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Streitthema Waffenlieferungen

Viel Zuspruch und massiver Widerspruch: Heftige Debatten um Offenen Brief an Scholz

Viel Zuspruch, aber auch massiven Widerspruch gibt es für den Offenen Brief, mit dem Prominente sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aussprechen. Die Zahl der Unterzeichner wächst sekündlich, die Kritik in Kommentaren ist aber vehement.

Alice Schwarzer, Autorin und Feministin, steht in der Ausstellung «Das andere Geschlecht». Vom 04. März bis 16. Oktober 2022 zeigt die Bundeskunsthalle die Ausstellung «Simone de Beauvoir und »Das andere Geschlecht«». +++ dpa-Bildfunk +++
Gegen Waffenlieferungen an die Ukraine hat sich die Autorin Alice Schwarzer in einem Offenen Brief mit 27 weiteren Prominente ausgesprochen. Foto: Oliver Berg/dpa

Die Zahlen des Zuspruchs sind deutlich: Auch am Sonntag, rund 48 Stunden nach der Erstveröffentlichung, reihten sich nahezu im Sekundentakt die Unterschriften unter den Offenen Brief auf der Homepage der Zeitschrift „Emma“, in dem sich prominente Künstler und Intellektuelle gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine aussprechen.

So war am Sonntagmittag die Marke von 110.000 bereits überschritten. Der Brief mit der Argumentation, Deutschland könne durch Waffenlieferungen selbst zur Kriegspartei werden und dadurch einen Dritten Weltkrieg heraufbeschwören, hat offenkundig einen Nerv getroffen.

Aber auch die Worte des Widerspruchs fielen deutlich aus: Politiker mehrerer Parteien sowie zahlreiche Medien äußerten sich sehr kritisch über die Argumentation des Briefes, „der berechtigte Widerstand gegen einen Aggressor“ stehe „irgendwann in einem unerträglichen Missverhältnis“ zu dem „Maß an Zerstörung und menschlichem Leid unter der ukrainischen Zivilbevölkerung“.

Der Kunsttheoretiker Peter Weibel, Vorstand des Karlsruher Zentrums für Kunst und Medien (ZKM), hatte hierzu gegenüber unserer Redaktion erklärt: „Wenn man Putin jetzt den Donbass zusprechen würde, dann wäre das zwar ein Triumph für einen Diktator und eine Katastrophe. Aber wenn sich der Krieg durch westliche Waffenlieferungen immer weiter hinzieht, dann droht eine noch viel größere Katastrophe.“

Weibel hat nach eigenem Bekunden den Brief mitinitiiert. Den Impuls habe eine „Emma“-Kolumne von Alice Schwarzer mit eben dieser Überlegung gegeben.

Schauspieler Edgar Selge warnt vor Folgen von Waffenlieferungen

Edgar Selge, Schauspieler, als Golo Mann, steht bei Dreharbeiten zum Fernsehfilm "Berthold Beitz – ein unruhiges Leben" (AT) auf Schloss Drachenburg am Fenster.
Die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine hätte dramatische Folgen, argumentiert der Schauspieler Edgar Selge (hier fotografiert bei Dreharbeiten zum Fernsehfilm "Berthold Beitz“). Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Ähnlich äußerte sich der Schauspieler Edgar Selge, der zu den Erstunterzeichnern gehört, am Samstag im Berliner „Tagesspiegel“.

Die Fokussierung der öffentlichen Debatte „auf Waffenlieferungen statt auf Waffenstillstand“ werde zur Folge haben, „dass die zivilen Opfer in der Ukraine durch diese neuen Lieferungen schwerer Waffen ein Maß erreichen werden, das mit keiner politischen Moral mehr zu rechtfertigen ist.“

Doch diese Argumentation wird von vielen Kommentatoren als naiv bis zynisch eingestuft. So twitterte der Grünen-Politiker Peter Heilrath, er frage sich, ob die Unterstützer des Briefs auch den Kämpfern im Warschauer Ghetto zum Aufgeben geraten hätten, „um unnötige Opfer zu verhindern“. Der ehemalige CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz schrieb in einem Gastbeitrag zu „Zeit Online“, die Unterzeichner des Briefes „sollten sich wenigstens mit den Folgen befassen, die eine Kapitulation für die Menschen in der Ukraine hätte“.

Kritik: „Naiv“ und „argumentative Bankrotterklärung“

Der baden-württembergische FDP-Chef Michael Theurer sagte gegenüber den „Stuttgarter Nachrichten“ und der „Stuttgarter Zeitung“, der Brief sei „bestenfalls naiv und von intellektueller Traurigkeit“. Der Sicherheits- und Militärexperte Carlo Masala nannte den Brief auf Twitter eine „argumentative Bankrotterklärung“. Der Satiriker Jan Böhmermann twitterte, der Offene Brief sende „das beruhigende Signal: wenn Putin Deutschland mit Atomraketen angreift, wird sich der intellektuelle Schaden jedenfalls in Grenzen halten“.

Jan Böhmermann, Moderator, steht im Anschluss an seine Late-Night-Show «ZDF Magazin Royal» vor seinem Orchester, dem Rundfunk Tanzorchester Ehrenfeld. Jan Böhmermann bezeichnet sich selbst als Theater-Kind - nun soll ihn die ganze Republik auf der Bühne sehen können. Der Satiriker verlässt sein Fernsehstudio und geht auf Musik-Tour. (zu dpa-Interview «Böhmermann geht auf Tour: «Uns fällt die Studiodecke auf den Kopf») +++ dpa-Bildfunk +++
Mit polemischem Spott hat der Satiriker Jan Böhmermann (hier im Dezember 2021 in der Kulisse seiner Show „ZDF Magazin Royal“) den Inhalt des Offenen Briefs gegen Waffenlieferungen kommentiert. Foto: Rolf Vennenbernd picture alliance/dpa

Die ukrainische Autorin Yevgenia Belorusets kritisierte in ihrer Kolumne aus Kiew auf „Spiegel Online“, nach der Logik des Briefes seien „viele weitere Möglichkeiten, den Frieden zu sichern“ denkbar: „Moldau, Estland, Litauen könnten sich auf ein Ende als souveräne Staaten vorbereiten“, schrieb Belorusets und fügte polemisch hinzu: „Ich würde diesen Ländern sogar im Voraus alle schweren Waffen wegnehmen, damit Putin sie mit weniger Aufwand und Blutvergießen verschlucken kann.“

Vereinzelt gab es positive Stimmen: So kommentierte die „Rhein-Neckar-Zeitung“ aus Heidelberg, der Offene Brief bereichere die Debatte und trage zur Meinungsbildung bei. Und Bundeskanzler Scholz wisse jetzt, „dass es Stimmen im Land gibt, die seine Skrupel nachvollziehen können“. Applaus war am Freitag von der als rechtsnational geltenden „Weltwoche“ aus der Schweiz gekommen, die zuvor bereits erklärt hatte, in der Ukraine führten „die USA Krieg gegen Russland“ und zu dem Offenen Brief titelte: „Autoren, Publizisten und Künstler erwachen“.

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