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Schriftsteller mit Humor

Wladimir Kaminer im Karlsruher Tollhaus: Der mit Jesus Weißwurst aß

Was bleibt nach den vielen kulturellen Absagen in der Pandemie? Wladimir Kaminer präsentiert im Tollhaus seine Lösung: Selbstironie, Menschenliebe und die Erkenntnis des höheren Blödsinns.

Wladimir Kaminer
Wladimir Kaminer Foto: Bernadette Fink

Das kann wahrhaftig nicht jeder von sich sagen: „Ich habe mit Jesus Weißwurst gegessen.“ Wladimir Kaminer kann. Jesus war verzweifelt, weil er befürchtete, dass es nun doch nicht zu seinem großen Auftritt kommt – denn wegen Corona ist alles abgesagt, auch die Kreuzigung.

Und so saß er mit einer Schwester deprimiert im Lokal vor Weißwurst und Brezel. Nur alle zehn Jahre finden in Oberammergau die Passionsspiele statt, erfunden wurden sie vor 400 Jahren, um die Pest vom Ort abzuwenden. Das scheint heute nicht zu wirken. Warum nur? „Vielleicht ist Söder der Antichrist“, heißt es, und Kaminer betont: „Das sind Jesu Worte.“

Traditionell ist Wladimir Kaminers Auftritt im Tollhaus in Karlsruhe die erste Veranstaltung im Jahr. Auch sie musste, wie die Passionsspiele, verschoben werden. Wie immer ist sein Auftritt eine Mischung aus Lesung aus seinen beiden jüngsten Büchern und lockerer, freier Erzählung.

Vergangenes Jahr haben ihn die Filme gerettet, die er gedreht hat – einige davon sind grade im Fernsehen zu sehen. Geplant als Reisen zu besonderen Orten, nach Montreux zum Jazzfestival oder Neuschwanstein, wurden es Begegnungen der besonderen Art, denn die großen Veranstaltungen waren alle abgesagt.

Ehrenrollen für die Älteren beim Passionsspiel

Kaminers Crew reiste dennoch hin: „In Montreux musizierten die Bewohner der Stadt auch nicht schlechter als die Profis.“ In Oberammergau traf er die „sehr rustikalen Menschen, eine Mischung aus Metzgerei und Christentum“. Er berichtete auch von den „Römern“ im Passionsspiel: Es seien Ehrenrollen für die Älteren, die sich keinen Text merken können. Jetzt sind sie aber zur Risikogruppe geworden. Ihre größte Sorge: „Was ist, wenn Jesus am Kreuz die Nase juckt? Da kann er ja nicht in die Armbeuge niesen. Und schon sind wir angesteckt.“

In seinem fulminanten Auftritt erzählte Kaminer vom Freitag, dem 13. März, als er in Baden-Baden den Anfang der Pandemie erlebte und er am Bahnhof auf strahlende Zeugen Jehovas traf, die ihm rieten, sich feste Schuhe zuzulegen, weil man am Ende der Welt „auf dem Rücken einer Riesenschlange zur Gerichtssitzung laufen müssen, einer sehr glatten Ebene also“.

Von seinem Freund, der sechs Mal geimpft wurde, weil seine deutschen Impfungen in Russland nicht anerkannt wurden: „Ich kann jetzt die gesamte Autoindustrie mit Chips versorgen.“ Von den Kindern, die jetzt statt Verstecken „Ansteckspiele“ spielen: „Du hast Corona, Mona! Steck an!“

Wladimir Kaminer ist authentisch

Von den österreichischen „Aperol-Spritz-Damen“, die meinen, durch die Impfung habe man jede Nacht weniger Sauerstoff im Hirn und wache jeden Morgen etwas blöder auf. Von den biologischen Fruchtfliegen, die im heißen Berliner Sommer in die Wohnung kamen und von seiner Mama mit einer elektrischen Fliegenklatsche getötet und an die kleinen Amseln verfüttert wurden, die ihr Nest im Aschenbecher auf dem Balkon hatten.

Alles ist authentisch, was Kaminer vorträgt: Seine genauen Beobachtungen mit einer gehörigen Prise Selbstironie, Menschenliebe und Erkenntnis des höheren Blödsinns im Alltag machen seine Bücher und seine Auftritte zu einem höchst vergnüglichen und nachdenkenswerten Erlebnis.

Bücher von Wladimir Kaminer

„Die Wellenreiter“. 288 S., 20 Euro / „Der verlorene Sommer“, 192 S., 16 Euro, beides Goldmann Verlag

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