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BNN-Interview

Karlsruher Wahlkampf in der Corona-Krise: „Das Plakat wird wieder wichtiger“

Welche Folgen hat die Corona-Krise für den OB-Wahlkampf in Karlsruhe? Nach Ansicht des in Hohenheim lehrenden Politik-Professors Frank Brettschneider profitieren vor allem jene Kräfte, die in einer Kommune bereits bekannt sind.

Experte: Frank Brettschneider ist Politikwissenschaftler und Kommunikationsexperte. Er lehrt an der Universität Hohenheim.
Experte: Frank Brettschneider ist Politikwissenschaftler und Kommunikationsexperte. Er lehrt an der Universität Hohenheim. Foto: Marijan Murat/dpa

Frank Brettschneider ist Politikwissenschaftler und Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim. Der Professor hat sich insbesondere mit der Erforschung von Wählerverhalten und der Wechselwirkung zwischen öffentlicher Meinung und Politik einen Namen gemacht.

Über die besondere Situation im Vorfeld der Oberbürgermeisterwahl in Karlsruhe hat BNN-Redaktionsmitglied Wolfgang Voigt mit dem Fachmann gesprochen.

Angesichts von Corona und Teil-Lockdown können sich die Kandidaten weniger bekannt machen als bei früheren OB-Wahlen. Wer profitiert davon?
Brettschneider

Davon profitieren in der Regel eher die Kandidaten, die bereits in der Kommune bekannt sind. Am meisten trifft das auf Amtsinhaber zu. Herausforderer haben es da schwerer, vor allem wenn sie nicht prominent sind. Denn Wahlveranstaltungen und der Haustür-Wahlkampf sind angesichts der Corona-Pandemie kaum möglich.

Welche Möglichkeiten haben die weniger bekannten Aspiranten, dennoch zu punkten?
Brettschneider

Zum einen haben wir ja eine sehr umfangreiche Berichterstattung der klassischen Massenmedien. Zum anderen wird ein altes Wahlkampfinstrument wieder wichtiger: das Wahlplakat. Das muss dann aber gut gemacht sein. Und drittens gewinnen Social Media an Bedeutung – Facebook, Instagram, YouTube und Co. Bei der OB-Wahl in Stuttgart hat ein Drittel der Wählerinnen und Wähler angegeben, über Social Media etwas von den Inhalten der Kandidaten erfahren zu haben. Normalerweise sagen das nur etwa zehn Prozent.

Ist die erforderliche Meinungsbildung auch in der gegenwärtigen Lage ohne größere Wahlveranstaltungen überhaupt noch gewährleistet?
Brettschneider

Ja. Es gibt ausreichend andere Kommunikationswege. Zeitung, Rundfunk, Webseiten, Broschüren und Flugblätter, Wahlplakate und Social Media. Viele Reden von Kandidatinnen und Kandidaten werden zudem im Internet gestreamt und könne dort auch später noch angeschaut werden. Es gibt also zahlreiche Informationsquellen. Hinzu kommen noch die Gespräche mit Freunden und in der Familie.

Muss es bei der Wahl nicht zwangsläufig zu einer Schieflage kommen, wenn sich immer mehr Ältere nicht mehr aus dem Haus trauen?
Brettschneider

Nein. Briefwahl ist in Deutschland einfach und sicher. Niemand muss Angst haben, dass seine Stimme nicht zählt. Und da ältere Menschen zu den intensivsten Zeitungslesern gehören, sind sie auch vor einer Wahl auf diesem Weg gut mit Informationen versorgt.

Bietet Corona eventuell auch die Chance, dass die Inhalte stärker ins Zentrum rücken?
Brettschneider

Das würde ich nicht sagen. Inhalte sind den meisten Menschen wichtig, ganz unabhängig von Corona. Aber aktuell stellen sich viele Menschen die Frage, welche Kandidaten mit der Pandemie gut umgehen würden. Denn letztlich sind es ja die Oberbürgermeister, die die Beschlüsse der Landespolitik auf der kommunalen Ebene konkretisieren. Bei der OB-Wahl in Stuttgart hat die Hälfte der Wählerinnen und Wähler angegeben, dass der richtige Umgang mit der Corona-Pandemie für sie ein wichtiges oder sehr wichtiges Thema ist. Nur der Wohnungsbau und die Verkehrspolitik waren noch wichtiger.

Was folgt daraus?
Brettschneider

OB-Wahlen sind ja immer eine Kombination aus kommunalpolitischen Themen und den wahrgenommenen Eigenschaften der Kandidatinnen und Kandidaten. Und dann kommt noch die politische Großwetterlage dazu. Bei der Kommunalwahl im Mai 2019 hat das Thema Klimawandel alles überstrahlt. Jetzt prägt die Corona-Pandemie unsere Gespräche. Aber auch diese Themen haben ja eine kommunalpolitische Komponente.

In Konstanz hat man die OB-Wahl mit Blick auf den Infektionsschutz verschoben. Beeinflusst eine solche Entscheidung das Ergebnis?
Brettschneider

Das ist unwahrscheinlich. Die Verschiebung erfolgte zu Beginn der Pandemie. Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Inzwischen gibt es bessere Alternativen. Die Briefwahl ist eine gute Option, um Wählerinnen und Wähler aber auch die Wahlhelfer in den Wahllokalen zu schützen.

Wie wirkt sich ein besonders hoher Briefwahl-Anteil auf das Ergebnis einer OB-Wahl aus?
Brettschneider

Der hohe Briefwahl-Anteil wird meist vor allem in einer höheren Wahlbeteiligung sichtbar. Davon profitieren aber in der Regel alle Kandidatinnen und Kandidaten gleichermaßen. Bei der OB-Wahl in Konstanz machten über 90 Prozent der Wählerinnen und Wähler von der Möglichkeit der Briefwahl Gebrauch – über alle Bevölkerungsgruppen hinweg. Wichtig ist, dass es den Menschen leicht gemacht wird, per Briefwahl zu wählen. Etwa indem ihnen der Stimmzettel bereits mit der Wahlbenachrichtigung zugeschickt wird, ohne dass sie ihn erst beantragen müssen.

Muss man bei fortschreitender Pandemie mit schwindendem Interesse an Kommunalpolitik rechnen oder eher mit dem Gegenteil.
Brettschneider

Weder noch. Die Pandemie betrifft alle Ebenen des politischen Systems. Und andere kommunalpolitische Aufgaben sind ja nicht verschwunden. Bezahlbare Mieten, Wohnungsbau, Klimaschutz in der Stadt, Sicherheit und Sauberkeit im Straßenbild, Verkehr und Mobilität, Kinderbetreuung – das alles bleiben wichtige Themen. Hinzu kommt künftig die Frage, wie das alles angesichts sinkender Steuereinnahmen der Kommunen finanziert werden kann.

Gab es jemals in der Geschichte baden-württembergischer OB-Wahlen eine vergleichbare Situation wie die heutige Corona-Lage?
Brettschneider

Meines Wissens nicht. Wir leben tatsächlich gerade in einer sehr ungewöhnlichen Zeit.

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