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Auf der Onkologiestation

Karlsruher Klinikum soll Patientin eingeschüchtert und Akteneinsicht verweigert haben

Karlsruher Ärzte sollen einer Patientin die Einsicht in ihre Krankenakte verweigert und eine Zwangsverlegung angedroht haben, nachdem medizinische Proben wochenlang kein Ergebnis gebracht haben. Ihr Partner erhebt weitere Vorwürfe.

Seine Partnerin hat Markus Koch seit mehreren Wochen nicht getroffen. Durch das Klinikfenster können sie sich immerhin sehen, über Videotelefonie miteinander sprechen.
Seine Partnerin hat Markus Koch seit mehreren Wochen nicht getroffen. Durch das Klinikfenster können sie sich immerhin sehen, über Videotelefonie miteinander sprechen. Foto: Weller

Karlsruher Ärzte sollen einer Patientin die Einsicht in ihre Krankenakte verweigert und eine Zwangsverlegung angedroht haben, nachdem medizinische Proben wochenlang kein Ergebnis gebracht haben.

Seine Partnerin sieht Markus Koch* seit Wochen nur noch durchs Fenster. Verhüllt mit einem Mundschutz winkt die 48-Jährige ihm aus dem zweiten Stock des Krankenhausgebäudes zu. Sprechen können sie wegen des Lärms einer benachbarten Baustelle nur übers Telefon.

Als Katharina D.* Anfang März in die Notaufnahme des Städtischen Klinikums in Karlsruhe kam, sagten die Ärzte ihr, sie hätte die nächsten Tage ohne medizinische Hilfe nicht überlebt. Die Diagnose: Aplastische Anämie, eine sehr seltene Form von Blutarmut, die nur mithilfe einer Knochenmarktransplantation behandelt werden kann.

Verschwanden wichtige Proben auf dem Weg ins Labor?

Katharina D.s Schwester kam als Spenderin in Frage, bei ihr und der Patientin selbst wurden an verschiedenen Tagen mehrere Blut- und DNA-Tests genommen. Keine dieser Proben hat jemals ihren Weg in ein Labor gefunden, behauptet Lebensgefährte Markus Koch. Und erhebt darüber hinaus weitere schwere Vorwürfe gegen das Personal des Städtischen Klinikums.

Angefangen hätten die Probleme am 16. März. An diesem Tag hat das Klinikum wegen der Corona-Pandemie ein Besuchsverbot verhängt. Der Rastatter Markus Koch sei zu diesem Zeitpunkt mit seiner Partnerin im Gespräch mit einer Oberärztin auf der Onkologie-Station D41 gewesen. „An diesem Morgen hat die Oberärztin ihr gesagt, dass jeder Tag momentan ihr letzter sein könnte“, erinnert sich Koch.

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Klinikmitarbeiterin soll Angehörigen körperlich angegangen haben

Noch während des Gesprächs sei er von zwei Mitarbeiterinnen aufgefordert worden, das Krankenhaus sofort zu verlassen. Er wollte aber noch das Gespräch beenden. „Dann hat die Stationsleiterin mich gegen die Brust gestoßen, zweimal“, sagt Koch.

Nach „diesem Theater“ seien drei medizinische Proben seiner Partnerin verschwunden. Es handelt sich um eine Blutprobe, die in ein Labor in Aachen gehen sollte, sowie zwei DNA-Abstriche, die mit einem zeitlichen Abstand von mehreren Tagen bei Katharina D. und ihrer Schwester genommen wurden und zur Untersuchung in ein Ulmer Labor sollten.

„Meine Freundin hat immer wieder gefragt, was mit ihren Proben ist und wann die Ergebnisse da sind“, erzählt Koch. Die beiden warteten wochenlang auf eine Rückmeldung – immer mit der Sorge im Hinterkopf, Katharina D. könne ohne Therapie jederzeit sterben. Gleichzeitig wurden die Nachrichten über die globale Corona-Ausbreitung immer beängstigender.

Nach drei oder vier Wochen habe ein Assistenzarzt gesagt, dass Katharina D.s Blutprobe nie in Aachen angekommen sei. Auf weitere Nachfrage soll ein Arzt gesagt haben, dass das Ulmer Labor außerdem die DNA-Proben für unbrauchbar erklärt hatte, weil sie wegen der Corona-Pandemie verunreinigt sein könnten.

Patientin im Karlsruher Klinikum bekam keine Einsicht in ihre Krankenakte

„Ich halte das für eine Ausrede“, sagt Markus Koch. Seine Partnerin habe um Einsicht in ihre Krankenakte gebeten, worauf Patienten in Deutschland ein Recht haben. Dies habe ihr ein Assistenzarzt verweigert mit der Aussage, sie solle einen Anwalt beauftragen und bekomme selbst keine Einsicht.

Seit diesem Gespräch hätten Pfleger und Ärzte auf der Onkologiestation seine Partnerin „nur noch abgefertigt“, erzählt Koch. „Wenn sie geklingelt hat wegen Fieber, hat man nicht danach geschaut und keine Temperatur gemessen“, nennt er als Beispiel.

Seinen vorläufigen Höhepunkt fand der Konflikt am 7. April: An diesem Tag soll Katharina D. von einer Oberärztin und dem Assistenzarzt vor die Wahl gestellt worden sein, sich wegen des zerstörten Vertrauensverhältnisses auf eine Isolierstation verlegen zu lassen – oder sich auf eigene Faust ein anderes Krankenhaus zu suchen.

Schwerkranke Frau sollte gegen ihren Willen verlegt werden

Markus Koch schrieb noch am selben Abend eine E-Mail an das Beschwerdemanagement des Städtischen Klinikums. In der Nachricht, die den BNN vorliegt, schildert er die Vorwürfe und bittet um eine Stellungnahme.

Die bekam er allerdings nicht. Stattdessen seien als Reaktion auf seine Beschwerde drei Ärzte zu seiner Partnerin ins Zimmer gekommen und hätten ihr gedroht, sie gegen ihren Willen nach Mannheim zu verlegen. Eine Akteneinsicht soll erneut verweigert worden sein. Außerdem habe die Oberärztin versucht, ihr das Handy wegzunehmen, über das sie gerade mit Markus Koch telefoniert hatte.

„Es war ganz schrecklich“, erzählt Katharina D. per Videotelefonie. „Die wollten mich plötzlich am nächsten Tag vor die Tür setzen.“ Der Vorfall nimmt sie Wochen später noch sichtlich mit. Sie sei im Gespräch von den Ärzten bedrängt worden, man habe ihr vorgeworfen, Unterstellungen zu machen, obwohl sie nur nach dem Verbleib der Proben gefragt hatte.

Markus Koch schrieb eine weitere E-Mail an das Beschwerdemanagement – und eine an die BNN. „Daraufhin gab es ein Einlenken“, erzählt er. Einen Tag später habe man sich in einem Gespräch darauf geeinigt, Katharina D. in Isolation auf die Station D20 zu verlegen.

Erst nach BNN-Anfrage erhält das Paar eine Stellungnahme der Klinik

Auf die Vorwürfe sei allerdings nicht näher eingegangen worden: „Es wurde von vornherein gesagt, man solle doch diese Querelen beiseite lassen. Die Proben waren nicht Gegenstand des Gesprächs“, schildert Koch. Er habe wochenlang keine Rückmeldung von der Klinik bekommen und auch keine Erklärung, was mit den Proben passiert sein könnte.

Erst auf eine Anfrage der BNN bei der Klinikleitung hin hat der medizinische Geschäftsführer Uwe Spetzger dem Paar eine dreiseitige Stellungnahme zukommen lassen.

Darin klärt er zunächst über den Verbleib der Proben auf: Die Blutprobe sei nicht, wie anfangs kommuniziert, verschwunden, sondern wegen einer längeren Postlaufzeit erst nach fünf Tagen in Aachen angekommen, „so dass eine Bearbeitung nicht mehr möglich war“.

Was wirklich mit den DNA-Proben passiert ist

Bei den DNA-Proben, die nach Ulm gehen sollten, handele es sich laut Spetzger nicht um verunreinigte Proben. „Infolge der Corona-Pandemie hatten sich im dortigen Labor vielmehr die Anforderungen an die eingesandten Untersuchungspräparate geändert.“

Wangenabstriche, die bis dahin üblich gewesen seien, wären nicht länger angenommen worden, sondern ausschließlich Blutproben. Die vollständige Diagnose und der Therapiebeginn bei Katharina D. hätten aus diesen Gründen erst nach einiger Zeit beginnen können.

Wir bedauern dies sehr und haben unsere Beschäftigten erneut entsprechend unterwiesen.
Uwe Spetzger, Medizinischer Geschäftsführer des Städtischen Klinikums Karlsruhe

Klinik-Geschäftsführer Uwe Spetzger gibt in seiner Stellungnahme zu, dass die Verweigerung der Akteneinsicht „auf eine fehlerhafte Aussage des diensthabenden Arztes“ zurückzuführen war. „Wir bedauern dies sehr und haben unsere Beschäftigten erneut entsprechend unterwiesen.“ Dem Wunsch nach Einsicht in die Patientenakte wolle man nun umgehend nachkommen.

„Leichtes Berühren an der Schulter“ statt Stoß gegen die Brust?

Den Vorwurf, die Leiterin der Station D41 habe Markus Koch im Streit um das Besuchsverbot gestoßen, bestätigt Spetzger allerdings nicht. Er schreibt von einem „leichten Berühren an der Schulter“, bezeichnet die Situation aber ebenfalls als „angespannt“.

Man bedauere den Vorfall, so Spetzger. „Bitte bedenken Sie aber, dass wir fast ausschließlich schwerkranke und immungeschwächte Patienten behandeln, deren Schutz eine besonders strenge Einhaltung dieser Anforderungen erfordert.“

Ein Teil der Stellungnahme von Klinik-Geschäftsführer Uwe Spetzger.
Ein Teil der Stellungnahme von Klinik-Geschäftsführer Uwe Spetzger. Foto: pr

Auf den Vorwurf, Katharina D. sei eingeschüchtert und dazu gedrängt worden, sich ein anderes Krankenhaus zu suchen oder verlegen zu lassen, geht Spetzger in seinem Brief an die Patientin und ihren Partner kaum ein. Er betont aber, dass in seltenen Fällen die Beendigung einer Behandlung „zwecks Fortsetzung in einer anderen Einrichtung“ nötig sein könne, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Ärzten „tangiert“ ist.

Auf einer anderen Station geht es der Frau mittlerweile besser

Weil sich das Paar gegen die Verlegung nach Mannheim und für die Weiterbehandlung auf der Spezialstation D20 entschieden habe, freue sich Uwe Spetzger, dass „sich die Ängste und Unsicherheiten erst einmal gelegt haben.“ Katharina D. beschreibt ihren momentanen Zustand selbst als „okay“. Auf der neuen Station sei „alles super. Die sind ganz anders.“

Markus Koch ist dennoch nicht zufrieden mit der Erklärung des medizinischen Geschäftsführers. „In meinen Augen sind das verdrehte oder beschönigende Darstellungen“, kritisiert er. Seit seine Partnerin ins Krankenhaus eingeliefert wurde, befindet Koch sich in selbst auferlegter Quarantäne, von den Besuchen unter dem Fenster einmal abgesehen. Der Selbstständige kann momentan nicht arbeiten, ist auf Hartz IV angewiesen.

Auf der Transplantationsstation D20 gehe das Personal glücklicherweise normal mit Katharina D. um, „die sind nett und gucken nach ihr“. Die Therapie habe begonnen, ihre Blutwerte müssten sich vor einer möglichen Knochenmarkspende aber noch verbessern.

„Es besteht nach wie vor Lebensgefahr für sie“,  erklärt Koch. „Aber die Heilungschance liegt bei 70 Prozent.“

*Die Namen wurden geändert.

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