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Auszubildende brauchen viel Geduld

Karlsruher Berufsschulen und Betriebe hangeln sich digital durch

Daniel Gerstner weiß, wie ein Drehstrommotor im Detail funktioniert. Der angehende Elektroniker will es eigentlich nächste Woche in einer Klassenarbeit beweisen. Einen Motor zum Anfassen und Zerlegen hat der Auszubildende zum Glück vor dem zweiten Lockdown noch vor sich gehabt.

1301.2021 Berufschulen in der Corona-Krise: Schulleiter Stefan Pauli von und vor der Walter-Eucken-Schule
Ausgebremst: An den beruflichen Schulen wartet alles auf die Regelungen für den weiteren Unterricht, weiß Stefan Pauli, Schulleiter der Walter-Eucken-Schule. Foto: Jörg Donecker

Bis zu 3.000 Adressaten informiert Stefan Pauli derzeit im Wochenrhythmus darüber, wie es an der berufsbildenden Walter-Eucken-Schule weitergeht. Bisher klappt die Kommunikation, auch über die schuleigene Homepage und einen Messengerdienst. Trotz Lockdown-Wirrwarr berichtet Pauli von einer Punktlandung: „Keiner hat am Montag irrtümlich vor der Tür gestanden und keiner hat gefehlt.“

Rund 1.500 Schüler kommen in normalen Zeiten in die Bildungseinrichtung in der Südweststadt. Das Haus liegt der Größe nach im Mittelfeld aller beruflichen Schulen in der Stadt.

Gemeinsam unterrichten sie knapp 16.000 Schülerinnen und Schüler, das ist die größte Schülergruppe an Karlsruhes Schulen. Daniel Gerstner ist einer von ihnen. Der angehende Elektroniker für Geräte und Systeme ist Auszubildender bei der Siemens AG.

Azubis sitzen seit Wochen isoliert zuhause

Die betrieblichen Phasen absolviert der 29-Jährige aus Gernsbach in Rastatt, dazu kommen Phasen im Siemens-Ausbildungszentrum in Karlsruhe sowie Berufsschultage in der Heinrich-Hertz-Schule, 400 Meter von Paulis Schulgebäude entfernt. Normalerweise. Zuletzt hat Gerstner seine Mitschüler und Ausbilder kurz vor Weihnachten gesehen. Seither lernt er allein und digital zuhause. „Ich wünsche mir die alte Zeit nicht zurück“, sagt er. „Es wurde einiges besser. Aber die sozialen Kontakte fehlen mir.“

Christian Bentz ist Ausbildungsleiter bei Siemens und steckt hinter Neuerungen beim Fernunterricht, mit denen das Unternehmen auf die Pandemie reagiert. Technische Kompetenz, die Ausstattung aller Azubis mit Laptops und Zugang ins Firmennetzwerk waren hilfreich. Inzwischen geht Bentz mit seinem Ausbilderteam den nächsten Schritt.

„Wir drehen Videos von den Lerneinheiten, die wir jedes Mal auf gleiche Weise neu vorstellen und erklären“, sagt er. „Diese Clips kann man dann dreimal anklicken, wenn man möchte, ohne dass sich andere in der Zeit langweilen.“

Ausbilder drehen reihenweise Videos

In den virtuellen Treffen der Azubis mit den erfahrenen Unterweisern geht es dann nur noch um Fragen und Probleme. „Wir nutzen die gemeinsame Zeit gezielt dafür“, erklärt Bentz.

Der große Vorteil: Diese Methode wird den ganz unterschiedlichen Kenntnissen der Lernenden gerecht. Die Videos, vermutlich bis zu 70 Stück, muss das Team, ein Dutzend Ausbilder, jetzt allerdings Schritt für Schritt erstellen. „Das soll dieses Jahr geschehen“, erklärt Bentz sein ehrgeiziges Ziel.

Seit zwei Jahren kümmern sich die Siemens-Ausbilder bereits um neue Lernmethoden. Just zum geplanten Start der Schulung für die Karlsruher Ausbilder kam der erste Lockdown. Prompt stieg die Firma aufs digitale Format um, seither pflegt das Team schrittweise Elemente betont selbstgesteuerten, „agilen“ Lernens ein. „Das muss man wollen und verstehen“, sagt Bentz, „und das kommt jetzt langsam auch in die Schulen.“

Prüflingen fehlt ein Jahr Normalität

Zu den größten Karlsruher Berufsschulen gehört die Heinrich-Hübsch-Schule in der östlichen City. „Es ist sehr zermürbend für Lehrer und Schüler, sich wochenweise vorzuhangeln, bei allem Verständnis für die Lage“, sagt deren Schulleiter Hannes Ludwig.

Drei weitere Wochen Schließung wären besser als dieses Hin und Her.
Hannes Ludwig, Berufsschulleiter

„So schlecht drei weitere Wochen Schließung wären, es ist besser als dieses Hin und Her“, findet er. Besonders hart trifft die Misere all die angehenden Maurer und Fliesenleger, Zimmerer und Metallbauer, die im Mai zur Abschlussprüfung gehen sollen. „Denen fehlt schon ein Jahr ,richtiger’ Unterricht“, sagt Ludwig.

In der beruflichen Schule, die Fachwissen rund um Bau, Holz und Farbe vermittelt, öffnet sich die Schere deutlich zwischen den Disziplinen und den Schülern mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen. „In einer Bauzeichnerklasse kann ich gut digital unterrichten, die haben alle einen Computer im Büro“, sagt der Schulleiter.

Ganz anders sieht es in der fördernden Sonderberufsschule im Bereich Metall aus, in der Ludwig derzeit notgedrungen ebenfalls virtuell unterrichtet. „Mittwochmorgen war die Hälfte der zehn Schüler am Bildschirm, einer hatte eine Mail geschickt wegen Computerproblemen daheim, drei waren wo auch immer“, sagt der Schulleiter. „Unverständlich“ findet er, dass im Berufsschulbereich kein Privileg für besonders benachteiligte Schüler geschaffen ist.

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