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Corona und Prostitution

Karlsruher Bordellbetreiberinnen sind verzweifelt: "Wir stehen mit dem Arsch zur Wand“

Seit Corona ist die Prostitution im Land faktisch verboten. Immer lauter fordern Bordellbetreiber eine Perspektive für die Wiedereröffnung ihrer Etablissements. Doch weder ihre vorgelegten Hygienekonzepte noch das Argument, dass die Szene sonst in der Illegalität blüht, konnte die Politik überzeugen.

Im Laufhaus läuft nichts: Seit Mitte März sind sämtliche Orte, an denen der Prostitution legal nachgegangen werden darf, geschlossen. Die Branche wünscht sich dringend eine Perspektive, aber die Politik bleibt hart.
Im Laufhaus läuft nichts: Seit Mitte März sind sämtliche Orte, an denen der Prostitution legal nachgegangen werden darf, geschlossen. Die Branche wünscht sich dringend eine Perspektive, aber die Politik bleibt hart. Foto: Imago

Seit Corona ist die Prostitution im Land faktisch verboten. Immer lauter fordern Bordellbetreiber eine Perspektive für die Wiedereröffnung ihrer Etablissements. Doch weder ihre vorgelegten Hygienekonzepte noch das Argument, dass die Szene sonst in der Illegalität blüht, konnte die Politik überzeugen.

Leere Schaufenster, leere Gänge, leere Treppenhäuser. Im Laufhaus mit der Nummer sechs in der Karlsruher Brunnenstraße bekommen die Überwachungskameras dieser Tage nichts zu sehen. Auf dem Monitor im Büro flimmern die Bilder verlassener Räume gespenstisch vor sich hin. Draußen hängt eine bleierne Stille über der kleinen, nicht mal halben Vergnügungsmeile am östlichen Ende der Kaiserstraße.

Seit elf Wochen herrscht hier kein Verkehr mehr. Nur von Zeit zu Zeit radelt ein Student auf dem Weg zur Uni vorbei. Corona – oder besser: die Maßnahmen zum Schutz vor dem Virus – haben die Kabinen hinter den mannshohen Schaufenstern leer gefegt.

Die Frauen, die hier ihre Dienste anbieten, sind zum größten Teil in ihre Heimat zurückgekehrt. Ihre langbeinigen Stühle stehen einsam herum, die roten Spotlights sind gelöscht und in den blitzsauberen, weißen Fliesen spiegelt sich nichts als das blanke Nichts.

Bordellbesitzerinnen gehen an die Öffentlichkeit

Karin und Gisela können und wollen diesen Anblick nicht länger ertragen. Eigentlich gehen die beiden Bordellbesitzerinnen nicht gern in die Öffentlichkeit. Es muss ja nicht jeder wissen, womit die beiden Karlsruher Familienfrauen ihre Brötchen verdienen. Aber jetzt, wo das Geld für die Brötchen knapp wird, geben die beiden ihre Zurückhaltung auf. Die Zeitung soll berichten. Anonym – wenn’s geht. Nicht mit den richtigen Namen.

Mädchen fragen nach

Aber erst klingelt mal wieder Giselas Handy. „Nein. Irina. Wir wissen nicht, wann es weiter geht. Ich melde mich, sobald ich etwas weiß“, sagt sie und legt auf. Fast ständig riefen die Mädchen bei ihr an, um zu erfahren, wann sie wieder zum Arbeiten nach Deutschland kommen können. „Die brauchen doch das Geld“, sagt Gisela.

Verzweiflung im Milieu

Im Rotlichtmilieu ist die Verzweiflung groß. Vor allem im legalen Bereich. Bei Bordellbetreibern, Sexarbeiterinnen und allen, die von einer Branche abhängig sind, deren Lobbyisten keine seriösen Businessanzüge tragen und deren Anliegen ohnehin umstritten sind.

„Aber wir stehen mit dem Arsch zur Wand“, sagt Karin mit einem leichten Zittern in der Stimme und Gisela, die gleich mehrere Häuser in der Brunnenstraße besitzt, ergänzt energisch: „Wir brauchen jetzt wirklich ganz dringend eine Perspektive.“

In den Laufhäusern in Karlsruhe läuft nichts

In den Laufhäusern der Republik läuft seit Mitte März so gut wie nichts mehr. Aber nicht nur dort. In den meisten Bundesländern und mit nur wenigen, komplizierten Ausnahmen mussten einschlägige Clubs, Bars, Sexkinos, Saunaklubs oder gemeldete Wohnungen ebenfalls schließen. Aufgrund verschiedener örtlicher Verfügungen war man in Karlsruhe besonders streng. Corona hat Prostitution hier faktisch illegal gemacht.

Vorstufe zum Sexkaufverbot

Nicht alle sind deshalb unglücklich. Gegner der käuflichen Liebe begrüßen diesen Umstand sogar. In einem Brief an alle Landesregierungen forderten 16 Bundestagsabgeordnete verschiedener Parteien für die Zeit nach Corona ein Sexverkaufverbot nach skandinavischem Vorbild.

Für Karin, die das Karlsruher Laufhaus schon in zweiter Generation betreibt, ist dieser Vorschlag völlig weltfremd. „Unser Gewerbe ist das älteste der Welt. Wenn man das verbietet, geht es doch nur illegal weiter“, sagt sie. Kollegin Gisela sieht das genauso. „Weltfremd“, sagt sie und nickt mit dem Kopf.

Weltfremde Argumente?

Weltfremd ist ein Wort, das dieser Tage häufig fällt. Es passt auf viele Argumente. Die der Befürworter und die der Gegner von Bordellöffnungen. Hygienekonzepte, wie sie zum Beispiel der Bundesverband sexueller Dienstleistungen vorschlägt, sehen vor, dass Oral-, Anal- und Vaginalverkehr verboten bleiben, während Massagen mit der Hand erlaubt werden können. Tattoostudios und Kosmetikerinnen dürften schließlich auch Hand an die Kunden anlegen.

„Weltfremd“, urteilen die Gegner. Welcher Freier lasse sich schon mit Handentspannung abspeisen, wenn er doch fürs volle Programm kommen will. Und wer soll kontrollieren, was hinter geschlossenen Türen passiert?

Namen der Freier erfassen?

Den Vorschlag, Namen und Kontaktdaten von Bordellbesuchern zu erfassen, halten Gesundheits- und Ordnungsämter aber auch die Bordellbetreiber selbst für unrealistisch. Für das Gesundheitsministerium Rheinland-Pfalz war das einer der Hauptgründe, die bereits für heute beschlossene Öffnung der Bordelle wieder zurückzunehmen.

Kurzarbeit und null Einnahmen in der Corona-Krise

Mit Erleichterung haben Karin und Gisela diese Nachricht aus Mainz zur Kenntnis genommen. Doch ihre Sorgen bleiben. Als Besitzerin und Betreiberin von drei Laufhäusern in Karlsruhe musste Gisela in den vergangenen elf Wochen zehn zum Teil langjährige Mitarbeiter gehen lassen. „Zwei sind noch in Kurzarbeit“, sagt sie.

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Sämtliche Sexarbeiterinnen, denen sie die Zimmer vermietete, sind fort. Auf der Einnahmenseite steht eine fette Null. Und das wird wohl noch eine Weile so bleiben. „Nach jetzigem Stand bleiben Prostitutionsstätten bis mindestens 30. Juni geschlossen“, heißt es vom zuständigen Sozialministerium in Stuttgart.

Stufenweise Öffnung?

Eine Lösung für das Dilemma haben Karin und Gisela nicht parat. Eine stufenweise Öffnung könnten sie sich vorstellen. Laufhäuser zuerst, der Rest später. Für die Einhaltung der Hygiene in ihren Häusern legen die beiden Frauen ohnehin die Hand ins Feuer. HIV, Hepatitis – damit hätten sie schon seit Jahren Erfahrung. „Niemand kennt sich in Sachen Infektionsschutz besser aus“, gibt Gisela zu bedenken.

Dieses Argument wiederum hält Luise Winter von der Beratungsstelle für Prostituierte beim Diakonischen Werk in Karlsruhe für weltfremd. Sie plädiert dafür, Bordelle noch geschlossen zu halten. „Die meisten Frauen sind ohne Krankenversicherung. Wer kümmert sich um sie, wenn sie sich mit Corona infizieren und wo kommen sie unter, wenn sie in Quarantäne kommen?“ Die finanzielle Notlage der Frauen sei ihr durchaus bewusst. „Aber die Menschenrechte haben das stärkere Gewicht.“

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