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Einsatz im Erdbebengebiet

Team aus Karlsruhe leistet notfallpädagogische Hilfe in der Türkei und Syrien

Ein Team des Vereins Notfallpädagogik ohne Grenzen hat sich im Februar aufgemacht, um in der Erdbeben-Region zwischen der Türkei und Syrien zu helfen. Einsatzleiter Bernd Ruf berichtet von den Erfahrungen.

Mann mit Kindern
Auf dem Marktplatz von Samandag arbeitet Bernd Ruf mit Kindern. Diese können teilweise nicht mehr sprechen, weshalb kreative Ausdrucksformen, wie etwa Malen gefragt sind. Foto: Notfallpädagogik ohne Grenzen

Seit in der Türkei und in Syrien die Erde bebte, wird die Zahl der Todesopfer nahezu täglich nach oben korrigiert. Über 50.000 Tote wurden bisher gezählt. Die Überlebenden – fast alle haben nahe Angehörige verloren – sind schwer traumatisiert.

m zu helfen, hat sich Mitte Februar ein Team des Karlsruher Vereins Notfallpädagogik ohne Grenzen auf den Weg in die Türkei gemacht. „Wir waren insgesamt 20 Leute, Pädagogen und Mediziner. Bei solchen Einsätzen arbeiten wir fast ausschließlich mit Kindern und Jugendlichen“, erzählt Einsatzleiter Bernd Ruf, nachdem er nach dem zehntägigen Einsatz wieder in Karlsruhe angekommen ist.

Team organisierte Fortbildung für über 300 Lehrkräfte

Erster Einsatzort in der Türkei war die Stadt Alanya, die selbst nicht vom Erdbeben betroffen war. „In dieser Stadt sind aktuell etwa 40.000 Evakuierte aus den Erdbebengebieten in Hotels und Zeltlagern untergebracht“, berichtet Ruf.

Er und sein Team organisierten dort für über 300 Lehrkräfte eine Fortbildung, um diese mit den Grundzügen der Notfall- und Traumapädagogik vertraut zu machen. Diese Lehrkräfte können anschließend mit Kindern arbeiten, damit sich deren Traumata nicht verfestigen. Bei der Notfallpädagogik versucht man, mit speziellen Übungen die Selbstheilungskräfte der Betroffenen zu mobilisieren.

Zweite Station war Adana, eine Großstadt am Rande des Erdbebengebiets. Im Auftrag des dortigen Bürgermeisters arbeiteten die Notfallpädagogen aus Karlsruhe mit Kindern, die das Erdbeben nur knapp überlebt hatten.

Bei Besuch an der syrischen Grenze erlebten die Helfer täglich Nachbeben

Danach ging es weiter an die syrische Grenze, nach Samandag. „Diese ganze Region ist mit am schlimmsten betroffen“, sagt Ruf und berichtet, dass nach seiner Einschätzung die Hälfte der Häuser komplett zerstört ist, die andere Hälfte sei aufgrund der Schäden einsturzgefährdet.

„Die Stadt ist am Ende“, stellt er fest und schildert seine Eindrücke: „Die Überlebenden campieren an den Straßenrändern, auf dem Marktplatz oder in den Parkanlagen. Hilfe wird dort fast ausschließlich privat organisiert.“

zerstörte Gegend
Zerstört: Ein Bild aus Samandag, das während des Einsatzes entstand. Foto: Notfallpädagogik ohne Grenzen

Den Menschen sehe man das Trauma an, erzählt er und spricht von „erstarrten Gesichtern und toten Augen“. Er selbst habe während der Zeit in Samandag täglich mehrere Nachbeben erlebt. „Für die Betroffenen bedeuten diese Nachbeben eine ständige Retraumatisierung“, erklärt Ruf. In diesem Zusammenhang weist er darauf hin, dass die Erwachsenen kaum in der Lage seien, ihren Kindern beizustehen, weil sie ja selbst nicht stabil seien.

Er erzählt auch von eindrücklichen Begegnungen: Eine Frau, die nach fünf Tagen aus ihrem zerstörten Haus gerettet worden sei, habe ihm erzählt, dass sie tagelang die Schreie ihrer beiden Töchter gehört habe, die jedoch nicht gerettet werden konnten. „Diese Frau hat unendliche Schuldgefühle entwickelt, weil sie ihren Töchtern nicht hatte helfen können“, sagt Ruf.

Die Kinder wurden durch das Trauma aus ihrer Kindheit gerissen.
Bernd Ruf, Einsatzleiter

Eine andere Frau berichtete, dass sie tagelang neben ihrem toten Ehemann in den Trümmern lag, während sie ihren 18-jährigen Sohn hörte, der vor Schmerzen brüllte. „Sie und der Sohn überlebten mit schwersten Verletzungen“, erzählt der Notfallpädagoge und fragt sich, wie man solche Erlebnisse seelisch überstehen kann.

Arbeit mit Kindern im Alter von zwei bis neun Jahren

In einem Lager, das vom türkischen Katastrophenschutz aufgebaut worden war, arbeiteten die Notfallpädagogen mit Hunderten von Kindern im Alter von zwei bis etwa neun Jahren. „Das Trauma zerstört alle Rhythmen, weshalb es wichtig ist, am Rhythmus zu arbeiten“, erklärt Ruf.

Mit Klatschen, Stampfen und Singen wird dies erreicht, aber auch mit dem Schaffen einer Alltagsstruktur. Man bringt den Kindern, die teilweise nicht mehr sprechen, bei, sich wieder ausdrücken zu können. Helfen können dabei auch kreative Ausdrucksformen wie etwa Malen oder Tanzen.

„Die Kinder wurden durch das Trauma aus ihrer Kindheit gerissen, durch heilende Spiele wollen wir die Resilienzkräfte stärken“, sagt er und versichert, dass die seelische Überlebensfähigkeit genauso wichtig sei, wie Wasser und Nahrung. „Sie ermöglicht den Kindern die Chance auf ein normales Leben nach der Katastrophe.“

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