
Ganz vorne in der Schlange vor der Johanniskirche steht am Mittwoch Marion. Als die Vesperkirche Punkt elf öffnet, holt sie sich an den ersten beiden Hütten im Kirchenhof ein warmes Mittagessen und ein Paket mit belegten Broten. Bevor sie an der dritten Hütte haltmacht, wird eine Runde Glücksrad gespielt.
Mit einer schnellen Armbewegung bringt Marion das Rad zum Rotieren, nach etwa 15 Sekunden steht die Nummer sieben ganz oben. „Glückwunsch“, sagt Vesperkirchen-Mitarbeiterin Cornelia Eiffler-Wenz und gibt Marion einen Zettel mit der Gewinnnummer in die Hand. Keine fünf Schritte weiter kann sie den Gewinn abholen, in diesem Fall ist es ein Gutschein der Bäckerei Neff über insgesamt zehn Euro.
„Heute ist ein guter Tag“, sagt Marion und lacht. Mehrmals die Woche kommt die Sozialhilfeempfängerin in die Vesperkirche. Die Rente reiche gerade einmal für die Miete, sagt sie, „für das Essen ist da kaum Geld übrig“.
Rad dreht sich in Dauerschleife
Während Marion noch von ihrem Alltag berichtet, dreht sich das Glücksrad quasi in Dauerschleife. Enttäuschte Gesichter gibt es dabei keine, hinter jeder Nummer verbirgt sich schließlich ein Gewinn.
Gutscheine gibt es außer für die Neff-Filiale auf dem Werderplatz auch für die Drogerie Rossmann oder für den Gemüsestand auf dem Wochenmarkt. Bei manchen Zahlen gibt es auch Lebensmittel. So freut sich eine Seniorin über eine Tüte mit zwei Wurstdosen.
„Die Leute hier wissen, worauf es im Leben wirklich ankommt“, sagt Andreas. Seit der Trennung von seiner Freundin lebt er im Männerwohnheim in der Rüppurrer Straße. Sein Mittagessen holt sich Andreas regelmäßig in der Vesperkirche.
Wie es mit ihm weitergeht, kann er nicht sagen. Jammern ist seine Sache nicht, und bei den helfenden Händen der Vesperkirche bedankt er sich freundlich für das Hacksteak mit Zwiebelsoße und den Glücksrad-Gewinn.
Es gibt nur Gewinner
„Die meisten Leute, die hier Glücksrad spielen, haben ein Lachen im Gesicht“, sagt Eiffler-Wenz. Den Alltag der Bedürftigen etwas auflockern und ihnen die Chance auf einen kleinen Gewinn geben, das ist für die ehrenamtliche Mitarbeiterin auch das eigentliche Ziel der Aktion. Hier sind Menschen, die im echten Leben oft auf der Verliererseite stehen, auf jeden Fall Gewinner.
Das Glücksrad ist für die Besucher auch ein Geschenk zur zehnten Auflage der Vesperkirche. Viermal kann während der vier Vesperkirchen-Wochen gespielt werden.
„Das erste Mal haben sich viele Leute nicht richtig getraut“, erinnert sich Vesperkirchen-Pfarrerin Lara Pflaumbaum. „Da musste man erst noch erklären, dass das nichts kostet und es nur Gewinne gibt.“
Gutscheine vom lokalen Einzelhandel
Dass es Gutscheine von Geschäften auf dem Werderplatz zu gewinnen gibt, hat übrigens zwei Gründe. Zum einen können die Gewinner die Gutscheine gleich vor Ort einlösen. Zum anderen wird so auch der Einzelhandel auf dem Werderplatz gefördert. „Da gab es anfangs doch Bedenken wegen der Vesperkirche“, sagt Pflaumbaum.
„Nun können wir Danke sagen und etwas zurückgeben.“ Einige der Gutscheine wurden als Gewinne für das Glücksrad-Spiel gekauft, andere gespendet.
Mit dem bisherigen Verlauf der Vesperkirche ist die Pfarrerin zufrieden. Rund 350 Mittagessen werden im Innenhof der Johannis-Paulus-Gemeinde täglich ausgegeben, dazu kommen jeweils 50 warme Mahlzeiten an den beiden Außenstellen des Diakonischen Werks, dem Alkohol Akzeptierenden Aufenthaltsraum und dem Wohnungslosentreff „Tür“.
Gemeinsam frieren schweißt zusammen
Großer Andrang herrscht auch in der Kleiderkammer und bei den Friseurterminen. Viele Besucher erwartet Pflaumbaum zudem bei den beiden tierärztlichen Sprechstunden an diesem und am kommenden Donnerstag.
Die Sprechstunde findet im Kirchenschiff statt, die Essensausgabe wegen des Infektionsschutzes wie in den vergangenen beiden Jahren unter freiem Himmel. „Wir haben uns alle daran gewöhnt“, sagt Pflaumbaum. „Und wenn man bei Kälte und Regen gemeinsam draußen steht, dann schweißt das auch zusammen.“