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Vorträge zu „Renaissance 3.0“

Wenn Wissenschaft auf Widerstände trifft: Symposium am ZKM Karlsruhe mit Nobelpreisträgern

Entfernt sich die Wissenschaft von der Gesellschaft, wenn ihre Themen immer spezifischer und kleinteiliger werden? Einen Gegenbeweis lieferte das Symposium „Renaissance 3.0“ am ZKM Karlsruhe mit sehr anschaulichen Beiträgen.

Besucher interagieren mit dem Werk „Wissensfeld“ von Peter Weibel und Christian Lölke in der Ausstellung „Renaissance 3.0“ am ZKM Karlsruhe, 24.03.2023
Die Zukunft des Wissens liegt in der Vernetzung. Diese These der Ausstellung „Renaissance 3.0“ am ZKM Karlsruhe war auch Thema bei einem Symposium am Eröffnungswochenende. Foto: Felix Grünschloß/ZKM

Wie kommt man zum Chemie-Nobelpreis? Indem man Chemie in der Schule abwählt. Eine zugegebenermaßen steile These. Allerdings: Bei einer Studie mit nur einem Probanden, nämlich Stefan Hell, träfe sie zu hundert Prozent zu.

Symposium am ZKM Karlsruhe: Nobelpreis-Entdeckung war jahrelang abgelehnt worden

Der Direktor zweier Max-Planck-Institute (in Göttingen und Heidelberg) erhielt 2014 gemeinsam mit zwei Forschern aus den USA besagten Nobelpreis. Und er hat nicht nur, wie er beim Symposium „Renaissance 3.0“ im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) erzählte, Chemie abgewählt. Er ist zudem eigentlich Physiker. Und das Projekt, für das er ausgezeichnet wurde, war jahrelang von Förderungsverfahren abgelehnt worden.

Hells faszinierender Vortrag „Wie man eine naturwissenschaftliche Grenze überwindet“ zeigte auch, wie man kommunikative Grenzen überwindet. Denn er vermittelte ein komplexes Thema höchst anschaulich – nicht zuletzt, indem er von seinem Werdegang, seiner Idee und dem Überwinden vieler Widerstände, mit der Spannungskurve eines Hollywood-Drehbuchs berichtete.

Symposium war initiiert von Peter Weibel für seine letzte Ausstellung

Sein Beitrag war ein Glanzlicht bei dem insgesamt hochkarätigen Symposium, das Peter Weibel, der zu Monatsbeginn überraschend verstorbene ZKM-Vorstand, für die Eröffnung seiner letzten Ausstellung initiiert hatte.

Ausgangspunkt der Ausstellung „Renaissance 3.0“ ist das Potenzial, das Wissenschaft und Kunst mit neuen Technologien für die Gesellschaft entwickeln können. Das Symposium lieferte konkrete Beispiele.

Etwa mit „Mixed Reality in der modernen Gehirnchirurgie“: Uwe Spetzger, Direktor der Klinik für Neurochirurgie am Städtischen Klinikum Karlsruhe, führte vor Augen, welch profunde Rolle die virtuelle Visualisierung von Operationsvorgängen einnimmt.

Hierbei gilt es, auf dem Weg zu einem Tumor oder Aneurysma ganz exakt jene nur wenige Millimeter breite Passage zu finden, bei der nichts beschädigt werden kann. Zum Zusammenwirken von Maschine und Mensch, eines der Kernthemen der Ausstellung, sagte Spetzger:. „Das Mikroskop fährt computergesteuert genau an die vorberechnete Stelle, aber die Operation muss man nach wie vor taktil ausführen.“

Die Ausstellung deutet den massiven Entwicklungssprung durch die Digitalisierung als ähnlichen Paradigmenwechsel wie die Erfindung des Buchdrucks, die Entdeckung der Zentralperspektive und die Durchsetzung eines geozentrischen Weltbildes zu Zeiten der italienischen Renaissance.

Widerstände außerhalb und innerhalb der Wissenschaft

Doch diese neue Zeitenwende ist nicht ohne Hemmnisse. Eine Herausforderung für die Wissenschaft sind nicht nur anti-aufklärerische Bewegungen wie etwa jene der „Querdenker“, deren Strategien der Sozialpsychologe Tilmann Betsch in seinem Beitrag „Science Matters!“ aufschlüsselte. Oft genug gibt es auch Widerstände innerhalb der Wissenschaft selbst.

Für eine Paradigmenwende muss man außerhalb der Paradigmen agieren.
Stefan Hell, Nobelpreisträger Chemie 2014

Den Grund beschreibt Nobelpreisträger Hell so: „Um zu einer paradigmatischen Wende zu kommen, muss man außerhalb der Paradigmen agieren.“ Er hatte Mitte der 1990er Jahre einen Ansatz entdeckt, wie sich eine als unumstößlich geltende Obergrenze mikroskopischer Vergrößerung überschreiten ließ. Und zwar indem er die bestehende Anordnung nicht verfeinerte, sondern grundlegende änderte.

Mittlerweile ein schlagender Erfolg – doch anfangs habe er über Jahre hinweg von Koryphäen und Förderungskommissionen nur zu hören bekommen, das sei unmöglich.

Auf Vorbehalte anderer Art war Christiane Nüsslein-Volhard getroffen. Die 1995 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnete Biochemikerin berichtete im ZKM von den Reaktionen auf ihre ersten Studien zu der Bildung von Farbmustern bei Fischen. Eine Veröffentlichung sei nach Begutachtung durch andere Wissenschaftler („peer review“) abgelehnt worden, weil das Thema nicht interessant sei.

Mit ihrer Forschung konnte sie letztlich nachweisen: Auch wenn die Färbung für das Überleben eines einzelnen Tieres kaum relevant ist, so ist sie für das Überleben einer Gattung existenziell. Denn nur über diese Farbmuster erkennen die untersuchten Fische mögliche Sexualpartner.

Je mehr das Detailwissen wächst, desto wichtiger wird Kontext

Jeweils für sich allein genommen, ließen sich derart spezialisierte Themen auch als Ausdruck einer Krise deuten. Stefan Bast, Direktor der Wiener Universität für angewandte Kunst, verwies in seinem Vortrag „Kreativität ist Macht“ auf eine Warnung des Internationalen Wissenschaftsrates. Dieser habe 2021 erklärt, eine in immer spezifischere Fachdetails aufgliedernde Forschung entferne sich von den Bedürfnissen der Gesellschaft.

Der alte Leitsatz „Wissen ist Macht“, so Bast, gelte nicht mehr angesichts der Unübersichtlichkeit von rund drei Millionen wissenschaftlicher Veröffentlichungen pro Jahr: „Entscheidend für die Produktion von Wissen mit Machtpotenzial wird in Zukunft die Fähigkeit zu kreativer Kontextualisierung sein.“

Womit nicht nur der hohe Wert dieses Symposiums, das in seiner Themen- und Stimmenvielfalt zu genau jener Kontextualisierung einlud, auf den Punkt gebracht wäre. Sondern auch die Ära von Peter Weibel am ZKM.

Service

Die Livestream-Übertragungen von beiden Tagen des Symposiums sind als Aufzeichnung auf YouTube abrufbar.

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