Die zweidimensionale Grafik erinnert an ein simples Computerspiel aus den 1980er Jahren. Allerdings werden auf der Plattform Gathertown der Fachschaft Physik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) keine Monster bekämpft oder Schätze gesammelt, sondern Kontakte zu Kommilitonen und studentischen Beratern geknüpft. Jeden Mittwoch können sich Erstsemester bei der digitalen Sprechstunde durch einem virtuellen Raum bewegen, andere Spielfiguren ansprechen und Tipps für die Organisation des Studiums erhalten.
„Die Fachschaften haben sich in diesem Wintersemester viel einfallen lassen, um die Erstsemester abzuholen“, sagt Adrian Keller von Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) des KIT. Auf dem Universitätsgelände ist die aktive Kontaktpflege während der Corona-Pandemie schließlich kaum möglich. Während des hybriden Wintersemesters finden die meisten Vorlesungen nur online statt. Der Campus-Süd des KIT ist ebenso wie die anderen Hochschulen quasi leergefegt. Selbst um die Mittagszeit holen nur wenige Studierende und wissenschaftliche Mitarbeiter Essenboxen an der Mensa ab.
Viele Erstis sind komplett auf sich alleine gestellt
„Vielen Erstsemestern fehlt derzeit schlichtweg die Orientierung“, betont Keller. Vor allem die Neulinge, die nicht an den Orientierungsphasen im Oktober teilgenommen haben, seien teilweise komplett auf sich alleine gestellt. Bei den Fachschaften und Studierendenvertretungen haben telefonische Sprechstunden deshalb Hochkonjunktur.
Viktoria Maier verbringt in diesen Tagen die meiste Zeit in ihrem Zimmer. Die Lörracherin ist für ihr Meteorologie-Studium am KIT nach Karlsruhe gezogen. „Glücklicherweise habe ich genug zu tun und während der O-Phase noch einige Leute kennen gelernt“, sagt Maier. Allerdings falle ihr das Abschalten ohne Freizeitangebote sehr schwer. Damit sie nicht 24 Stunden am Tag vor dem Rechner sitzt, trifft sich Maier zumindest einmal in der Woche mit einer Bekannten zum Spazierengehen.
„Studieren ist mehr als Lernen und Vorlesungen. Deshalb können virtuelle Angebote die direkten Kontakte nicht ersetzen“, sagt Clemens Geßler. Der Vorsitzende der Studierendenvertretung an der Pädagogischen Hochschule (PH) Karlsruhe organisiert mit seinen Mitstreitern regelmäßig Online-Spieleabende zum Kennenlernen und hat einen speziellen Ersti-Guide ins Internet gestellt. „Der Charme einer kleinen Hochschule besteht eigentlich darin, dass jeder jeden kennt“, so Geßler. „Und das ist nun völlig weggebrochen.“
Psychotherapeutische Beratungsstelle hat alle Hände voll zu tun
Eine der wenigen Einrichtungen, die auch während der Corona-Pandemie noch Präsenztermine anbietet, ist die Psychotherapeutische Beratungsstelle (PBS) des Studierendenwerks Karlsruhe. „Der Beratungsbedarf ist seit dem Frühjahr deutlich gestiegen“, sagt PBS-Leiterin Sabine Köster „Und bei fast jedem Gespräch geht es auch um Corona.“
Eine Studentin habe erzählt, sie fühle sich zwischen Online-Vorlesungen und digitalen Chats wie in einem virtuellen Hamsterrad und komme nicht mehr vom Rechner weg. Auch andere Studierende sprachen über eine mangelnde Tagesstruktur, Konzentrationsstörungen, die zunehmende Isolation sowie Versagensängste oder die fehlende Zukunftsperspektive. „Viele fühlen sich unter Druck gesetzt. Und was die jungen Leute während Corona nicht schaffen, können sie wegen der eng getakteten Studienpläne später nur schwer nachholen“, sagt Köster. Deshalb rechnet sie bereits heute mit einer überdurchschnittlich hohen Abbrecherquote nach diesem Wintersemester.
Viele geplatzte Träumen und Hoffnungen
Außerdem war der Einstieg für viele Studierende mit massiven Einschränkungen verbunden. Manche mussten ein Auslandsjahr zwischen Abitur und Studium wegen der Pandemie abbrechen, andere konnten nicht wie geplant in eine eigene Wohnung ziehen und müssten nun im Kinderzimmer studieren. „Das sind viele geplatzte Träume und Hoffnungen“, sagt Köster. „Und das stellt in einer prägenden Phase für junge Erwachsene ein echtes Problem dar.“
Um aus dem Hamsterrad zwischen Überforderung und Selbstisolation auszubrechen, empfiehlt die Expertin den Studierenden, sich zumindest in Zweiergruppen zum Sport im Freien zu treffen und dabei auch über ihre Sorgen zu reden. Nach Kösters Einschätzung nehmen die Studierenden die Vorgaben der Corona-Verordnung übrigens sehr ernst. „Selbst in Wohnheimen begeben sich die jungen Leute freiwillig in Quarantäne“, sagt die Psychologin. „Und dann leben sie zwei Wochen auf acht Quadratmetern.“