Etwas mehr als 30 Sekunden: So lange dauert es, bis man in normalem Innenstadt-Tempo durch die südliche Waldstraße geradelt ist. Das allerdings ist streng genommen verboten. Das gemütliche Sträßchen mit Außengastronomie und inhabergeführten Geschäften ist ein verkehrsberuhigter Bereich, landläufig eine „Spielstraße“ – und in solchen ist maximal Schrittgeschwindigkeit erlaubt.
„Daran hält sich eigentlich niemand“, sagt Raimund Löhr vom Möbelladen „Ergonomie und Wohnen“. Es waren Händler wie er, die sich in der südlichen Waldstraße zuletzt erfolgreich für eine Verkehrsberuhigung eingesetzt hatten. Die zuvor eingezeichneten Parkflächen wurden entfernt und teilweise durch Sitzbänke, Restauranttische oder Kleiderständer der ansässigen Geschäfte belegt. Wird das Parkverbot im verkehrsberuhigten Bereich eingehalten, schafft das mehr Platz für Fußgänger und Fahrradfahrer – und mehr Probleme, weil Letztere meistens zu schnell unterwegs sind.
„Dass es hier oft brenzlige Situationen gibt, weiß jeder“, sagt eine Frau, die gerade ihr Rad am nördlichen Ende der Straße abstellt. Sie arbeitet in der südlichen Waldstraße und läuft die letzten Meter zu Fuß. Während sie ihr Fahrradschloss anbringt, schaltet die Ampel am Stephanplatz auf Grün und ein ganzer Schwall wartender Radler startet Richtung Süden. „Es gibt ja auch keine andere Route“, sagt die Frau. „Wenn die Karlstraße irgendwann mal fertig ist, wird es hier vielleicht besser.“
Nach wie vor parken viele Autos in der südlichen Waldstraße
Zu schnelle Radfahrer sind aber nicht das einzige Problem in der südlichen Waldstraße. Trotz Parkverbot stehen oft noch viele Fahrzeuge dort. Manche davon parken verbotswidrig, andere legal zum Be- und Entladen. Außerdem haben mehrere Handwerker Ausnahmegenehmigungen, weswegen auch größere Transporter die Fahrbahn verengen. Zu der Frage, wie gut die neuen Regeln angenommen und wie sie kontrolliert werden, hat die Stadtverwaltung auf BNN-Anfrage keine Stellungnahme abgegeben.
„Die Stadt müsste dafür sorgen, dass die Leute wirklich nicht mehr parken“, findet Radlerin Nicole Brossmann, die hier täglich vorbeikommt. „Dann müssten die Fußgänger nicht auf die Mitte der Straße ausweichen und Radler könnten einfach fahren.“
Regelkonformes Fahren in der Waldstraße bedeutet Zeitverlust von 90 Sekunden
Durchquert man die südliche Waldstraße wirklich mit Schrittgeschwindigkeit, dauert das rund zwei Minuten, also etwa 90 Sekunden länger als bei normaler Fahrt. „Man muss ja gar nicht so langsam fahren“, findet Ladenbetreiber Löhr. „15 Stundenkilometer wären vernünftig, da kann man noch anhalten oder ausweichen.“
Schwierig wird es, wenn Hardcore-Fahrer sich durchschlängeln.Raimund Löhr, Ladenbetreiber in der südlichen Waldstraße
Vor allem Pedelec-Fahrer und zu schnelle E-Scooter sind ihm und anderen Gewerbetreibenden ein Dorn im Auge. „Schwierig wird es, wenn Hardcore-Fahrer sich durchschlängeln“, sagt Löhr. „Das Problem ist da wirklich die Geschwindigkeit.“
Der Möbelhändler plädiert für ein gegenseitiges Miteinander und eine Überwachung mit Augenmaß: „Wenn hier spätabends nichts los ist, wäre es schwachsinnig, jemanden zu bestrafen, der mit 25 Stundenkilometern durchfährt.“
Ein Anwohner, der gerade aus einem Hinterhof kommt, kennt das Problem als Radfahrer und auch als Fußgänger. „Die Straße sieht nicht aus wie eine Spielstraße“, moniert er. „Die Gehwege an den Seiten sind oft zugestellt, aber wenn man dann in der Mitte der Fahrbahn läuft, wird man sofort weggeklingelt.“
Auch er weiß nicht, wo er stattdessen fahren sollte. Und er fürchtet, dass den meisten Radlern und Autofahrern gar nicht bewusst ist, welche Geschwindigkeitsbegrenzung das Spielstraßen-Schild mit sich bringt.
Manche Ladenbetreiber in der südlichen Waldstraße haben Abneigung gegen Radfahrer entwickelt
Spricht man Radfahrer an der roten Ampel zum Stephanplatz auf ihre zu hohe Geschwindigkeit an, sind sich die meisten tatsächlich keiner Schuld bewusst. „Das ist mir relativ egal“, sagt etwa ein junger Mann mit Kopfhörern im Ohr. „Ich hätte das nicht gewusst, aber ich fahre sowieso, wie ich möchte.“
Wenn die Radler hier ganz weg wären, wäre es noch ausgestorbener.Tanja Wolf, Ladenbetreiberin in der südlichen Waldstraße
Für Möbelhändler Raimund Löhr ist es ein „No-Go“, Fußgänger aus dem Weg zu klingeln. „Das entspricht nicht unserer Idee, die wir hatten – dass wir hier eine schönere Straße haben und alle gemeinsam aufeinander aufpassen.“ Manche seiner Mitstreiter in der Interessengemeinschaft Südliche Waldstraße hätten durch die Situation schon einen regelrechten Hass auf Fahrradfahrer entwickelt.
„Wenn die Radler hier ganz weg wären, wäre es gerade im Lockdown noch ausgestorbener“, sagt hingegen Tanja Wolf von der „Maribelle Boutique“. Auch sie hofft auf Besserung, sobald die Baustelle am Karlstor verschwunden ist und Radfahrer wieder auf der Karlstraße in Nord-Süd-Richtung fahren können. Andererseits seien Radfahrer vor Ort natürlich auch wichtige Kunden.
Wolf hat nun die Idee, bei den Anbietern von E-Scootern darum zu bitten, die Roller in der südlichen Waldstraße automatisch auf eine geringere Geschwindigkeit zu drosseln. Bei Auto- und Radfahrern hofft sie wie auch die anderen Gewerbetreibenden auf gegenseitige Rücksicht: „dass man die Menschen nicht wegklingelt, sondern auch einfach mal bremst“. Und vielleicht ein paar Sekunden Zeitverlust in Kauf nimmt.