Die Hauptverhandlung gegen einen Karlsruher Arzt hat kaum begonnen, da ist sie einstweilen auch schon wieder vorbei: Weil eine der beiden Schöffinnen Patientin bei der Ehefrau des Angeklagten ist, besteht gegen die Laienrichterin Besorgnis der Befangenheit – und damit für das Schöffengericht die Notwendigkeit, die Hauptverhandlung neu anzusetzen.
Der 62 Jahre alte Mediziner, um den es geht, betreibt zusammen mit seiner Frau eine Gemeinschaftspraxis in der Innenstadt. Dort haben beide ihre Sprechzimmer Tür an Tür. Im Sprechzimmer des Facharztes soll es im Dezember 2017 zu einem Übergriff des Mannes auf eine Patientin gekommen sein.
Staatsanwältin Lisa Schmeck klagt den mutmaßlichen Sachverhalt als Vergewaltigung an: Bei der Untersuchung der Frau – sie war unter anderem wegen Epilepsie in Behandlung und hatte über Rücken- sowie Muskelschmerzen geklagt – habe der Mann der liegenden Patientin den BH geöffnet und „mit sexueller Motivation“ die Brüste gestreichelt, so die Vertreterin der Anklagebehörde. Als die Patientin anschließend auf dem Bauch lag, soll er seinen Finger vaginal eingeführt und bewegt haben. Laut Anklage war die Frau in dieser Situation nicht in der Lage, Abwehrmaßnahmen zu treffen.
Ich habe das nicht gemacht.Der angeklagte Arzt
Der mutmaßliche Vergewaltiger hat laut Anklage das Überraschungsmoment und das Behandlungsverhältnis zwischen Arzt und Patientin ausgenutzt; die mutmaßliche Tat sei besonders erniedrigend für die Frau gewesen. Der Mediziner widerspricht mit Nachdruck: „Ich habe das nicht gemacht“, erklärt er dem Gericht unter Vorsitz von Constantin Hofmann. Er habe vielmehr „untersucht, wie es meine Pflicht ist.“ Den BH will er nicht geöffnet haben. Als die Kriminalpolizei bei ihm vorstellig wurde und ihm den Vorwurf der Patientin eröffnete, war der Arzt nach eigenem Bekunden „richtig schockiert“.
Das Schöffengericht hat nun die anspruchsvolle Aufgabe, herauszufinden, ob die Vorwürfe zutreffen und was sich im Sprechzimmer des Facharztes und Vaters einer erwachsenen Tochter vor mehr als drei Jahren zugetragen hat. Einen persönlichen Kontakt jenseits des Arzt-Patienten-Verhältnisses habe es zu der Frau nicht gegeben, erklärt der Mediziner. Wofür seine Person möglicherweise in der Fantasie der Frau stehe, könne er aber nicht sagen. Die mutmaßliche Geschädigte fungiert in der Hauptverhandlung als Nebenklägerin.
Angeklagter spekuliert über Motiv
Seit die Kriminalpolizei den Mann mit den Vorwürfen der Frau konfrontiert hat, macht dieser sich eigenen Angaben zufolge Gedanken über den möglichen Grund der aus seiner Sicht absurden Vorwürfe. Das Gericht lässt er wissen, dass im fraglichen Zeitraum vor über drei Jahren die Me-Too-Debatte die internationalen Schlagzeilen beherrschte.
Menschen mit problematischen Persönlichkeiten, so eine seiner Überlegungen, könnten dadurch auf die Idee gekommen sein, mit Missbrauchsgeschichten Aufmerksamkeit zu erregen. Im Übrigen kenne die Wissenschaft das Krankheitsbild des pathologischen Lügens, so der Mediziner. Manche Patienten neigten dazu, Geschichten zu erfinden und auszuschmücken – besonders Patienten mit gering ausgeprägtem Selbstwertgefühl.
Frau war zum mutmaßlichen Tatzeitpunkt eineinhalb Jahre in Behandlung
Ein weiteres theoretisch denkbares Motiv könnte laut dem Angeklagten in dem Umstand zu suchen sein, dass er den Wunsch der Patientin nicht unterstützt habe, die Medikation im Zusammenhang mit ihrer Epilepsie-Erkrankung umzustellen. Als sich die mutmaßliche Vergewaltigung ereignete, war die Frau seit gut eineinhalb Jahren bei dem Arzt in Behandlung.
Trotz des bereits erheblichen zeitlichen Abstands zur angeklagten Tat werden infolge der Befangenheit nun voraussichtlich weitere Monate ins Land gehen, bis das Amtsgericht den Sachverhalt erhellen kann. Als Sachverständige sind ein Mediziner, eine Biologin und eine Psychologin geladen.