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Kein Gewicht vor Gericht?

Wie sich Betroffene gegen Gewichtsdiskriminierung wehren können

Mehrgewichtige finden schwerer Arbeit, sind häufig Opfer von Mobbing und erhalten seltener den Beamtenstatus. Trotzdem verstößt die Diskriminierung dieser Menschen nicht gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Was Betroffene trotzdem tun können.

Großaufnahme eines Smartphone-Displays. Darauf ein Chat-Fenster mit einer erhaltenen Nachricht: „You are fat.“ Man sieht darüber ein Foto eines Körpers im Bikini.
Beleidigungen, Benachteiligungen, Mobbing: Für viele mehrgewichtige Menschen ist das Alltag. Wo gibt es Hilfe? Foto: terovesalainen – stock.adobe.com

Jahr für Jahr gibt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes einen Überblick über die Diskriminierungserfahrungen in Deutschland. Neben den durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geschützten Merkmalen - ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Identität - berichten Menschen auch immer wieder von Diskriminierungserfahrungen aufgrund des Gewichts. Trotzdem ist dieses Merkmal nach wie vor nicht vom AGG geschützt. Das bedeutet, Betroffene können auf dieser Grundlage nicht klagen, wenn sie wegen ihres Gewichts diskriminiert werden.

Die Juristin Stephanie von Liebenstein gründete 2005 die Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung. Die hat es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht, Betroffenen bei der Recherche zu helfen. Von Liebenstein kennt Gerichtsurteile, Präzedenzfälle und juristische Wege, die Menschen gehen können, wenn sie sich gegen Gewichtsdiskriminierung wehren wollen. Denn ohne den Schutz durch das AGG ist das für Laien ein nahezu aussichtsloses Unterfangen.

Meist geht es um Fälle, bei denen Mehrgewichtige im Arbeitsleben diskriminiert werden. Dann werden die Betroffenen wegen ihres Gewichts entweder nicht befördert, gekündigt oder gar nicht erst eingestellt. Manchmal geht es auch um Mobbing. Das zu beweisen, ist jedoch schwer.

Ist Fettleibigkeit eine Behinderung?

Von Liebenstein kennt Fälle, in denen mehrgewichtige Menschen versucht haben, mit dem durch das AGG geschützten Merkmal „Behinderung“ zu argumentieren. Das Problem dabei: „Die meisten Menschen mit Adipositas sind ja weitgehend gesund“, so von Liebenstein. Die europäische Rechtsprechung, an die sich die deutsche anlehnt, erkennt Adipositas nur dann als Behinderung an, wenn sie auch mit Mobilitätseinschränkungen einhergeht. Das ist jedoch nur bei wenigen Menschen der Fall, die Gewichtsdiskriminierung erleben.

Doch inzwischen umfasst die Definition von Behinderung auch eine soziale Komponente. „Von einer Behinderung spricht man, wenn jemand eine Einschränkung hat, die ihn im Zusammenspiel mit sozialen Barrieren an gesellschaftlicher Teilhabe hindern“, erklärt die Juristin.

Bislang hat jedoch noch kein Gericht hohes Gewicht als soziales Stigma akzeptiert. Für von Liebenstein völlig unverständlich. „Viele Daten, die uns vorliegen, zeigen das genaue Gegenteil auf“, sagt sie. „Gewichtsdiskriminierung ist eine der verbreitetsten Diskriminierungsformen überhaupt“.

Hochgewichtige gelten immer als ungesund und krank. Aber wenn es darum geht, dies als Behinderung einzustufen, sind sie doch wieder nicht krank genug.
Stephanie von Liebenstein, Juristin

Doch es gibt noch ein weiteres Problem, weswegen eine Diskriminierung wegen des Gewichts nicht mit dem geschützten Merkmal Behinderung abgedeckt sein kann: Viele Betroffene sind schlichtweg zu dünn dafür. „Es gibt viele Leute, die wegen Gewichtsdiskriminierung vor Gericht gehen, und überhaupt nicht dick sind“, erklärt von Liebenstein. „Zum Beispiel, weil sie keine Modelmaße haben und deshalb im Szene-Shop nicht als Verkäufer eingestellt werden. Diese Leute könnte man über den Behinderungsbegriff nicht schützen.“

Außerdem wollen sich viele Mehrgewichtige gar nicht als behindert verstehen und auch nicht so betrachtet werden. Dennoch, ein Wermutstropfen bleibt. „Hochgewichtige gelten immer als ungesund und krank. Aber wenn es darum geht, dies als Behinderung einzustufen, sind sie doch wieder nicht krank genug“, so die Juristin.

Bei Beleidigungen oder gar körperlichen Angriffen auf der Straße ist der Fall hingegen klarer. Hier sind die Betroffenen vom Strafrecht geschützt. Allein, sie müssten ihr Recht auch einfordern. Das tun aber die wenigsten. „Das große Problem ist, dass die Leute nicht begreifen, dass sie zu einer sozialen Gruppe gehören, die systematisch unterdrückt wird“, sagt von Liebenstein. „Die Leute schämen sich und glauben, das ist ihr persönliches Gewichtsproblem. Sie verstehen nicht, dass das Private hier politisch ist.“

Verbeamtung mit einem BMI über 30?

Auch beim Beamtenstatus war das Gewicht immer wieder Thema. Der Glaube, dass eine Verbeamtung mit hohem Gewicht per se ausgeschlossen ist, hält sich hartnäckig. „Gesetzlich geregelt war das nie“, sagt von Liebenstein aber. Es habe sich dabei lediglich um ein internes Dokument, um Richtlinien für die Verwaltung, gehandelt, die die erforderliche „gesundheitliche Eignung“ konkretisieren sollten.

„Seit 2013 gibt es ein Gerichtsurteil des Bundesverwaltungsgerichts, das klarstellt, dass die Beweislast nicht mehr beim Verbeamtungsanwärter liegt, sondern beim Dienstherrn“, so die Juristin. Der Dienstherr muss also für jeden Bewerber individuell nachweisen, dass dieser für eine Beamtung gesundheitlich nicht geeignet ist und den Beruf nicht bis zum regulären Dienstende ausüben wird.

Dieser Beweis ist auch bei mehrgewichtigen Menschen fast nicht zu erbringen. „Schon die normalgewichtigen Beamten und Beamtinnen erreichen die Altersgrenze im Dienst nur zu 50 Prozent“, gibt von Liebenstein zu bedenken. „Das muss man mit Adipositas erst einmal toppen.“ Gegen eine versagte Verbeamtung aufgrund des Gewichts zu klagen, hat also gute Chancen auf Erfolg. „Wenn man sich denn wehrt“, so von Liebenstein.

In Bewerbungsgesprächen ist Selbstbewusstsein wichtig

Doch wie sollen sich Mehrgewichtige „wehren“, wenn es etwa um Bewerbungsgespräche geht? Nur die wenigsten potenziellen Arbeitgeber sagen schließlich offen, dass eine Person nur wegen ihres Gewichts nicht eingestellt wird.

„Arbeitslos und übergewichtig sein ist eine schlechte Kombination“, sagt Patricia Montbrun-Löffler, die Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt bei der Agentur für Arbeit in Karlsruhe. „Arbeitgeber haben oft die - häufig unbegründete - Angst, dass stark Übergewichtige mit Begleiterscheinungen kommen. Dass sie nicht so belastbar sind. Nicht so agil. Dass sie öfter krank sind.“

Ich denke nicht, dass die Leute alle runterschlanken der richtige Weg ist.
Patricia Montbrun-Löffler, Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt

Mehrgewichtige Menschen selbst täten sich wiederum häufig mit Bewerbungsgesprächen schwer, weil sie sich nicht wohl in ihrer Haut fühlten. In Zeiten von Online-Bewerbungen via Kamera sei das Problem manchmal noch größer. Montbrun-Löffler ist überzeugt, dass die Betroffenen vor allem mentale Unterstützung benötigen. „Diese Menschen sind permanent Unterstellungen und Vorurteilen ausgesetzt. Das ist manchmal richtig aggressiv, was mit diesen Menschen gemacht wird“, sagt sie.

Sie rät Betroffenen, nicht davor zurückzuscheuen, sich Hilfe zu holen. „Nicht unbedingt in Sachen Ernährungsberatung“, so Montbrun-Löffler. „Ich denke nicht, dass die Leute alle runterschlanken der richtige Weg ist. Es geht eher ums Selbstbewusstsein.“

Für das Bewerbungsgespräch hat sie noch einen konkreten Tipp: „Ich bin eine Freundin von Einwandvorwegnahmen: Wenn ich weiß, welche Vorbehalte der andere im Kopf haben wird, spreche ich sie direkt an“, sagt sie. Um den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Mehrgewichtige Personen könnten etwa direkt ihr Gewicht ansprechen, aber das Gespräch dann auch auf ihre Kompetenzen lenken. „Vielleicht kann man sogar die Info mitgeben, dass man privat aktiv ist oder gerne Sport macht“, so Montbrun-Löffler. Das Wichtigste sei, Kompetenz und Selbstbewusstsein auszustrahlen.

Wie die Antidiskriminierungsstelle bei Gewichtsdiskriminierung helfen kann

Hilfe finden Betroffene auch bei der Antidiskriminierungsstelle (ADS) in Karlsruhe. Annette Ganter ist die Leiterin dort und kennt die Anliegen, wegen denen Menschen oft Hilfe suchen. Wegen Gewichtsdiskriminierung kommen allerdings die wenigsten. Nicht etwa, weil sie in Karlsruhe nicht vorkommt. „Ich vermute, es liegt daran, dass betroffene Personen das hinnehmen“, sagt Ganter. „Und dass sie oft nicht wissen, dass das Diskriminierung ist. Es ist ja so alltäglich, dass höheres Gewicht kritisiert wird. Auch wegen des Schönheitsideals, das in Werbung, Fernsehen und in den Medien vermittelt wird.“

Dass das Merkmal „Gewicht“ nicht vom AGG geschützt ist, sieht auch Ganter als Problem. „Nur weil es per Gesetz nicht gilt, sagen wir trotzdem, das ist eine klare Diskriminierung“, sagt sie. Es sei eben kein gutes Gesetz.

Zu helfen versucht die ADS trotzdem in jedem Fall. Oft gibt es auch ohne gesetzliche Rückendeckung Erfolg. „Wir können Beschwerdebriefe verfassen, wir können Kontakt zu Anwälten herstellen, Kontakt mit den jeweiligen Verantwortlichen aufnehmen oder Arbeitgeber anschreiben“, erklärt Ganter. Man könne auch mit Öffentlichkeit drohen. Es werde aber immer nur das unternommen, was die betroffene Person möchte. Jeder Schritt werde abgesprochen mit dem Ziel, eine konstruktive Lösung zu finden.

Nur, weil es mir ständig passiert, heißt das nicht, dass es in Ordnung ist.
Annette Ganter, Beraterin der Antidiskriminierungsstelle Karlsruhe

Doch bevor Hilfe gesucht und geleistet werden kann, müssen Betroffene überhaupt verstehen, dass ihnen Diskriminierung widerfährt. Woran also erkennt man, dass man diskriminiert wird? „Ich glaube, jeder hat eigentlich ein Gefühl dafür, wenn man ungleich behandelt wird“, erklärt Ganter. „Dann fühlt man sich unwohl, kann es aber nicht genau greifen, warum einem gerade etwas passiert ist.“ Ein klares Zeichen sei auch, wenn einem Zugänge versperrt werden ohne dass es dafür einen nachvollziehbaren Grund gibt.

„Nur, weil es mir ständig passiert, heißt das nicht, dass es in Ordnung ist“, gibt Ganter zu Bedenken. Auch die ADS wäre froh, wenn sich mehr Menschen wegen Gewichtsdiskriminierung melden würden. „Wir brauchen Fälle, damit wir das weiter in die Politik tragen können“, erklärt Ganter. „Politik funktioniert leider oft nur über Zahlen.“

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