbert Lenz, die nun öffentlich am Pranger stehen. Zwischenzeitlich erhalten die renommierten Wissenschaftler sogar einen Maulkorb, wenig später betont das Ministerium, dass sie sich lediglich nicht zur Vorgehensweise des Ministeriums äußern sollen. „Man war weniger um Aufklärung bemüht, sondern vor allem um Schadensbegrenzung“, sagt Frey.

Was ihn fast noch mehr ärgert als persönliche Anfeindungen, ist der Umstand, dass die Karlsruher Affäre anschließend von zahlreichen Fachmagazinen publizistisch ausgeschlachtet wird. „Namhafte Zeitschriften betrieben auf einmal Stimmungsmache“, sagt Frey. „Da haben Leute publiziert, die im Internet bekannterweise Hassbotschaften verschickten.“

Abgeschlossen ist die Affäre für Eberhard Frey auch nach der Einstellung des Disziplinarverfahrens nicht. „So was hängt einem lange nach“, betont er. Außerdem habe die Debatte um den rechtmäßigen Besitz von Fossilien der gesamten Paläontologie geschadet. „Es ist eine internationale Wissenschaft, die vom weltweiten Austausch lebt“, sagt Frey.

Deshalb brauche es endlich klare politische Vorgaben, damit es nicht bei der nächstbesten Gelegenheit wieder zu einem Shitstorm kommt. Unbeschadet überstanden hat die ganze Debatte übrigens die Steinplatte mit dem Flugsaurier. Die befindet sich noch immer im Naturkundemuseum, ein Rückgabe-Termin steht bis heute nicht fest.

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