
Wenn Tobias Krieger mit seinem Velo auf Tour geht, dann kann er bei einem ganz sicher sein: Die Menschen drehen sich nach ihm um, die Kameras sind schnell gezückt. Das ist auch kein Wunder.
Schließlich handelt es sich bei seinem Gefährt nicht um ein handelsübliches Fahrrad, sondern um die Replik eines Hochrads aus dem Jahre 1879.
Ein Auto besitzt Krieger nicht, dafür rund 40 historische Räder, die seine Wohnung in der Karlsruher Südstadt zieren. Ob es Zufall ist, dass er gerade die Stadt des Urvaters des Fahrrads, des Freiherrn von Drais, als sein Domizil gewählt hat? Darauf hat der 59-Jährige nicht wirklich eine Antwort parat.
Im Studium Schwäche für historische Räder entdeckt
„Keine Ahnung, als ich von Lahr nach Karlsruhe zum Studieren kam, brauchte ich halt ein Fahrrad. Irgendwann habe ich meine Schwäche für historische Räder entdeckt und landete dann beim Hochrad. Nach einem Tag fahren war ich angefixt“, meint der studierte Musiker schmunzelnd.
Es ist fast 20 Jahre her, dass er beim Weltmeister der Hochradfahrer in Nürnberg seinen Führerschein machte. Denn: Hochradfahren ist genauso so schwierig, wie es aussieht.
„Man benötigt eine ganz andere Fahrtechnik als bei einem normalen Rad. Alles, was man vorher gelernt hat, kann man im Grunde vergessen. Die Bremswege sind anders, die Balance ist eine andere. Man muss viel vorausschauender fahren“, sagt Krieger.
Die Hochzeit des Hochradfahrens sei im Übrigen zwischen 1870 und 1890 gewesen. Zwischendurch waren die Velos mit einer Sattelhöhe von rund 1,70 Metern auch mal verboten.
Der Grund klingt einleuchtend. „Es gab damals schon etliche Todesfälle. Wer nicht geübt ist, hatte riesige Probleme. Gerade der Kopfstoß – wenn man die Balance verliert und kopfüber vom Rad stürzt – war seinerzeit an der Tagesordnung“, weiß der Hochrad-Experte. Damals waren die Reifen nämlich, bei Krieger heute noch, aus Vollgummi.
Unnötig zu erwähnen, dass der Exot, der mit seinem Velo hoch über dem gewöhnlichen Pedalritter vorbeischwebt, ein wandelndes Lexikon ist. Wer welches Hochrad gebaut hat, und warum es vor 1900 allein in England über 30 Hochradzeitschriften gab, darüber könnte der Musik-Lehrer stundenlang dozieren.
Die höchste Form der Fortbewegung
Eines weiß er im Übrigen ganz sicher: „Hochradfahren – das ist die höchste Form der Fortbewegung. Das ist eine ganz andere Art der Bewegung. Es ist Entschleunigung pur.“ Wer nun denkt, Tobias Krieger schleicht mit seinem schwer zu beherrschenden Velo durch die Straßen, der irrt gewaltig.
„Auf zwanzig Stundenkilometer komme ich ohne Probleme. Man muss zwar mit Argusaugen die Straße nach Stolpersteinen absuchen, aber da gewöhnt man sich schnell dran“, betont er. Der Badener reißt in einem guten Jahr schon mal rund 7.000 Kilometer mit seinem Rad ab. Reifenpannen habe er jedenfalls noch nie gehabt.
Allerdings, allzu viele Kilometer ist der Pedaleur mit seinem sehr speziellen Velo in diesem Jahr noch nicht gefahren. Das hat vor allem mit dem wechselhaften Wetter und erst in zweiter Linie mit der Pandemie zu tun.
„Das Wetter war diesem Sommer bislang einfach viel zu unstet. Wenn es regnet und rutschig ist, kann ich nicht fahren. Das ist viel zu gefährlich.“
Nach Wörth mit dem Hochrad gependelt
Aber auch Corona spielt eine Rolle. Denn im wirklichen Leben ist er privater Gitarrenlehrer an einer Schule in der Pfalz. Einige seiner Schüler haben bereits Bundespreise bei „Jugend musiziert“ gewonnen.
Und da die Schulen während der Hochphase der Krise geschlossen waren, fiel naturgemäß auch der Unterricht in klassischer Gitarre aus. Und vor allem nach Wörth ist er mit seinem Hochrad gerne gependelt.
Fan historischer Möbel
Der 59-Jährige unterrichtet auch an der Musikschule Neureut und Ettlingen. Die Zeit des Lockdowns hat er vor allem zum intensiven Üben seiner beiden bevorzugten Sujets – Barockmusik und südamerikanische Musik – genutzt. Im Übrigen ist Krieger ein Nostalgiker par excellence. Computer oder Handys lehnt er ab.
Moderne Dinge kommen mir nicht ins Haus.Tobias Krieger, Musiklehrer und Velo-Fahrer
„In meinem Haushalt gibt es fast ausschließlich historische Möbel – ungefähr von 1850 bis Jugendstil und Art déco. Moderne Dinge kommen mir nicht ins Haus“, sagt der passionierte Pfeifenraucher, der mit Technologie im Allgemeinen fremdelt. Umso mehr hegt er seine Schätze, seine historischen Fahrräder, in seinem Appartement.
„Bis etwa in die 1950er Jahre hatte Deutschland eine große Fahrrad-Industrie“, berichtet der Velo-Experte. Räder von Miele oder von Gritzner aus Durlach nennt er sein Eigen. Auch ein französisches Safety-Rad von 1890 ist Teil seiner Sammlung. Karlsruhe als prämierte Fahrradstadt hat er im Übrigen mittlerweile schätzen gelernt.
„Hier ist vieles in den vergangenen Jahren besser geworden. Man kann noch etliches optimieren, keine Frage“, meint der Vielfahrer. „Aber wer meckert, der sollte mal nach Stuttgart, Pforzheim oder Mannheim gehen. Da ist Radfahren eine echte Katastrophe.“
Am liebsten fachsimpelt er auf der Spezialradmesse „Spezi“ in Germersheim mit Kollegen über seine Passion. Die fiel wegen Covid-19 aus, beziehungsweise fand nur virtuell statt. Im nächsten Jahr hofft der Flohmarkt-Fan auf eine Rückkehr der Messe – dann natürlich standesgemäß auf dem Sattel seines Hochrads einfahrend.