
Der Markt an gebrauchten Wohnimmobilien in Karlsruhe ist ziemlich leergefegt, entsprechend stauen sich vor Saal 1.09 des Amtsgerichts die Interessenten. Gut hundert Männer und Frauen haben sich hier eingefunden, alle tragen sie Gesichtsmasken, fast alle tragen auch Aktentaschen, und manche sind ziemlich aufgeregt. Zwangsversteigerung. Die fragliche Eigentumswohnung liegt in der Nordweststadt, sie ist vermietet, hat drei Zimmer, Balkon und 73 Quadratmeter Wohnfläche.
Der kleine Schönheitsfehler: Von innen hat sie niemand gesehen, auch der Gutachter nicht. Das kann ein Nachteil sein, muss es aber nicht, gibt Rechtspflegerin Bianca Sykora den vielen Dutzenden Bietwilligen mit auf den Weg. Denn beim Verkehrswert hat man diesen Umstand berücksichtigt. Er ist pauschal um 25 Prozent reduziert: 126.000 Euro beträgt er laut Amtsgericht. Das klingt für die allermeisten hier äußerst attraktiv.
Mindestbetrag 63.000 Euro
Erst recht der zuschlagsfähige Mindestbetrag: Für 63.000 Euro könnte man das Appartement einsacken. Theoretisch – wenn niemand sonst böte. Es wäre dann ein Mega-Schnäppchen. Doch schon das erste Gebot liegt deutlich darüber: Mit 90.000 Euro beginnt das Bietergefecht.
Bis allerdings die mindestens 30-minütige Bieterrunde startet, gibt es erst noch viele Informationen: Der Grundbucheintrag wird verlesen, die Pflicht zur Begleichung der Grunderwerbsteuer verkündet, die Rechtspflegerin weist darauf hin, dass die Versteigerung das bestehende Mietverhältnis im Grundsatz nicht tangiert, und außerdem braucht es noch eine Sicherheitsleistung – zu hinterlegen per Überweisung oder Verrechnungsscheck.
Hoffnung auf Abstauber-Coup
Es gibt hier Zaungäste, die die Versteigerung einfach nur miterleben wollen, es gibt Schnäppchenjäger, denen angesichts des Andrangs sofort klar ist, dass ein Abstauber-Coup heute unmöglich ist. Und es gibt eine beträchtliche Zahl ernsthafter Interessenten, die den Markt und die Handelspreise genauestens kennen. „Bis 200.000 Euro gehe ich mit“, verrät vorab einer von ihnen, ein Mittfünfziger in Freizeitkleidung.
Angesichts der Nullverzinsung auf der Bank sei ein solcher Preis selbst dann noch gerechtfertigt, wenn die Wohnung – Baujahr 1966 – umfassend saniert werden müsse. 37 Interessenten haben die fünfstellige Sicherheitsleistung überwiesen, wie die Rechtspflegerin bekannt gibt, der Rest wahrt seine Chancen per Verrechnungsscheck.
Verhaltener Beginn
90.000 Euro stehen nun im Raum, schon im zweiten Schritt sind 100.000 erreicht, das dritte Gebot beträgt 139.000 Euro. Mehr oder minder in Tausender-Schritten schraubt sich nun das Niveau nach oben. Das geschieht gemächlich, denn die Bieter müssen in der Anfangsphase der Versteigerung zunächst einzeln nach vorn marschieren, um sich auszuweisen und den Nachweis der Sicherheitsleistung zu erbringen.
Vergleichsweise zügig verläuft im Anschluss die weitere Entwicklung bis 180.000 Euro: Von ihren Sitzplätzen aus rufen die Bieter ihre neuen Gebote nach vorn und nennen ihren Namen – aktenkundig sind sie jetzt ja schon. Die Gebote steigern sich, bis man nach der 30-minütigen Mindestzeit bei 188.000 Euro angelangt ist.
Wie lange die Bietergefechte jetzt noch andauern, hängt von der Investitionsbereitschaft des Publikums ab. Öfter erhebt die vorsitzende Rechtspflegerin Bianca Sykora nun die Stimme, nennt das aktuelle Höchstgebot. Weitere Gebote? Die Spannung steigt.
Bietergefechte
Zwei Haupt-Interessenten kämpfen jetzt um die Vorherrschaft, unterbrochen immer wieder von Ansagen taktischer Überraschungsbieter. Wechselweise in Tausender- und in Hunderter-Schritten steigt der Preis; bei 216.100 Euro schnellt er unvermittelt auf ein Gebot von 220.000 Euro in die Höhe.
Bei 230.100 Euro das Gleiche: 235.200 stehen nun zu Buche. Erstmals geht ein Raunen durch die Reihen. Am Ende sind es 242.000 Euro, zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten. „Immer noch ein annehmbarer Preis“, sagt einer, als er den Gerichtssaal verlässt. Ein anderer sekundiert: „Der Immobilienmarkt ist halt leergefegt.“