„Er stand hinter einer Hecke und hat sich offensichtlich einen runtergeholt“, schreiben Anna G. und Raphael A.B. mit bunter Kreide auf den Gehweg am Weinbrennerplatz. Darüber steht in Blau „#stopptbelästigung“ und darunter ihr Instagram-Kanal „CatcallsofKarlsruhe“.
„Ankreiden“ nennen die Aktivisten der Gruppe „CatcallsofKarlsruhe“ die öffentliche Aktion in der Karlsruher Südweststadt. Sie haben kein Problem damit erkannt zu werden. Ihren vollen Namen wollen sie aber lieber nicht nennen. Denn gerade in den Sozialen Medien wie Instagram, wo die Gruppe aktiv ist, gibt es genügend Raum für negative Erfahrungen.
„Catcalls“ werden in Karlsruhe öffentlich gemacht
Zuvor waren die beiden schon in der Kreuzstraße in der Innenstadt am Werk. Das Ziel ist überall das Gleiche: Verbale sexuelle Belästigungen und Herabwürdigungen, sogenannte „Catcalls“, öffentlich machen. Und zwar genau an dem Ort, an dem sie sich ereignet haben. Mit bunter Kreide schreiben sie die „Catcalls“ auf den Boden.
„Catcalls“ sind unerwünschte Kommentare, Gesten, Pfiffe, anzügliche Geräusche, aber auch Hupen und Anfassen. Sie spielen sich zwar in aller Öffentlichkeit ab, werden aber dennoch oft überhört und übersehen.
Wem so etwas passiert ist, kann seine Geschichte an die Karlsruher Aktivisten schicken. Die kreiden sie dann an. Im Fall am Weinbrennerplatz ist es keine „klassische Geschichte“, erzählt Anna.
Eine Betroffene habe beobachtet, wie ein Mann auf dem Weinbrennerplatz vor der Schule masturbiert habe. Sie habe die Polizei gerufen, obwohl sie Angst hatte, nicht ernst genommen zu werden. Doch die Beamten seien schnell da gewesen.
Sie hätten die Frau ermutigt, lieber einmal mehr die Polizei zu rufen als einmal zu wenig. Kein klassischer „Catcall“, aber ein Beispiel, dass man nicht zögern solle, den Notruf 110 zu wählen.
Kreiden auf dem Gehweg: Viele interessierte Passanten bleiben stehen
Während Anna G. und Raphael A.B. auf den Gehweg kreiden, bleiben viele interessierte Passanten stehen. „Super, das finde ich gut“, sagt eine Frau und erzählt, dass sie selbst eine 15-jährige Tochter habe.
„Ich bin mit meiner Tochter schon vorsichtig“, sagt sie. Sie seien sich beide einige, dass das Mädchen Orte wie die Günther-Klotz-Anlage bei Dunkelheit meiden solle. Zu groß sei die Gefahr, Opfer von Belästigung zu werden.
Das passiert jeder Frau mal.Passantin
Eine andere junge Frau macht sofort ein Foto von dem Kreide-Schriftzug und möchte die Catcall-Aktion im Netz teilen. „Das passiert jeder Frau mal, das ist etwas Alltägliches“, sagt sie, „aber das sollte nicht sein.“
Es gibt aber auch negative Stimmen, erzählen Anna und Raphael. Viele würden die verbalen sexuellen Belästigungen nach dem Motto „ist doch nicht so schlimm“ verharmlosen.
Die zwei Studenten gehen immer zu zweit zum „Ankreiden“. Die Aktionen machen sie ehrenamtlich. Beide haben selbst auch schon Erfahrungen mit „Catcalls“ gemacht oder haben Freunde, die Opfer von verbalen Übergriffen wurden.
„Ich hätte nicht gedacht, dass das auch in Deutschland passiert“, erzählt Raphael. Doch leider sehe die Realität anders aus. Die Gruppe komme kaum hinterher, all die „Catcalls“ anzukreiden, die sie über Instagram zugeschickt bekomme. „Wir haben auch schon vor dem KIT gekreidet, vor Clubs, vor dem Kino, vor der Bahn“, sagt Anna, „es kann überall passieren.“
„CatcallsofKarlsruhe“ wurden 2017 gegründet
Die „CatcallsofKarlsruhe“ haben sich 2017 gegründet. Mittlerweile sind sie zehn aktive Mitglieder. Ihren Ursprung hat die „Chalk Back“-Bewegung, also das „Ankreiden“, in New York.
Deutschlandweit sammeln immer mehr Gruppen solche Beispiele und kreiden sie öffentlich an. Denn „Catcalling“ ist in Deutschland in der Regel kein eigener Strafbestand. Bisher ist sexuelle Belästigung nur dann strafbar, wenn sie mit einer Ehrverletzung einhergeht.
Es können alle Täter und Opfer werden.Anna G. und Raphael A.B., „CatcallsofKarlsruhe“
Und was ist das Motiv hinter den „Catcalls“? „Ausübung von Macht“, vermutet Anna. „Es können alle Täter und Opfer werden“, betont sie, „das kann allen Menschen passieren“. Sie seien deshalb eine queerfeministische Bewegung.
Wichtig ist ihnen, Betroffenen zu vermitteln, dass sie nicht allein sind. Sie wollen sie ermutigen, sich zu wehren. Darauf wollen sie aufmerksam machen. „Denn wenn man nicht darüber spricht, ist es kontraproduktiv“, sagt Anna.