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Corona bedroht die Kulturszene

Karlsruher Kulturschaffende warnen mit Fotoaktion: „Ohne uns wird's still’’

Meistens arbeiten sie hinter den Kulissen, aber die Coronakrise treibt sie an die Öffentlichkeit: Karlsruher Kulturschaffende zeigen Gesicht und warnen vor den Folgen eines Branchensterbens.

Sechs Motive aus dem ersten Fotoshooting zur Internet-Initiative „Kulturgesichter0721“ im Oktober 2020
Ohne sie wird’s still: Die Internet-Initiative „Kulturgesichter0721“ rückt Menschen in den Blickpunkt, die das Karlsruher Kulturleben vor und hinter den Kulissen am Laufen halten. Foto: Kulturgesichter0721/Niklas Braun

Die Angaben sind kurz und prägnant: „Felicitas, Mezzosopranistin, seit 10 Jahren in der Branche“ steht etwa unter dem Foto einer Frau mit dunklen Locken. „Greg, Veranstaltungstechniker, seit 21 Jahren in der Branche“ unter dem Bild eines Mannes mit Bart. Und „Stefan, Schlagzeuger, seit 18 Jahren in der Branche“ unter dem eines Mannes im schlichten Polohemd. So unterschiedlich die Personen, Tätigkeiten und Berufsbiografien sind, eins vereint diese Drei und alle anderen Teilnehmer der Aktion „Kulturgesichter0721“: Sie sind in der Kultur- und Veranstaltungsbranche tätig und können ihre Arbeit aufgrund der Corona-Einschränkungen nun schon seit Monaten kaum oder gar nicht ausüben.

Arbeit läuft meist im Hintergrund

„Die im Dunkeln sieht man nicht“ – wenn man dieses Zitat aus Brechts „Dreigroschenoper“ nicht als Sinnbild für dunkle Machenschaften versteht, sondern wörtlich nimmt, dann gilt es auch für sehr viele Leistungsträger im Kultur- und Kreativbereich. „Nehmen wir mal das Open-Air ‚Das Fest‘“, sagt Niklas Braun, Musiker und Mitkoordinator der Aktion. „Da machen viele Leute in unauffälligem Schwarz den Auf- und Abbau und sind dann ganz schnell wieder verschwunden, wenn die Künstler loslegen.“

Die Resonanz hat auch uns überrascht.
Niklas Braun, Musiker und Eventtechniker

Dieses dezente Wirken im Hintergrund ändert sich nun durch die Aktion, mit der sich Karlsruhe an ein bundesweit wachsendes Netz anschließt. „Zum ersten Mal davon gehört habe ich von Kollegen aus Bremen“, sagt Sascha Kauert. Dann tauchten ähnliche Aktionen im Süden auf, etwa in Mannheim und Stuttgart. Auch der von Kauert initiierte Karlsruher Ableger hat schnell Fahrt aufgenommen: „Sascha und ich sind ganz gut vernetzt“, sagt Niklas Braun. „Aber die Resonanz hat auch uns überrascht.“ Nur knapp eine Woche, nachdem die Idee gefasst und in der Szene kommuniziert war, sind bei zwei Fotoshootings bereits knapp 80 Porträts für die Homepage www.kulturgesichter0721.de und den Auftritt in sozialen Medien entstanden. Und die Zahl dürfte mit weiteren Fototerminen bald noch ansteigen.

Der Ablauf ist recht simpel: „Wir machen von jedem zwei bis drei Bilder und versehen das ausgewählte Motiv sofort mit Namen, Beruf und Dauer der Tätigkeit“, so Braun. Spendenaufrufe, Statements oder politische Forderungen gebe es in der Aktion nicht: „Das Ziel ist, unsere Situation überhaupt sichtbar zu machen.“

Folgen für den gesamten Kulturbetrieb

Dies habe auch für die Beteiligten verbindende Wirkung, erklärt Kauert. „Als Rockmusiker habe ich zwar regelmäßig mit Tontechnikern und Beleuchtern zu tun, aber Leute aus der klassischen Musik oder Schauspieler kannte ich bisher kaum. Das ändert sich gerade.“ Auch er betont: „Es geht hier nicht darum, um Geld zu betteln, sondern darum, konkret zu zeigen, welche Menschen am Kulturleben in einer Stadt mitwirken und nun von der Krise betroffen sind.“

Langfristig habe dies nicht nur Folgen für die Betroffenen selbst, sondern für den gesamten Kulturbetrieb, erklärt Braun. „Viele, vor allem die Jüngeren, denken darüber nach, die Branche zu wechseln. Sind die aber erst mal weg, dann fehlen viele Fachkräfte, wenn Veranstaltungen irgendwann wieder möglich sind.“ Auf den Punkt gebracht wird das Problem im Motto der Aktion, das auch als Hashtag in sozialen Medien eingesetzt wird: „Ohne uns wird’s still.“

Corona hat mein Leben komplett auf links gekrempelt.
Sascha Kauert, Sänger und Eventmacher

Das Schlimmste sei für viele derzeit die Perspektivlosigkeit, unterstreicht Kauert. „Man weiß ja überhaupt nicht, wann man wieder loslegen könnte. Corona hat mein Leben komplett auf links gekrempelt.“ Er sei froh, sich durch eine Teilzeit-Anstellung bei einer Technikfirma über Wasser halten zu können. Aber die Begegnung als Musiker mit dem Publikum fehle ihm „massiv“ und sei durch Internetstreamings nicht zu ersetzen. Braun verweist auf die psychische Komponente bei Künstlern und Veranstaltungspersonal: „Das Gefühl, nicht gebraucht zu werden, kann fatale Folgen haben.“

Keine Forderungen, aber eine Hoffnung

Dieser Entwicklung will sich die Aktion „Kulturgesichter“ nun entgegenstellen. Und ihre Koordinatoren erheben zwar keine Forderungen, äußern aber eine Hoffnung: „Wir wollen zeigen, dass wir alle unsere Jobs mit Leidenschaft machen und auch weiterhin machen wollen. Aber dafür braucht die Branche bundesweit Klarheit in den Regeln und eine Perspektive. Wenn es gelingt, darüber mit der Politik ins Gespräch zu kommen, wäre das ein wichtiges Signal.“

Im Internet

Infos zur Aktion unter www.kulturgesichter0721.de

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