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Europas größte Kontrollzentrale

Nachtschicht eines Fluglotsen in Karlsruhe: Ein Moment der Unachtsamkeit kann Leben kosten

Die Deutsche Flugsicherung betreibt in der Karlsruher Waldstadt Europas größte Kontrollzentrale für den Luftraum über 7.500 Metern. Die Nachtschicht als Fluglotse ist besonders herausfordernd. Denn ein Moment der Unachtsamkeit kann dutzende Menschenleben kosten.

Fluglotse sitzt mit Maske vor vielen Bildschirmen.
Julian Schwierczinski ist seit 18 Jahren Lotse und hat Erfahrung mit Nachtschichten. Der wechselnde Schlafrhythmus stört ihn bislang nicht. Foto: Uli Deck/dpa

Es ist 22.08 Uhr, in der Karlsruher Waldstadt ist es stockdunkel, im Center der Deutschen Flugsicherung taghell und 20.08 Uhr. Hier laufen die Uhren anders. Es gilt die Weltzeit UTC.

Fluglotse Julian Schwierczinski beginnt in der Kontrollzentrale die Nachtschicht. Wie ist das Wetter, die Lage, der Verkehr, alle Systeme ok? Die Kommunikation ist auf Englisch, auch mit deutschen Kollegen. Nach kurzer Übergabe sitzt der 39-Jährige vor dem Bildschirm.

Schwierczinski ist heute zunächst Koordinationslotse und für die Flugroutenplanung durch den Sektor „Chiemsee“ zuständig. Das Gespräch mit den Piloten übernimmt sein Kollege als Radarlotse.

Der Luftraum über Deutschland gleicht einem großen Puzzle. Er ist in Gebiete unterteilt, in Radarkontrollzentralen überwachen Zweierteams einzelne Sektoren.

Große Zentrale der Deutschen Flugsicherung in Karlsruhe

Die DFS betreibt in Karlsruhe Europas größte Kontrollzentrale für den oberen Luftraum über 7.500 Metern. Rund um die Uhr werden hier etliche Flüge über Deutschland überwacht. In normalen Jahren sind das 1,8 Millionen Flüge pro Jahr, im Corona-Jahr 2020 waren es 861.182 Flüge, dieses Jahr werden es wieder etwas mehr. Für den oberen Luftraum über Nordwest-Deutschland ist Eurocontrol in Maastricht zuständig.

Schwierczinskis Sektor gehört zur Gruppe Süd, die über Bayern wacht. Während sein Kollege einem Piloten über Funk Anweisungen gibt, bereitet er die Übergabe für den benachbarten Sektor vor und stimmt Höhen für den ein- und ausfliegenden Verkehr ab.

Blaue Vektorstriche zeigen Flugzeuge, die in sein Gebiet kommen, schwarze sind drin, lila markiert sind Maschinen, die weg sind. Ob Ferienflieger von der Türkei nach Frankfurt oder von Griechenland nach Stuttgart – Schwierczinskis Job ist es, die Maschinen sicher durch den Sektor zu leiten. Er ist einer von 432 Lotsen in Karlsruhe, darunter 136 Frauen.

Am späten Abend sind nur noch rund 20 Kollegen im Einsatz. Es ist ruhig. Die Unwetterfront hat sich verzogen. „Gewitter stören den normalen Ablauf, sie bedeuten Arbeit“, sagt Schwierczinski. Es müssen dann Flüge umgeleitet und neue Pläne geschrieben, es muss viel telefoniert werden. Damit hatte die Tagschicht gut zu tun.

2002 starben über Überlingen 71 Menschen

Nichts los heißt nicht Entspannung. Fluglotsen müssen immer voll konzentriert sein. Eine ruhige Lage kann sich jederzeit wandeln. Ein Moment der Unachtsamkeit, eine Fehlentscheidung kann Menschenleben kosten. DFS-Sprecher Boris Pfetzing erinnert an die Nacht vom 1. Juli 2002: „Da ist viel schiefgelaufen.“

Bei dem schlimmsten Unglück im DFS-Gebiet waren über Überlingen eine Tupolew-Passagiermaschine und eine DHL-Fracht-Boeing in elf Kilometer Höhe zusammengestoßen. Damals starben 71 Menschen, darunter viele Kinder. Zwei Jahre später wurde der Lotse von einem Angehörigen der Opfer getötet.

Der Lotse der Schweizer Flugsicherung Skyguide – sie kontrolliert den Luftraum über dem Bodensee – hatte die Tupolew aufgefordert, zu sinken, um einer entgegenkommenden Boeing auszuweichen, die steigen sollte. Das automatische Warnsystem im Cockpit gab andere Anweisungen.

Der eine Pilot folgte dem Lotsen, der andere dem Warnsystem, die beiden Maschinen kollidierten. Heute kann das so nicht mehr passieren, betont Pfetzing. Wenn sich zwei Flieger nahe kommen, wird weltweit auf das Cockpit-System gehört, nicht mehr auf den Lotsen.

PRODUKTION - 16.08.2021, Baden-Württemberg, Karlsruhe: Arbeitsplätze von Fluglotsen, aufgenommen bei der Deutschen Flugsicherung (DFS). Nachtarbeit, Wechselschichten, hohe Verantwortung. Fluglotsen haben einen herausfordernden Job und werden gut bezahlt. Doch schon kleine Fehler können schlimme Folgen haben. (zu dpa "Nachtjob Fluglotse - Ein Moment der Unachtsamkeit kann Leben kosten") Foto: Uli Deck/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Hoch komplexe Arbeit: Fehler eines Fluglotsen können Menschenleben kosten. Foto: Uli Deck/dpa

Die Katastrophe ist für jeden hier präsent. Schwierczinski ist sich bewusst, dass hinter den abstrakten Flugbewegungen am Bildschirm viele Menschen stehen. „Man macht seinen Job“, sagt er ruhig. Doch das Stresslevel steigt auch beim ihm, wenn eine plötzliche Landeanfrage kommt, etwa weil ein Passagier an Bord kollabiert ist.

Fluglotsen haben hohe Belastung und hohes Gehalt

Fluglotsen haben einen der hohen Belastung und Verantwortung angemessen bezahlten Job, wie es die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) ausdrückt. Ein junger Lotse verdient bis zu 120.000 Euro pro Jahr plus Zuschläge.

Schwierczinski ist seit 18 Jahren Lotse. Er liebt seinen Beruf. Auch, weil kein Tag wie der andere ist. Nach fünf Tagen Arbeit folgen drei freie Tage. Für die zwei Nachtschichten hat er sich freiwillig gemeldet. Er hat dafür am Tag mehr Zeit für seine Frau und die neunjährige Tochter.

Die meisten Kollegen und Kolleginnen verringern nach Möglichkeit die Anzahl der Nachtschichten im Verlauf der Jahre so gut es geht.
Sprecher der Gewerkschaft der Flugsicherung

Ein GdF-Sprecher attestiert der DFS einen guten Umgang mit den schwierigen Bedingungen des Wechselschichtdienstes. Nachtschichten brächten aber natürlich den Biorhythmus ordentlich durcheinander.

Wie sehr, sei abhängig von der Person und der Menge. „Die meisten Kollegen und Kolleginnen verringern nach Möglichkeit die Anzahl der Nachtschichten im Verlauf der Jahre so gut es geht.“

Schwierczinski stört der wechselnde Schlafrhythmus bislang nicht. Er empfindet es erst nach drei Nachtschichten anstrengend. Und seine Frau dann ihn.

Wenn er nach dieser Schicht um 6 Uhr aus dem fensterlosen und immerhellen Hochsicherheitstrakt auscheckt, holt er auf dem Heimweg Brötchen. Vier Stunden Schlaf reichen ihm vor dem späten Familienfrühstück. Ein Mittagsschlaf muss nach der Nachtschicht dann auch noch sein.

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