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Viele Lehrstellen unbesetzt

Azubis im Landkreis Karlsruhe verzweifelt gesucht

Viele Betriebe in der Region plagen Nachwuchssorgen, Ausbildungsstellen bleiben unbesetzt. Dies bestätigen die Gewerbevereine in der Region. Vor allem Handwerksbetriebe beklagen die Situation – und versuchen, mit kreativen Ideen gegenzusteuern.

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GOLDENE ZUKUNFT: 564 offene Lehrstellen meldet die IHK Karlsruhe im aktuellen Ausbildungsjahr. Viele Handwerksbetriebe im Landkreis suchen händeringend Nachwuchs. Aber auch in Handel und Pflege sind viele Stellen offen. Foto: Neumann/dpa

564 offene Lehrstellen in 67 Berufen, das hatte die Industrie- und Handelskammer (IHK) Karlsruhe für das aktuelle Ausbildungsjahr gemeldet. Im vergangenen Jahr waren zum gleichen Zeitpunkt nur 266 Stellen unbesetzt. Vor allem das Handwerk sei betroffen, bei Dienstleistungsunternehmen sehe es noch einigermaßen gut aus, bestätigt Steffen Hauswirth, Vorsitzender des Gewerbevereins Pfinztal. Dort gebe es daher eine Kooperation mit der Schule. Schüler, die Interesse für bestimmte Berufsbilder zeigen, sollen von Lehrern gezielt zu Praktika vermittelt werden, erzählt Hauswirth.

Azubi-Werbung via Facebook

Offene Ausbildungsstellen sind auch in Graben-Neudorf ein Thema „Wir können es noch nicht quantifizieren“, sagt Andreas Heilig, Vorsitzender des dortigen Gewerbevereins. „Wir haben erst im Frühjahr eine Umfrage unter unseren Mitgliedern gemacht. Es hat sich herausgestellt, dass das eine der Hauptsorgen der Unternehmen ist.“

In Graben-Neudorf steuere man mit einer Arbeitsgemeinschaft an der Pestalozzi-Gemeinschaftsschule entgegen, mit der Begeisterung fürs Handwerk geweckt werden soll. Heilig räumt aber auch ein: „Große Arbeitgeber schöpfen da eher aus dem Vollen.“ Sie seien eher bekannt und gefragt. In seinem Unternehmen Heka Fenster und Türen setze er unter anderem auf Social Media wie Facebook, um Mitarbeiterwerbung zu betreiben. „Dafür haben wir Profis, die das betreuen“, so Heilig. Aber: „Je kleiner der Betrieb ist, desto schwieriger wird das natürlich.“

Eigene Ausbildungsmesse

Zusammen mit der Wirtschaftsförderung der Großen Kreisstadt Stutensee hat der Verein der Aktiven Selbstständigen Stutensee (ASS) eine Ausbildungsplattform gegründet. Mit Erfolg, wie ASS-Vorsitzender Bertram Hornung unterstreicht. Am 21. September gebe es wieder eine Ausbildungsmesse, und zwar auf dem Festplatz in Blankenloch, die Festhalle sei zu klein geworden. „Da haben wir praktisch regelmäßig Überbuchungen und machen inzwischen Termine für Schulklassen aus“, so Hornung.

Für die Unternehmen sei da bereits „einiges herumgekommen“, sagt er. Gleichwohl gebe es auch in und um Stutensee viele offene Ausbildungsstellen – auch im Einzelhandel. Hatte die IHK gemeldet, der Einzelhandel liege bei jungen Leuten im Trend, stelle man „auf dem Land“ rasch fest, dass es auch passen müsse. Hornung: „Da mangelt es auch teilweise an den Voraussetzungen.“ Sein eigenes Unternehmen, Hornung Baustoff-Fachhandel, bildet regelmäßig in fünf Berufsfeldern aus, vom Lageristen bis zum Einzelhandelskaufmann.

Lehrer empfehlen Schüler

Beim Handwerker und Gewerbeverein Eggenstein-Leopoldshafen sagt dessen Vorsitzender Gerold Köhler über die Mitgliedsbetriebe: „Was ich so höre, sind alle auf der Suche.“ Die Anforderungen an die Auszubildenden stiegen, die Bewerber seien dagegen kaum noch in der Lage, die Berufsschule zu schaffen. Köhler macht aus einer gewissen Resignation keinen Hehl: Immer wieder hätten sich die Mitgliedsbetriebe in Schulen vorgestellt, „die Resonanz war aber so miserabel, dass wir das praktisch aufgegeben haben.“ Besser laufe es mit einer Lehrlingsinitiative bei der örtlichen Leistungsschau, so Köhler.

Jürgen Hill vom Gewerbeverein Weingarten wirbt: „Im Handwerk kann man sich eine goldene Nase verdienen“. Mit dem Satz versucht er, jungen Leuten Mut zu einem Ausbildungsberuf zu machen. Seines Wissens seien auch in Weingarten noch Stellen frei, insbesondere im Handwerk. Aber: „So richtig schaffen will wohl keiner“, formuliert es Hill desillusioniert. Für kleine Unternehmen sieht er da ein doppeltes Dilemma: Zum einen mangele es zunehmend an Nachwuchs, zum anderen stiegen die bürokratischen Hürden, gerade für Unternehmensgründer.

Speed Dating geplant

Dem Azubi-Mangel steuere man in Weingarten unter anderem mit einer Kooperation mit der Schule entgegen. Ein Speed Dating für Ausbildungsbetriebe und junge Leute sei bislang nicht zustande gekommen, aber: „Es ist vielleicht aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn“, sagt Hill. Für kommendes Frühjahr, so sagt er, werde man wieder einen Anlauf nehmen, eine solche Plattform in Weingarten zu organisieren.

Arbeitsagentur als Partner

Wenn Handwerk und Handel so klagen, wie sieht es dann in einem Berufsfeld aus, dem ebenfalls enorme Zukunftssicherheit nachgesagt wird – der Pflege? „Bei uns sind auch nicht alle Stellen besetzt“, sagt Thomas Richter, Leiter des AWO-Seniorenzentrums Rheinaue in Graben-Neudorf, einem der großen Ausbildungsbetriebe.

Von 20 Plätzen seien zwei nicht besetzt, so Richter, der einräumt: „Das ist Klagen auf hohem Niveau.“ Vor allem im Bereich der dreijährigen Altenpflegerausbildung stelle er einen Nachfragerückgang fest. Hilfe gibt es vom Amt: „Die Arbeitsagenturen fördern Leute, die schon länger keinen Beruf finden. Darüber sind wir sehr froh, weil Ältere sich in dem Beruf leichter tun.“ Generell solle sich die Pflege öffnen für Leute, die sich mit der Berufswahl schwer tun, so Richter.

Kommentar: Stoff für Romane Schuster sind arm, Bäcker haben barbarische Arbeitszeiten, und auf dem Bau steht man bei Wind und Wetter auf der Leiter. Schreiner, Klempner, Klimatechniker? Frisör und Lagerist? Mechatroniker und Einzelhändler? Zu jedem Beruf gibt es Vorurteile. Dann doch lieber gleich studieren und „was Gescheites“ machen. – Doch Vorsicht! Das ist ein Trugschluss, ein weiteres Vorurteil. Denn: Was macht die Welt mit all den Germanisten, Historikern, Geologen? Ganz abgesehen von jenem (nicht gerade kleinen) Teil der Jugendlichen am anderen Ende der Skala, bei denen es eben nicht zur höheren Schulweihe reicht?

Dabei müsste es eigentlich ganz einfach sein. Mit einer gesunden Portion Engagement und Hirnschmalz können so viele junge Leute rasant im Handwerk Karriere machen. Eine Diskussion um Aufstiegschancen gibt es gar nicht – es geht automatisch aufwärts für denjenigen, der „die Hosen wackeln lässt“. Denn nicht nur, dass die Auftragsbücher voll sind und einigermaßen befähigte Azubis begehrt wie nie, nein, die Azubis werden auch gebraucht, um die Nachfolge gerade bei kleineren Betrieben zu regeln. Kurz: Wer sich heute für eine Ausbildung entscheidet, kommt in ein gemachtes Nest.

Dem gegenüber steht aber auch, dass viele Interessenten nicht die nötige Qualifikation mitbringen. Zum Schreinern kommen Jugendliche, die beim „rechten Winkel“ an Politik denken. Spätestens in der Berufsschule wird es bei solchen Vorkenntnissen schwer. Und da kommt noch ein weiteres Dilemma. Der kleine Handwerker, der einen Azubi fit macht, also nicht unerheblich Zeit und Aufwand investiert, steht oft genug blöd da: Wenn die Ausbildung geschafft, der junge Mensch zum Gesellen gereift ist und dereinst mal die Nachfolge antreten kann, macht sich eben dieser junge Mensch auf zum nächstgrößeren Betrieb. Der Kohle wegen. Und es gibt Dienstautos.

Aus dem Stoff werden Romane gemacht. Die können übrigens spielend von hundert Germanisten analysiert werden.

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