Gefühlt hängt an diesem Sonntagmittag in Sachen Aufmerksamkeit die Kaiserstraße locker den Eiffelturm in Paris oder das Brandenburger Tor in Berlin ab: Alle paar Meter stehen Fotografen an der Karlsruher Einkaufsstraße.
Sie haben Stative dabei, teils große Objektive. Tausende Fotos werden gemacht. Die Menschen an der Linse sind angereist zu einem besonderen Sightseeing: Letztmals fahren oberirdisch Straßenbahnen zwischen Europa- und Kronenplatz. Historisch sind die Züge zudem. Das gilt es festzuhalten, per Video und per Foto. Klick, klick, klick.
Spiegelwagen stammt aus dem Jahr 1930
„Das ist ein besonderer Moment. Wirklich historisch“, sind sich Philip Pifko, Stefan Rastätter und Konstantin Ehrmanntraut einig. Die drei Männer sind sogenannte Trainspotter. Sie fotografieren hobbymäßig Züge. Jetzt haben die Karlsruher ein Heimspiel. „Wir sind aber auch mal in Österreich oder der Schweiz unterwegs“, erzählen sie. Schon halten sie wieder mit der Kamera drauf. „Der Spiegelwagen kommt!“
Der Spiegelwagen ist Baujahr 1930. Damit ist er das älteste der sechs Modelle, die zum Abschied verkehren. Ein Breitraumzug stammt aus dem Jahr 1958. Im gleichen Jahr wurde der Museums-Gelenktriebwagen der Albtalbahn gebaut.
Der Verein Treffpunkt Schienennahverkehr Karlsruhe (TSNV) schickt zudem die sogenannte Holzklasse aus dem Jahr 1978 sowie mit der Einsystem-Hochflurstadtbahn und der Zweisystem-Hochflurstadtbahn zwei neuere Modelle auf die Strecke.
Einsteigen ist nicht erlaubt
Eine Bahn nach der anderen zuckelt durch die Kaiserstraße. Die Wagen halten an, wenn Fotografen winken. Einsteigen darf keiner, Corona erlaubt es nicht. „Schade“, findet das Max. Der Pfälzer hat trotzdem Spaß. Und freut sich mächtig über den Korso aller Bahnen, mit dem am Nachmittag der oberirdische Bahnverkehr in dem Streckenabschnitt endgültig Geschichte ist.
Schon vorher erobern die Passanten die Mitte der Kaiserstraße. Sie flanieren nicht wie über Jahrzehnte eingeübt links und rechts der Gleise. Sie nutzen die Straße in voller Breite. „Die Stimmung ist wirklich gut“, bilanziert Eligio Sanarica, der im Auftrag des Verkehrsverbunds am Marktplatz Fragen beantwortet und neue Linienpläne verteilt.
Die Menschen kommen, um alte Bahnen zu sehen, aber auch, um den Untergrund zu erkunden. „Ich wollte das unbedingt gleich am ersten Wochenende erleben“, sagt Wilfried Berg. Er stimmte beim ersten Bürgerentscheid in den 1990er Jahren für den Tunnel unter der Kriegsstraße. Bei der am Ende entscheidenden zweiten Abstimmung wohnte er dann nicht mehr in der Stadt. Jetzt reist er aus Wörth an, um den Tunnel zu erleben.
„Ich habe nicht verstanden, dass man damit so lange gewartet hat.“ Berg ist schon Bahn im Untergrund gefahren, einmal quer durch den Tunnel. „Eine wunderbare Sache“, urteilt er. Mit leuchtenden Augen sagt er: „Die kürzeste U-Bahn der Welt, das ist ja auch ein Alleinstellungsmerkmal für eine Stadt.“