
Der Deutsche Chorverband rief die zweite September-Woche, in Baden-Württemberg gleichzeitig der Neustart nach der Sommerpause, zur „Woche der offenen Chöre“ aus. Ziel der Aktion war es, „Chöre und Sing-Interessierte zusammenzubringen“, wie der Verband mitteilte. Viele Gesangvereine und Chorformationen im nördlichen Landkreis Karlsruhe beteiligten sich daran und luden Neueinsteiger zu offenen Proben ein. Wenngleich die ganz große Resonanz ausblieb, blüht das Chorleben in der Region weiterhin auch bei geringeren Mitgliederzahlen als in früheren Zeiten.
Fünf Interessierte kommen zum Sängerbund
Der Sängerbund Blankenloch machte vor allem über das Internet und das Mitteilungsblatt auf die Aktion aufmerksam. Ein Mann und vier Frauen folgten dem Ruf und besuchten die Probe der Gruppe Sing & Joy. „Man hatte den Eindruck, dass sie wiederkommen“, sagt Gerhard Barth von der Vereinsverwaltung optimistisch.
Die Formation, die sich eher der Popularmusik widmet, verzeichnete schon vorher Zuwachs und zählt mittlerweile rund 30 Aktive, in der Regel zwischen 30 und 40 Jahren. Außerdem gibt es im Verein noch einen gemischten Chor, der bei einem älteren Stamm die gleiche Anzahl aufweist. Trotz der schwierigen Situation durch verschiedene Wechsel in der musikalischen Leitung konnte der Mitgliederstand auf einem konstanten Niveau gehalten werden, so Barth weiter.
Auch der Blankenlocher Bruderverein Concordia lud mit bundeseinheitlichen Flyern zur offenen Probe ein. Während es bei den Männern keine Reaktion gab, konnte der Frauenchor immerhin drei interessierte Gäste begrüßen. Vorsitzender Mario Linder war begeistert gewesen von der Idee des Verbands und zeigte sich dennoch positiv überrascht von dem Ergebnis. „Man rechnet ja nicht damit, dass sie einem das Haus einrennen“, meinte er.
Die einstige Männerdomäne wird zunehmend von Frauen geprägt
Als neuartiges Phänomen erkennt er, dass der Chorgesang, früher eine reine Männerdomäne, zunehmend von Frauen geprägt wird. Eine Erklärung dafür hat er nicht. Als Grund für die hohe Altersstruktur vermutet er, dass heute viele Sangesfreudige die regelmäßige Probenarbeit scheuen und sich eher für Projekte gewinnen lassen. Im Übrigen geht der Blick voraus: Nächstes Jahr sind zum 140-jährigen Bestehen eine musikalische Matinee und ein Konzert geplant.
Die „Woche der offenen Chöre“ unter dem Motto „Ab in den Chor“ verlief für die Verantwortlichen des Gesangvereins Eintracht Spöck enttäuschend. „Doch den Kopf in den Sand stecken kommt für uns nicht infrage“, sagt Vorsitzender Wolfgang Lautenschläger. Um seinen Bekanntheitsgrad zu erweitern und neue Mitglieder zu gewinnen, ist der Verein inzwischen auf vielen Social-Media-Kanälen präsent.
Schlager am Lagerfeuer
Bis weit in das Jahr 2024 sind schon zahlreiche Events für alle Altersgruppen geplant. Einige davon sind vorwiegend auf die jüngere Generation ausgerichtet. Als Beispiel nennt Lautenschläger die Chor-Karaoke vor dem Sängerheim, bei der am Lagerfeuer Schlager, Hits und bekannte Popsongs gesungen werden.
„Ich finde es gut, dass der Verband das in die Hand genommen und einheitliche Werbung gemacht hat“, sagt Klaus Wilhelm vom Liederkranz Neudorf über die Chorwoche. Dabei überraschte es ihn wenig, dass beim Männerchor außer einem Ehemaligen, der die Gelegenheit zum Wiedereinstieg nutzte, nur ein neuer Sänger dazu stieß, der überdies vorher von einem Mitglied angesprochen wurde. Wilhelm ist ohnehin davon überzeugt, dass man ohne persönliche Ansprache niemanden bewegen könne. Auf diese Weise gab es in diesem Jahr bereits vier Neuzugänge. Mittlerweile weist der Chor etwa 50 Sängern auf. Das Alter der Aktiven bewegt sich zwischen 21 und 89 Jahren.
Ein Highlight in jüngster Zeit war für den Verein das Landesmusikfestival in Bruchsal, für das man einige moderne Rock- und Pop-Klassiker von den Prinzen, Metallica oder Herbert Grönemeyer einstudierte. Beim nächsten Auftritt greift man dann wieder auf anspruchsvolle A-cappella-Literatur zurück, beispielsweise ein estnisches Tanzlied in der Originalsprache.
Zwei Vereine werden 150 Jahre alt
Die beiden Gesangvereine in Dettenheim befinden sich gerade mitten in den Vorbereitungen der Feierlichkeiten zu ihrem jeweils 150-jährigen Bestehen und konnten deshalb nicht an der „Woche der offenen Chöre“ teilnehmen. Die Sängervereinigung Liedolsheim musste mittlerweile wegen des kurzfristigen Ausfalls des Chorleiters das für Oktober geplante Konzert absagen, teilt Vorsitzender Wolfgang Roth mit. Männerchor und gemischter Chor seien bei nahezu unveränderter Mitgliederzahl einigermaßen gut bestückt.
Lothar Nees, Vorsitzender des Gesangvereins Rußheim, beklagt, dass man keine Jugend mehr für den Chorgesang begeistern könne. Selbst der Kinderchor, den man bis 2016 in Kooperation mit der Grundschule führte, brachte nicht die erhoffte Wirkung. Allenfalls neu Zugezogene mit Chorerfahrung verstärkten gelegentlich den gemischten Chor. Nach der Festmatinee wird für das Adventskonzert am 3. Dezember in der Kirche, das das Jubiläumsjahr beschließt, um Projektsänger geworben. Große Erfolge feierte der Verein mit dem 1991 gegründeten Frauenchor, der im vorigen Jahr beim badischen Chorwettbewerb zum dritten Mal den Titel eines Konzertchors errang.