Die erste Schale bricht um 16.29 Uhr. Es ist zunächst nur der Schnabel, der aus dem harten Mantel des Hühnereis hervorlugt. Dann streckt das Küken seine jungen Glieder. Mit erstaunlicher Kraft drückt es sich aus dem geborstenen Ei frei. Als wüsste es, dass sein erster großer Auftritt genau beobachtet wird – von einer Webcam. Das digitale Auge hängt in der Ecke eines Brutautomats und hat noch die 15 anderen Eier im Blick, die mit dem „frühen Vogel“ ausgebrütet werden. Theoretisch hätte die ganze Welt zuschauen können, wie in Linkenheim-Hochstetten in einem Wohnzimmer Brahma-Hühner zu Welt kommen.
Marcel Grams und seine Ehefrau Stefanie sind beide im Kleintierzuchtverein (KTZV) Linkenheim, er als Präsident, sie als Jugendbeauftragte. Es ist das zweite Mal nach 2020, dass sie die Geburt der Küken weltweit streamen, so der englische Fachausdruck. Das heißt, sie haben zwei Kameras installiert, die über eine Leitung ins Internet verbunden sind.
Das Bildsignal wird live ausgespielt, an jeden, der auf der Homepage des KTZV die Seite mit dem Videolink anklickt. Marcel Grams ist IT-Spezialist. Jede Menge PC-Kabel liegen um den Brutautomaten und der darunterliegenden Box, dem „Kükenheim“, in der die Tiere die ersten Tage nach dem Schlüpfen verbringen.
Sie schlüpfen alle mehr oder weniger zur selben Zeit.Marcel Grams, Präsident Kleintierzuchtverein Linkenheim
Insgesamt 16 Eier lagen die vergangenen Tage bei ziemlich genau 37,8 Grad im Brutautomaten – aber lange nicht still. „Das Gerät wendet ab dem dritten Tag die Eier regelmäßig leicht“, so der Züchter Grams. Simuliert werde damit die Bewegungen, die auch eine Glucke bei ihrem Gelegen vollführt.
Umzug ins Kükenheim hat stattgefunden
Etwa 20 oder 21 Tage dauert es, bis die Küken mit all ihrer Kraft die Schale durchstoßen. Und dann geht es flott. „Sie schlüpfen alle beinahe mehr oder weniger zur selben Zeit“, schildert Grams. Auch auf der Webcam ist es gut zu erkennen. Während sich um 16.29 Uhr das erste Tier noch ausruht und das feuchte Gefieder im warmen Luftstrom des sogenannten Motorbrüters trocknet, bewegt sich wenige Zentimeter weiter schon das nächste Ei. Es vergehen keine fünf Minuten und das zweite Tier ruht sich in der zerbrochenen Schale aus.
Wer per Webcam zuschaut, bekommt alles live mit. Der kleine Sohn von Marcel und Stefanie Grams lehnt an das Glas. Man sieht seine Händchen. Wenige Augenblicke später kommt noch die Katze hinzu, die mit großem Interesse das Federvieh im Brüter beobachtet. An jenem Tag haben aber noch andere zugesehen.
Wie viele waren es denn? „Das kann ich gerade nicht sagen, es gibt aber schon ein paar Menschen, denen wir den Link zum Stream gegeben haben“, sagt Grams. Familien, Freunde, Vereinsmitglieder und Arbeitskollegen wissen davon. Vor allem aber sind es die Kinder, die von der Live-Übertragung profitieren sollen, sagt Stefanie Grams.
„Das Kinderhaus Vogelnest, die zweite Klasse der Grund- und Werkrealschule Linkenheim-Hochstetten und die vierte Klasse der Adolf-Kußmaul-Schule kennen auch die Links und schauten hin und wieder während des Unterrichts zu“, so Stefanie. Schon 2017 war Grams mit einem der stattlichen Brahmahühner in einer Klasse in Linkenheim, um die Kinder mit den Tieren vertrauter zu machen. Corona führte dann 2020 zur Premiere der Internet-Liveübertragung.
Auch wenn die Küken jetzt geschlüpft sind, das Gefieder schon lange trocken ist, läuft der Stream noch. Die nun insgesamt 14 Tiere sind umgezogen in einen etwas größeren Käfig, das Kükenheim. „Dort verbringen sie die nächsten zwei bis drei Wochen“, sagt Marcel Grams. Solange wird der Stream noch aktiv sein und jeder, der möchte, kann sich den kleinen Brahma-Nachwuchs genau ansehen. Erst dann geht es in einen richtigen Stall.