Es ist ein Werk, dessen schiere Dimension tiefen Eindruck macht: Wie ein Wasserfall scheint eine Flut aus weißen Krankenhausbetten auf den Betrachter einzustürzen, wenn er das Foyer des Karlsruher Zentrums für Kunst und Medien betritt.
Zwischen den weißen Metallstangen schlängeln sich Gummischläuche, durch die unablässig eine rote Flüssigkeit strömt. „Connected to Life“ heißt diese raumfüllende Installation der japanischen Künstlerin Chiharo Shiota, die mit der Wiederöffnung des ZKM an diesem Mittwoch, 19. März, erstmals für Besucher zugänglich sein soll.
„Verbunden mit dem Leben“ heißt der Titel übersetzt, was das Werk universell deutbar macht als Hommage an die Mühen der Medizin, Leben zu retten.
Karlsruher ZKM mit künstlerischem Statement zur Coronakrise
Der Grund für die Entstehung der Installation ist allerdings auch der gleiche, aus dem sie bislang nicht zu sehen war: Für ZKM-Vorstand Peter Weibel ist dieses Werk ein künstlerisches Statement zur Coronakrise. „Es ist ein Mahnmal für die Opfer des Virus und für den Einsatz all jener Menschen in der Medizin, die ihr eigenes Leben riskieren, um andere zu retten“, erklärt er.
Eine der so Engagierten will Weibel bei der Eröffnung zu Wort kommen lassen: Er hat die Tübinger Ärztin Lisa Federle, die maßgeblich an der frühzeitigen Corona-Teststrategie in Tübingen beteiligt war, zu einer Eröffnungsrede eingeladen, die an diesem Mittwoch, 17. März, ab 18.30 Uhr auf zkm.de übertragen werden soll.
In solchen Zeiten ist die Kunst als Seismograf für eine gesellschaftliche Situation gefordert.Peter Weibel, ZKM-Vorstand
Das ZKM hat dieses Werk erst möglich gemacht: Weibel wurde bei der Suche nach einem künstlerischen Zugriff auf die Krise im Werk von Chiharo Shiota fündig und gewann die Wahl-Berlinerin für ein Auftragswerk. „In solchen Zeiten ist die Kunst als Seismograf für eine gesellschaftliche Situation gefordert“, sagt der Medienkünstler und Kurator, der das ZKM seit 1999 leitet. Es greife zu kurz, wenn man nach der monatelangen Schließzeit einfach wieder öffne und Kunst wie eine zwischenzeitlich eingelagerte Ware präsentiere.
Dieses Gegenwarts-Engagement habe auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann schon gewürdigt, berichtet Weibel stolz. Als der Regierungschef vor zweieinhalb Wochen wegen des BNN-Wahlforums im ZKM war, habe er die Installation so kommentiert: „Wie immer – das ZKM auf der Höhe des Seins.“
ZKM-Werk: 57 Betten bis in 14 Meter Höhe verkettet
Aufgebaut ist das Werk bereits seit Mitte Februar. Präsentiert worden ist es bislang nicht, weil keine Besucher zugelassen waren und sich diese Installation – im Gegensatz zu vielen Angeboten des ZKM – nicht im digitalen Raum vermitteln lässt.
Nur wer vor diesen 57 Betten steht, die aus 14 Metern Höhe herabzustürzen scheinen, erfährt den Eindruck einer bedrohlichen Sturzflut, kann die Szenerie aber auch als das Gegenteil wahrnehmen. Nämlich als einen fragilen Damm aus medizinischen Hilfsmitteln oder als einen Berg, dessen behutsames Erklimmen einen Ausweg eröffnen könnte.
Bei einem solchen Werk kommt es auf die räumliche Erfahrung an.Peter Weibel, Medienkünstler und Kurator
„Bei einem solchen Werk kommt es auf die räumliche Erfahrung an“, bestätigt Weibel. Er betont, das ZKM sei stets bewusst zweigleisig gefahren: „Wir haben immer Arbeiten für das Erlebnis im Raum konzipiert, zum Beispiel die künstliche Wolke von Tetsuo Kundo bei unserer Ausstellung ,Exo-Evolution’ im Jahr 2015.“
Auf der anderen Seite stehe die wachsende Bedeutung von Kunst im Netz, und das keineswegs nur wegen der Corona-Schließungen. Schließlich hatte sich das ZKM bereits 1999 in der Schau „NetCondition“ diesem Genre gewidmet.
Digitalisierung verändert Betrieb des Museums
Die fortschreitende Digitalisierung und die Erfahrung der Corona-Schließungen werde den Museumsbetrieb verändern, ist Weibel überzeugt. „Bei den so genannten Blockbuster-Ausstellungen bisheriger Machart hat man vor Ort doch oft keine Gelegenheit, sich mit der Kunst auseinanderzusetzen, weil man als Teil der Besuchermasse von Werk zu Werk weitergeschoben wird“, befindet er.
Für die Zukunft erwartet er eine stärkere Aufteilung in weniger Besucher vor Ort, die sich dafür intensiver mit einer Ausstellung befassen, und eine größere Auswertung ohne räumliche Begrenzung im Internet.
Zumal das ZKM während des Shutdowns sein Einzugsgebiet sogar noch vergrößert habe, wie Pressesprecherin Dominika Szope erklärt: „Beim Tag der offenen Tür, den wir diesmal nur digital veranstaltet haben, waren rund 12.000 Online-Besucher dabei – die Hälfte davon tatsächlich das ganze Programm über“, erklärt sie.
ZKM bietet Online-Führungen in anderen Zeitzonen an
In zahlreichen Rückmeldungen sei danach darum gebeten worden, das digitale Angebot nach dem Ende der Coronakrise nicht wieder zurückzufahren. Also habe man hier bereits bestehende Felder weiter beackert – mit beachtlichem Ergebnis. „Mittlerweile bieten wir auch Online-Führungen an, die sich an anderen Zeitzonen ausrichten, etwas der US-Ostküste oder Asien“, sagt Szope. „Und die sind jedesmal gut gebucht.“
Mit diesen Voraussetzungen hofft das ZKM nun auch die kommenden Wochen und Monate zu überstehen. Angesichts der unsicheren Inzidenzzahlen dürfte die aktuelle Öffnung nur von kurzer Dauer sein. Für Sommer wird auf normalen Ausstellungsbetrieb gehofft, für Herbst ist eine große Biomedien-Ausstellung vorgesehen, um die Themen aus „Exo-Evolution“ weiterzuführen. Auch insofern passt die neue Großinstallation mit ihren lebenserhaltenden Gummischläuchen ins ZKM als einem Ort, an dem in Verbindungen gedacht wird.
Infos zum Mahnmal im ZKM
Die Installation „Connected to Life“ steht bis 11. Juli im Foyer des ZKM Karlsruhe, Lorenzstraße 19. Livestream der Eröffnung (17. März, 18.30 Uhr) und Infos über Besuchsmöglichkeiten unter https://www.zkm.de.