Selten hat eine Schau so deplatziert und realitätsfern gewirkt wie diese: Seit Ende 2022 stellt die EU in Brüssel stolz ihre goldene Friedensnobelpreis-Medaille von 2012 aus.
Die Besucher des Europäischen Rats werden daran erinnert, wie der Kontinent seinen historischen „Beitrag zum Frieden und der Aussöhnung“ geleistet hat, während weniger als 2.000 Kilometer weiter östlich ein europäisches Land gerade um sein Überleben kämpft.
Bomben statt Brüderlichkeit: Das ist Europa im Jahr 2023, nach zwölf Monaten Krieg, der so vieles verändert hat.
Alte Gewissheiten gelten nicht mehr. Russland als ewig zuverlässiger Lieferant von Energieträgern in den Westen, das war einmal. Im ersten Kriegsjahr zitterte Deutschland dem Tag entgegen, an dem sich die letzten Kubikmeter Gas aus den Speichern verflüchtigen und die Industrieproduktion stehen bleibt.
Doch Bürger und Staat zeigten sich vernünftig und erfinderisch. Nachdem der Verbrauch gedrosselt wurde und für Unmengen von Geld Notlösungen zur Gasversorgung geschaffen wurden, blieb die Katastrophe aus. Sogar die Benzinpreise sind wieder fast wie früher. Eins zu Null für die Europäer.
Zaudern, Streit und leere Versprechen
Ganz anders die Bilanz bei den Waffenlieferungen: Die bewundernswerte Wehrhaftigkeit der Ukraine löste in Europa eine unverbindliche Begeisterung aus, der jedoch keine entschlossenen Taten folgten, sondern Zaudern, Streit und leere Versprechen.
Deutschland lieferte nicht, dann doch, aber bloß keine Angriffswaffen, bis auch dieses vermeintliche Tabu gebrochen wurde. Luftabwehr und Artillerie, Raketenwerfer und Panzer: All dies kam zu spät oder, wenn man an die fehlenden Leopard-Zusagen einiger EU-Staaten denkt, es kam gar nicht. Zu groß scheint in manchen Hauptstädten noch die Angst vor dem Kriegstreiber im Kreml zu sein.
Die Angst vor Putins mordenden Söldnern und die Zerstörung ihrer Städte haben über acht Millionen Ukrainer zur Ausreise gezwungen. Unser Kontinent wurde zum Schauplatz der größten Fluchtbewegung seit Jahrzehnten. Hier geht der Punkt an die Europäer, die große Solidarität und Herzlichkeit mit Menschen in Not an den Tag legen.
Sehr viele Geflüchtete haben in Deutschland temporär oder für immer eine neue Heimat gefunden, auch in Baden. Nach Informationen dieser Zeitung sind bis Ende 2022 mindestens etwa 30.000 Ukrainer in unserer Region untergekommen, wo sie in der größten Krise ihres Lebens einen Neubeginn wagen.