In der Kriegsstraße sitzen zwei junge Männer mit nacktem Oberkörper und kurzen Hosen auf einer Balkon-Brüstung schräg gegenüber dem Staatstheater, die Bierdosen haben gerade eine kurze Pause. Ecke Jolly- und Karlstraße stehen zwölf junge Leute, plaudern und schlotzen zwischendrin an ihren Eiswaffeln.
In seinem Garten in Daxlanden nahe der Kreuzung von Waidweg und Daxlander Straße tollt ein Mann im T-Shirt mit zwei großen Hunden. Und in Durlach Ecke Pfinztal- und Amthausstraße greifen, wie auf eine geheime Verabredung hin, zwei junge Damen fast synchron in ihre Handtaschen und zücken mondäne Sonnenbrillen.
Am Sonntag liegt eine Art doppelter Verheißung in der Karlsruher Luft: Der Sommer lässt mit Temperaturen von jenseits der 20 Grad Celsius einen Versuchsballon steigen, und für viele Menschen wirkt dieser Vorgeschmack auf die warme Saison zugleich auch wie das zarte Versprechen unbeschwerter nach-pandemischer Zeiten.
Elodie, so heißt eine der sonnenbebrillten jungen Damen in Durlach, fasst diesen Sonntag, der zugleich auch Muttertag ist, so zusammen: „Die Tage werden größer, die Inzidenzwerte kleiner.“ Am Samstag haben sich ihre Eltern in der Karlsburg impfen lassen, und die Zweitimpfung ist für den 24. Juli geplant.
Jetzt ist sich die junge Dame sicher: Dem Griechenland-Urlaub im Spätsommer steht nichts mehr im Weg. „Das bringt dieser Sonntag für mich zum Ausdruck.“ Spricht’s und schiebt wie zur Bestätigung die dunkle Sonnenbrille mit geübter Hand über den Rand ihrer FFP2-Maske.
Grillen gehört zum Lebensgefühl
Wer am Samstag zum Lebensmittel-Shopping ausgeschwärmt ist – beispielsweise zu Scheck-In – der stand besonders lange an der Fleischtheke. „Die Leute wollen grillen“, hat eine der Fachverkäuferinnen festgestellt: Geflügelspieße mit Zwiebeln und Paprika, Merguez-Würste, Lammsteaks – diese Kollektion für sechs Personen landet im Einkaufswagen von Esther Pelletier.
Eltern und Schwiegereltern seien bereits geimpft, für sie und ihren Mann lägen Schnelltests parat. Ist das Ergebnis negativ, wird „angegrillt“, verkündet die Durlacherin. Auf der Terrasse, ganz wie vor Corona, und mit einem Couscous-Salat nach eigenem Rezept.
Rheinufer als Magnet
Während diese Herrschaften am Sonntag wahrscheinlich gerade im Duft von Holzkohle und Lammfleisch schwelgen, ist auch am Rhein zwischen den Maxauer Brücken und dem Hafensperrtor gefühlt der Sommer ausgebrochen. Auf den Buhnen, die trotz der jüngsten Regenfälle noch immer weit in Richtung Strom-Mitte ragen, sieht man Kinder klettern und Rheinkiesel werfen.
Am Uferdamm haben es sich Familien auf Halbhöhe gemütlich gemacht und Körbe mit Getränken und verschließbaren Plastik-Containern verteilt. Bei Dimitri Lem und seiner Frau gibt es Blinis, Salat mit Hühnchen und belegte Brote. Überall parken E-Bikes, ihre Eigner sind oft behelmte Senioren mit papageienbunten Radlerhosen und selbstbewusst präsentierten Waden. „Na klar bin ich geimpft“, verkündet Hans-Henning Rodrian, „sogar schon zum zweiten Mal.“
Sie gesellen sich auf einen der quer liegenden Baumstämme, die den Spielplatz zwischen dem einstigen Hofgut Maxau und dem Rhein flankieren, und erfreuen sich am dortigen Wasserspiel. Kaffee und Marmorkuchen haben die beiden selbst mitgebracht. Mit Blumenservietten und Porzellanbechern zelebrieren sie den warmen Tag.
Viel Verkehr im Oberwald
Gefeiert wird die sonntägliche Stippvisite des Sommers auch im Oberwald zwischen Wohnstift, den Seen und der Südtangente. Trauben schwatzender Muttertags-Flaneure jeden Alters, dazwischen schwitzende Jogger, Mountainbike-Reiter und Rollator-Schieberinnen gehen sich hier gegenseitig aus dem Weg, und nicht immer gelingt es, den Zwei-Meter-Abstand einzuhalten.
Das Bild vor dem Schloss ist nicht viel anders. Kaffeebecher und Eistüten führen die Reihe der Accessoires hier an. „Hat eigentlich jemals einer dem Markgrafen da oben eine Maske aufgesetzt?“, fragt ein gut gelaunter Jüngling mit schwarzem Vollbart und deutet auf das Denkmal von Karl Friedrich. „Das lohnt sich jetzt auch nicht mehr“, meint eine seiner Begleiterinnen. Und meint wohl, dass Corona nun abgehakt sei. Dass Karl Friedrich nicht Markgraf, sondern Großherzog war, sagt sie ihm nicht.