Ob in der Feuerwehr, im Sportverein oder in der Kirche: In Baden-Württemberg bekleiden so viele Menschen wie in keinem anderen Bundesland ein Ehrenamt.
Jedes Jahr am 5. Dezember werden am Internationale Gedenk- und Aktionstag des Ehrenamtes die Verdienste von ehrenamtlich engagierten Menschen gewürdigt und das bürgerliche Engagement gefördert.
Unser Redaktionsmitglied Christian Schellenberger hat Daten und Fakten zum Ehrenamt in Baden-Württemberg zusammengetragen und beantwortet die wichtigsten Fragen.
Wie viele Baden-Württemberger engagieren sich ehrenamtlich?
Fast jeder zweite Baden-Württemberger übt ein Ehrenamt aus – sei es im Sportverein, bei der Feuerwehr oder im Kirchenchor. Damit liegt Baden-Württemberg im Ländervergleich vor Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz an der Spitze. Das geht aus dem aktuellen Freiwilligensurvey hervor, der detailliertesten Untersuchung zum bürgerschaftlichen Engagement in Deutschland. Schlusslicht in dieser repräsentativen Studie ist Sachsen. Dort engagiert sich nur etwas mehr als jeder Dritte ehrenamtlich. Im Schnitt investiert jeder Baden-Württemberger etwas mehr als sechs Stunden pro Woche für sein Ehrenamt.
Welche Bedeutung hat das Ehrenamt für die Gesellschaft?
Ohne freiwilliges Engagement würde in vielen Städten und Dörfern kaum das Notwendigste passieren. Bedürftige blieben weitgehend sich selbst überlassen, weil der Tafelladen oder die Vesperkirche nicht mehr öffnet. Auf den Bolzplätzen würde kaum noch ein Ball rollen, weil die Vereine wesentlich von ehrenamtlich helfenden Händen getragen werden. Und im Katastrophenfall würde die Hilfe auf sich warten lassen: Gerade im Rettungsdienst, Katastrophenschutz oder bei der Feuerwehr geht es nicht ohne das Ehrenamt. Von den etwa 112.000 Feuerwehrleuten im Land sind 98 Prozent ehrenamtlich tätig.
Engagieren sich heute weniger Menschen ehrenamtlich als früher?
Vereine, die unter Mitgliederschwund leiden, Leistungsdruck in Schule und Beruf, ein vielfältiges Freizeitangebot als Konkurrenz: Lässt das Interesse an freiwilligem Engagement womöglich nach? Dafür gibt es laut Sozialforscher Tobias Jaeck, der die Studiendaten ausgewertet hat, keine Belege – im Gegenteil: „Die Bereitschaft, sich ehrenamtlich zu engagieren, nimmt zu.“ In Baden-Württemberg sind heute rund zwei Drittel der Menschen bereit, sich ehrenamtlich zu beteiligen. Bei der ersten Auflage der Freiwilligensurvey 1999 traf das noch nicht einmal auf jeden zweiten Baden-Württemberger zu.
In welchen Bereichen ist ehrenamtliches Engagement am verbreitetsten?
Der Unterhaltungs- und Freizeitbereich steht bei Ehrenamtlichen im Land hoch im Kurs. Etwa elf Prozent engagieren sich im Sport, also beispielsweise im Fußballverein oder im Tennisclub. Weitere 16,5 Prozent sind dort zumindest aktiv, ohne ein Ehrenamt zu bekleiden. Aber auch Kultur und Musik spielt bei den Baden-Württembergern eine große Rolle: Etwa acht Prozent von ihnen übernehmen in diesem Bereich eine ehrenamtliche Aufgabe. Im Sozialen engagieren sich etwa sechs Prozent der Baden-Württemberger ehrenamtlich, ähnlich viele in Schulen und Kindergärten. Umwelt, Tierschutz und Naturschutz spielt im grünen Musterländle dagegen mit etwa drei Prozent eine geringere Rolle. Ebenfalls deutlich weniger verbreitet ist auch freiwilliges Engagement im Bereich der Politik, der Justiz oder im Rettungsdienst.
Gibt es einen „typischen Ehrenamtler“?
Eher gebildet, einer christlichen Konfession zugehörig und ein vergleichsweise hohes Einkommen: So kann ein typisch ehrenamtlich Engagierter laut Sozialforscher Jaeck beschrieben werden. In Baden-Württemberg ist demnach nicht einmal jeder dritte Geringverdiener (Einkommen bis 1.000 Euro monatlich) ehrenamtlich tätig, aber mehr als jeder zweite Gutverdiener (mehr als 3.000 Euro Einkommen monatlich). Mehr als die Hälfte der ehrenamtlich Engagierten ist entweder katholisch oder evangelisch. Hinzu kommt: Wer Kinder hat, übt deutlich häufiger ein Ehrenamt aus als Kinderlose. Eine Rolle spielt auch, ob man bereits längere Zeit an einem Ort wohnt: „Die meisten Menschen engagieren sich in ihrem direkten Umfeld“, sagt Wissenschaftler Jaeck. Mit zunehmender Wohndauer nehme daher auch die Bereitschaft zu, sich freiwillig einzusetzen.
Welche Rolle spielt das Alter?
„Junge Menschen engagieren sich häufiger ehrenamtlich als Ältere“, erklärt Jaeck. Er hat zusammen mit seinen Kollegen die Daten für die Freiwilligensurvey ausgewertet. Tatsächlich engagieren sich in Baden-Württemberg mehr als die Hälfte der 14- bis 19-Jährigen im Ehrenamt. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den 30- bis 49-Jährigen. Dagegen ist bei den über 75-Jährigen nur etwa jeder Dritte ehrenamtlich aktiv. „Dabei spielen gesundheitliche Gründe sicher eine Rolle“, sagt Jaeck. Das Geschlecht spielt dagegen keine Rolle: Frauen und Männer engagieren sich gleichermaßen im Ehrenamt.
Welche Bedeutung haben Migranten im Ehrenamt?
„Offensichtlich gibt es größere Hürden für Menschen mit Migrationshintergrund, sich ehrenamtlich zu engagieren“, sagt Soziologe Jaeck. Denn die Studie zeigt: In Baden-Württemberg üben nur etwa ein Drittel der Menschen mit Migrationshintergrund ein Ehrenamt aus, nur 29 Prozent sind Mitglied in einem Verein. An der Bereitschaft mangelt es der Studie zufolge aber nicht: Rund 75 Prozent der Baden-Württemberger mit Migrationshintergrund sind grundsätzlich bereit, sich zu engagieren. Gut aus Baden-Württemberg-Sicht: Menschen mit Migrationshintergrund sind im Südwesten im Vergleich der Bundesländer am besten im bürgerschaftlichen Engagement integriert.
Wie steht es um das ehrenamtliche Engagement in den Städten und Gemeinden in Baden?
Auch wenn sie die Bedeutung des Ehrenamtes durchweg als wichtig einschätzen: Einen konkreten Überblick darüber, wer sich wie ehrenamtlich engagiert, haben nur wenige Rathäuser. So zeigt eine Bürgerumfrage aus dem Jahr 2017: Damals engagierte sich rund ein Drittel der Karlsruher ehrenamtlich. Einen groben Überblick liefert zudem das Vereinsregister: Mehr als 2.700 eingetragene Vereine sind dort allein für die Stadt Karlsruhe hinterlegt – das reicht vom Bürgerverein Bulach über den Fanfarenzug Rintheim bis zum Ökumenischen Chor Grötzingen. Baden-Baden kommt ebenso wie Bruchsal auf rund 500 eingetragene Vereine, Pforzheim auf etwa 1.000. Da überrascht es wenig, dass die ehrenamtliche Arbeit überwiegend in Vereinen und anderen organisierten Zusammenschlüssen stattfindet – zumal gut drei Viertel der Vereine in Deutschland ehrenamtlich organisiert sind.
Sportverein, Förderverein, Kulturverein – findet Ehrenamt nur in Vereinen und Verbänden statt?
Nein. Vereine sind zwar auch heute noch populär, zugleich gibt es aber auch immer mehr informelle Zusammenschlüsse, die nicht unbedingt auf dauerhaftes Engagement ausgerichtet sind. So seien etwa während der Flüchtlingskrise oder in der ersten Zeit der Corona-Pandemie zahlreiche spontane Hilfsangebote entstanden, erläutert Soziologe Jaeck. Tendenziell verschieben sich daher auch die Bereiche ehrenamtlichen Engagements: Angebote mit Freizeitcharakter wie Sport- und Kulturvereine haben weniger Zulauf als etwa Angebote mit konkreten gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen wie zum Beispiel Bürgerinitiativen.
Was wird getan, um Menschen für ein Ehrenamt zu motivieren?
In Karlsruhe gibt es seit sechs Jahren das Büro für Mitwirkung und Engagement, um die Aufgaben der Bürgerbeteiligung, Stadtteilentwicklung und Förderung des zivilgesellschaftlichen Engagements stärker zu verzahnen und weiter zu entwickeln. Das Büro ist Ansprechpartner für alle Fragen rund um freiwilliges Engagement, bietet einen Überblick darüber, wie man sich engagieren kann. Zudem informiert das Büro über Raumangebote, die im Netzwerk mit anderen Vereinen und Institutionen für das ehrenamtliche Engagement genutzt werden können. Ähnliche zentrale Anlaufstellen haben auch andere Kommunen geschaffen. In Baden-Baden beispielsweise kümmert sich die Ehrenamtsbeauftragte Ricarda Feurer um die Belange des bürgerschaftlichen Engagements – von der individuellen Beratung zum Vereinsrecht bis zur Organisation von Workshops und Veranstaltungsreihen.