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Ende der fossilen Wirtschaft naht

Karlsruher Energie-Experte: „Wasserstoff muss ein Wundermittel werden“

Der Wissenschaftler Karsten Pinkwart aus Karlsruhe nennt den Wasserstoff ein Wundermittel, auf welches kein entwickeltes Land in Zukunft verzichten kann. Allerdings muss sich in Deutschland für seinen breiten Einsatz noch viel tun.

Hoffnungsvoll über die grüne Wasserstoffzukunft: Als Mitglied des Nationalen Wasserstoffrats sieht der Karlsruher Forscher Karsten Pinkwart Deutschland im globalen Wettbewerb um die klimafreundliche Energiequelle bestens aufgestellt.
Als Mitglied des Nationalen Wasserstoffrats sieht der Karlsruher Forscher Karsten Pinkwart Deutschland im globalen Wettbewerb um die klimafreundliche Energiequelle bestens aufgestellt. Foto: T.Schwerdt

Als Professor für elektrochemische Energiespeicher an der Hochschule Karlsruhe und Vize- Produktbereichsleiter Angewandte Elektrochemie am Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie in Pfinztal bringt Karsten Pinkwart neben viel Fachwissen auch die badische Perspektive in den Nationalen Wasserstoffrat der Bundesregierung mit ein.

Im Gespräch mit unserem Redaktionsmitglied Alexei Makartsev erklärt der Forscher, wie der Aufbau der grünen Wasserstoffwirtschaft in Deutschland gelingen kann - und was sie bewirken soll.

Mit dem angesagten Thema Wasserstoff sind enorme Hoffnungen verbunden. Wird Wasserstoff wirklich ein Wundermittel der grünen Energiewende sein, die das Klima rettet?
Karsten Pinkwart

Ja, es muss ein Wundermittel werden. Wir werden um das Jahr 2065 herum nicht mehr ausreichend fossile Energieträger haben und können gar nicht anders als auf den Wasserstoff zu setzen. Unabhängig von der Klima-Thematik können wir in Zukunft sonst zum Beispiel keine Kunststoffe oder Kraftstoffe mehr herstellen, oder ihre Kosten würden so hoch sein, dass sie sich keiner leisten kann. Wir müssen uns also darüber schon heute Gedanken machen, weil der Verbrauch dieser Materialien mit den ansteigenden Bevölkerungszahlen weltweit wachsen wird.

Wasserstoff hilft dem Klimaschutz, wenn er aus erneuerbaren Energien gewonnen wird. Allerdings setzten sich etwa Union und FDP nicht nur für den grünen, sondern auch für den blauen Wasserstoff aus Erdgas ein. Führt dieser Weg nicht in die Sackgasse?
Pinkwart

Nein. Wir brauchen neue Technologien, aber sie werden nicht von heute auf morgen kommen. Darum müssen wir in einer Übergangszeit die Möglichkeiten des relativ schnell verfügbaren blauen Wasserstoffs nutzen, bis es genügend erneuerbare Energien gibt. Damit können wir dann die nächsten Herausforderungen wie Bereitstellung, Speicherung und Verteilung angehen, für die es noch nicht genügend erprobte Konzepte gibt.

Das heißt, der Weg zum grünen Wasserstoff geht zunächst über Gasimporte etwa aus Russland?
Pinkwart

Ja, wir sind darauf angewiesen. Deutschland bekommt heute das benötigte Erdöl aus circa 25 verschiedenen Ländern. Diese große Bandbreite an Lieferanten sichert unsere Unabhängigkeit und Stabilität. Die benötigen wir auch in der Wasserstoffversorgung, und deswegen müssen wir unterschiedliche Partnerschaften schließen. Man wird natürlich schauen, ob der blaue Wasserstoff im Ausland unter akzeptablen politischen Rahmenbedingungen hergestellt wurde und den grünen Wasserstoff zertifizieren müssen.

Es gibt unterschiedliche Vorstellungen, von wem wir den Wasserstoff in Zukunft importieren. Ukraine, Russland und die Nahost-Region sind im Gespräch. Wer ist Ihr Favorit?
Pinkwart

Mit Spanien, Portugal oder auch Griechenland, um nur einige zu nennen, haben wir im Süden Länder, die wir gerne bereisen, weil dort viel die Sonne scheint und teilweise auch kräftige Winde wehen. Unter anderem deswegen habe ich mich mit im Nationalen Wasserstoffrat dafür eingesetzt, dass wir hier in der EU stärker zusammenrücken und enge Partnerschaften schmieden. Das ist auch unter dem Blickwinkel einer strategischen Energiesicherheit wichtig. Denn wir haben hier in Europa stabile demokratische Verhältnisse, auf die wir uns verlassen können.

Vermutlich brauchen wir für den Umstieg auf Wasserstoff eine europaweite Lösung, doch in den EU gibt es Länder wie Polen oder Frankreich, die weiter auf Atom oder den Klimakiller Kohle setzen. Halten sie eine gesamteuropäische Strategie für möglich?
Pinkwart

Wasserstoff mag für diese Länder heute wenig interessant sein, aber das wird sich noch ändern. Der Klimawandel ist Realität und kann nicht abgestritten werden. Ich hoffe, wir müssen keine Katastrophen erleben, damit das auch der Letzte verstanden hat.

Die Entwicklung der Infrastruktur in Deutschland kann mit den Versprechen der Politiker bislang nicht mithalten. Wie machen wir die Versorgungsnetze fit für die Wasserstoffwirtschaft – und was wird uns das kosten?
Pinkwart

Viel Geld, das ist klar. Denn wir haben bislang nur an wenigen Stellen eine Wasserstoff-Infrastruktur. Zum Beispiel lokal auf dem Gelände der MiRo in Karlsruhe oder der BASF in Ludwigshafen. Die Ressourcen für die Erzeugung von großen Mengen sind aber nicht hier, sondern in den windreichen Küstengebieten im Norden Deutschlands. Dort wird als erstes eine Infrastruktur aufgebaut. Zu entscheiden ist dann, ob Wasserstoff verflüssigt transportiert wird, vor Ort in einen anderen Energieträger umgewandelt oder in die Pipeline gepumpt wird. Die Erdgasnetze können schon heute bis zu einer gewissen Grenze Wasserstoff aufnehmen, aber die daran angeschlossenen Komponenten wie Ventile oder Verdichter sind für dieses Gemisch nicht zugelassen. Und bei uns in Baden-Württemberg ist das Netz komplett ausgelastet mit dem benötigten Erdgas. Das heißt, wir benötigen hier ganz neue Infrastrukturen. Dafür haben wir aber in Karlsruhe mit dem Rhein um die Ecke eine ideale Anbindungsmöglichkeit. Es wird den Transport von Wasserstoff oder anderer Wasserstoffspeicher über den Rhein geben, und ich hoffe sehr, dass wir einen Wasserstoffhub vor der Haustür bekommen.

Die Politik plant, Wasserstoff in der Industrie einzusetzen. Aber auch im Verkehr sowie zur Wärmeerzeugung. Sind diese Erwartungen realistisch?
Pinkwart

Ja, wir müssen mit den großen CO2-Schleudern anfangen. Die Stahlerzeugung wird der erste Industriezweig sein, der komplett auf Wasserstoff umgerüstet wird. Diese Projekte sind schon angelaufen. Dann werden die Chemiebranche, die Glas- und Keramikindustrie drankommen, die ebenfalls starke CO2-Emissionen haben. Der zweite Bereich ist die Erzeugung von Wärme: Statt Gas zu verbrennen, können wir den Wasserstoff nutzen und dabei Wärme und gleichzeitig elektrische Energie erzeugen. Im Bereich der Mobilität hat vor allem die Luftfahrt lange Entwicklungszyklen von zehn bis 15 Jahren. Sie macht sich also jetzt Gedanken über einen Umstieg auf Wasserstoff auf Kurz- und Mittelstrecke und mit synthetischen Kraftstoffen auf der Langstrecke, wenn wie bis 2040 klimaneutral sein möchten. Was passiert, wenn der Luftverkehr zu den früheren Zahlen zurückkehrt und Wasserstoff als Kraftstoff genutzt wird und dabei Wasserdampf in großen Mengen in der Höhe ausstößt? Das weiß heute noch niemand, und dementsprechend muss dies wie andere Aspekte untersucht werden.

Die Union möchte Deutschland zum „Wasserstoffland Nr. 1“ machen, wie stehen wir heute im internationalen Vergleich da?
Pinkwart

Es gibt über 100 nationale Wasserstoffstrategien. Die Welt macht sich also auf den Weg. Im Moment hängen wir alle noch vom Öl ab, doch mit dem Wasserstoff werden neue Spieler um die Ecke kommen. Als Industrienation müssen wir sehr flexibel sein. Zum Glück sind heute in Deutschland genügend Technologien und Innovationskraft vorhanden. Wir haben uns seit Jahren mit Verstromung und Katalysatoren intensiv beschäftigt. Jetzt geht es darum, die Produktionstechnologien für die Elektrolyse-Anlagen groß auszurollen. Da bin ich voller Hoffnung, denn als Land der Ingenieure, Maschinenbauer, aber auch Naturwissenschaftler mit weltweit führenden Entwicklern sind wir zurzeit sehr gut aufgestellt. Das trifft auch auf Karlsruhe zu, das sich als eine gute Schmiede zur Ausbildung und Vorbereitung der Wissenschaftler vielfach bewährt hat.

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