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KI soll entlasten

Karlsruher Kriminalhauptkommissar sichtet seit 20 Jahren kinderpornografisches Material

Seit 1998 sichtet der Karlsruher Kriminalhauptkommissar Klaus Wenz täglich eine riesige Menge an kinderpornografischem Material. Um die psychische Belastung der Ermittler zu minimieren wird der Einsatz von Künstlicher Intelligenz erprobt.

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ILLUSTRATION - Wiederholung vom 22.03.2019 - Zum Themendienst-Bericht vom 27. Juni 2019: Für Kindesmissbrauch gibt es oft keine eindeutigen Anzeichen - Eltern sollten bei Verhaltensänderung ihres Kindes aber hellhörig werden. Foto: Silvia Marks/dpa-tmn - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit dem genannten Text - Honorarfrei nur für Bezieher des dpa-Themendienstes +++ dpa-Themendienst +++ - Verwendung weltweit Foto: dpa

Auch nach 20 Jahren Berufserfahrung kommt es vor, dass Kriminalhauptkommissar Klaus Wenz vom Schreibtisch aufsteht, das Büro verlässt, die Türe hinter sich zuzieht und sagt: „Für heute reicht’s“. Dann hat er für den Tag genug gesehen, „schlimme, eklige Dinge“, wie er sagt und muss sich vorübergehend etwas anderem widmen.

In einem einfachen Büroraum mit vier Arbeitsplätzen sitzt er täglich zwei Bildschirmen gegenüber, die Aufnahmen von einer oftmals unvorstellbaren Brutalität zeigen. Ein Kleinkind wird gefesselt, gequält, missbraucht. „Das schockt mich jedes Mal aufs Neue“, sagt der Hauptkommissar.

Nichts für schwache Nerven

Seit 1998 ist Wenz im Dezernat für Sexualdelikte der Kriminalpolizei in Karlsruhe tätig. Sein Zuständigkeitsbereich: Kinderpornografie. In diesem Bereich arbeite niemand, der sich das nicht auch vorstellen könne, betont der Kommissar. „Es gibt genug, die das nicht machen möchten.“

Hinweise auf Verdächtige erreichen ihn und seine Kollegen auf verschiedenen Wegen: „Die Bevölkerung ist mittlerweile stark für dieses Thema sensibilisiert“, erzählt der 61-Jährige. Dementsprechend wenden sich immer häufiger Bürger an die Ermittler. Doch auch über die Landeskriminalämter, das Bundeskriminalamt sowie bereits laufende Ermittlungen wird das Team der Kinderpornografie-Sachbearbeiter auf mutmaßliche Straftäter aufmerksam.

Große Datenflut kinderpornografischen Materials

„Wenn sich der Verdacht erhärtet, regen wir bei der Staatsanwaltschaft einen Durchsuchungsbeschluss an“, beschreibt der 61-Jährige das weitere Vorgehen. Wird diesem stattgegeben, stellen die Ermittler in der Wohnung des Verdächtigen Datenträger sicher – von DVDs über das Smartphone bis hin zum Computer.

Aus Sicherheitsgründen werden Kopien der Daten angefertigt. „Wir arbeiten selten am Original“, erklärt der Kriminalhauptkommissar. Erweist sich der anfängliche Verdacht als Fehlalarm, gehen die beschlagnahmten Datenträger unverändert an den zuvor Beschuldigten zurück.

Zuständig sind der Kriminalhauptkommissar und drei weitere Kollegen für den Bereich der Staatsanwaltschaften Pforzheim, Karlsruhe und Tübingen. Entsprechend groß ist die Datenflut, durch die sich das vierköpfige Team täglich arbeitet: „Aktuell befinden sich Tausende Stunden Videoaufnahmen und mehrere Millionen Bilder kinderpornografischem Material auf den Auswerte-Rechnern der Kriminalpolizei in Karlsruhe“, berichtet Wenz.

Spezielle Auswertesysteme unterstützen die Ermittler

Um dieser Masse Herr werden zu können, greifen er und seine Kollegen auf spezielle Auswertesysteme zurück. Eines davon teilt die Aufnahmen in Sequenzen ein, die in verschiedenen Bereichen des Bildschirms abgespielt werden können. „Ein Video von einer Stunde können wir dadurch innerhalb weniger Sekunden sichten“, erklärt Wenz. Wird kinderpornografisches Material zwischen einen unverdächtigen Film – einen Western beispielsweise – geschnitten, entgeht ihnen das damit nicht.

Stoßen Wenz und seine Kollegen auf belastendes Material, ist der nächste Schritt eine minutiöse Protokollierung der dargestellten Übergriffe. „Nur so kann der Täter vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden“, erklärt der Kriminalhauptkommissar. Der Bericht geht im Anschluss an die Staatsanwaltschaft. Die Aufklärungsrate liege aktuell bei rund 90 Prozent. „Natürlich ist es unser Ziel, Täter zu überführen“, sagt der 61-Jährige.

Wir haben den Täter, das Opfer und den Tatablauf direkt vor unseren Augen.
Kriminalhauptkommissar Klaus Wenz

Zugleich macht er keinen Hehl aus der psychischen Belastung, die mit seinem Tätigkeitsbereich einhergeht. An den meisten Tage gelinge es ihm zwar, die gesichteten Aufnahmen gedanklich nicht mit in den Feierabend zu nehmen. „Doch das geht nicht immer“, sagt er offen. Sei es der schwere Missbrauch eines Säuglings oder die Vergewaltigung eines Kleinkinds – „wir haben den Täter, das Opfer und den Tatablauf direkt vor unseren Augen.“

Künstliche Intelligenz soll psychische Belastung der Ermittler minimieren

Mehrmals im Jahr suchen er und seine Kollegen eine Psychologin zur sogenannten Supervision auf. „Das sind wichtige Gespräche“, betont Wenz. Auch innerhalb des vierköpfigen Teams finde ein regelmäßiger Austausch über das statt, was täglich auf ihren Bildschirmen zu sehen ist.

Der Frage, wie die Belastung für Ermittler minimiert werden kann, widmet sich aktuell ein Pilotprojekt in Nordrhein-Westfalen. Zusammen mit dem Hard- und Softwareentwickler Microsoft, Cybercrime-Experten der Justiz und Wissenschaftlern prüft das Bundesland den Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei der Auswertung von strafrechtlich relevantem Material.

Dass ihm und seinen Kollegen die Auswertung von kinderpornografischem Material dadurch bis in einigen Jahren erspart bleibt, hält der Kommissar dennoch für unwahrscheinlich. Dennoch: „Eine sinnvolle Unterstützung kann eine KI durchaus sein.“

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