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Psychischer Krankheitserreger

Corona-Krise kann psychische Erkrankungen verstärken

Das Kontaktverbot soll die Ausbreitung von Covid-19 verhindern und die Gesundheit schützen. Doch die Folgen von Isolation und Zukunftsangst halten Psychotherapeuten aus dem Landkreis Karlsruhe für psychische Krankheitserreger.

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Die psychischen Folgen der Corona-Krise sind nicht zu unterschätzen. Was sich jetzt nur wenig bemerkbar macht, könnte Psychotherapeuten später vor einen Berg von Arbeit stellen. Foto: dpa

Mit dem Kontaktverbot will man die Krankheit schlagen. Doch die angesichts der Covid-19-Pandemie verordnete Isolation schlägt auch aufs Gemüt. Therapeuten und psychiatrische Fachkräfte aus der Region erklären, warum nicht nur psychisch Kranke betroffen sind und wie Therapie auch ohne persönlichen Kontakt stattfinden kann.

Die psychosoziale Hotline, die die Stadt Karlsruhe im Zuge der Corona-Krise anbietet, läuft nicht heiß, sagt die Leiterin der städtischen Beratungsstellen Cordula Sailer. Nur drei bis sechs Anrufe sind es pro Tag. Das könnte ein gutes Zeichen sein: „Es spricht dafür, dass das bestehende Hilfesystem betroffene Menschen gut auffängt“, sagt Sailer. Sie glaubt: „Die psychisch stabilen Menschen in existenziellen Nöten telefonieren eher mit der Bank als mit uns.“ Aber was ist mit denjenigen, in therapeutischer Behandlung sind?

Existenzängste wiegen schwer

„Menschen, die nicht unmittelbar in ihrer Existenz bedroht sind, können deutlich entspannter mit der Krise umgehen“, beschreibt die Stutenseer Psychotherapeutin Farina Morawietz ihre Erfahrungen. „Bei manchen Menschen in Kurzarbeit oder auf Jobsuche hat Corona die Existenzängste aber so massiv getriggert, dass der therapeutische Fortschritt stagniert ist.“

Diese Verunsicherung wird bei vielen noch länger nachwirken.
Monika Hildenbrand, Ärztliche Psychotherapeutin in Pfinztal

Aufgrund der Corona-Krise haben die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband die Begrenzung von 20 Prozent Telemedizin aufgehoben. Monika Hildenbrand aus Pfinztal verzichtet dennoch darauf. „Wir takten Termine so, dass sich die Patienten möglichst nicht begegnen.“

Falls doch sei das Wartezimmer groß genug, um auch dort den nötigen Abstand einzuhalten. Oberflächen werden desinfiziert und Patienten gebeten, sich die Hände zu waschen. „Corona hat die Leute in ihrem täglich Verhalten verunsichert“, ist sie überzeugt. „Diese Verunsicherung wird bei vielen noch länger nachwirken.“

Therapeutin erwartet Spätfolgen

Farina Morawietz behandelt etwa ein Drittel ihrer Klienten per Videoschaltung, seltener auch mal per Telefon. Davon profitierten gerade ältere Personen, die nicht mehr die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen wollen. Wie viele ihrer Kollegen glaubt sie aber, dass der persönliche Kontakt nicht ersetzbar ist.

Viele psychische Störungen entstünden durch einen Mangel an sozialem Kontakt. Mit Blick auf die derzeitige Verlagerung der Kommunikation ins Digitale und die vielen Alleinstehenden, die ihre sozialen Bedürfnisse oftmals nicht artikulierten, rechnet sie damit, dass die Folgen der Pandemie erst später sichtbar werden.

Die vielen Nachrichten über die Krise füttern die Zukunftsängste, und für Menschen mit Gesundheitsängsten ist es besonders verheerend.
Gabriele Braun, Psychotherapeutin in Weingarten

„Die Leute sind schon viel bedürftiger“, meint Gabriele Braun, Psychotherapeutin in Weingarten. „Bei jedem dockt die Krise dort an, wo es am schlimmsten ist. Jemand, der auf Depressionen mit sozialem Rückzug reagiert, fühlt sich noch einsamer, jemand mit sozialen Ängsten traut sich noch weniger unter Menschen. Die vielen Nachrichten über die Krise füttern die Zukunftsängste, und für Menschen mit Gesundheitsängsten ist es besonders verheerend“.

Manche gehen gestärkt aus der Krise hervor

Dieter Müller, ebenfalls in Psychotherapeut in Weingarten, zeigt sich dagegen erstaunt, wie viele seiner Kunden überraschend gefasst auf die Krise reagieren. „Es ist aber kein ungewöhnliches Phänomen, dass manche in Krisenzeiten eher stärker als schwächer werden“, sagt der Therapeut.

Wie es um die psychisch schwer Erkrankten steht, erklärt Anja Jäckle, Fachbereichsleiterin Sozialpsychiatrie des Diakonischen Werks in Bretten. „Eine psychische Erkrankung hat nichts mit einer vorübergehenden Lebenskrise zu tun, die womöglich durch die Folgen der Corona-Pandemie hervorgerufen wird“, stellt Jäckle klar. Dennoch gehe mit der Isolation häufig eine gravierende Verschlechterung der psychischen Verfassung einher.

Das Gefühl, weiterhin gesehen und wahrgenommen zu werden, ist die Brücke zur Welt.
Anja Jäckle, Fachbereichsleiterin Sozialpsychiatrie des Diakonischen Werks in Bretten

Mit dem Kontaktverbot sind alle Gruppenangebote des Diakonischen Werks weggefallen. „Wir haben zu allen Tagesstätten und Gruppenbesuchern Kontakt aufgenommen und unterstützen die Menschen darin sich über Telefon und Smartphone untereinander zu vernetzen. Dazu bieten wir offene Telefonsprechzeiten an“, erklärt Jäckle. „Das Gefühl, weiterhin gesehen und wahrgenommen zu werden, ist die Brücke zur Welt“, berichtet die Fachbereichsleiterin. Um auch den künftigen Herausforderungen der Corona-Krise gerecht werden zu können, soll das Beratungsangebot neu ausgerichtet werden, um die Menschen im Landkreis direkt unterstützen zu können.

„Die alternativen Kontaktmöglichkeiten funktionieren zumindest im Moment noch. Es ist jedoch wahrnehmbar, dass einige Menschen aktuell erheblich unter Duck kommen“, sagt Jäckle. Die Frage sei, wie lange das Kontaktverbot noch aufrechterhalten wird.

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