Blick in die Historie: Zeitzeugen aus Weingarten und Walzbachtal berichten vom Hochwasser
In Gummistiefeln rennt Iris Eßwein im Sommer 1969 die Hauptstraße in Jöhlingen entlang. Das Wasser reicht der 13-Jährigen bis zum Knie. Sie sucht ihren Vater – der ist beim Unwetter auf den Feldern unterwegs.
Eßwein erinnert sich noch gut. Das Unwetter überrascht Einwohner und Feuerwehr. Über die Hauptstraße und die Waldstraße läuft das Wasser bis zu einem Waldstück – das nennen die Einheimischen „Sauwald“.
Unzählige Keller werden geflutet. „Ich sehe noch genau vor mir, wie die Fässer in den Kellern geschwommen sind“, sagt die heute 65-Jährige.
Jöhlinger Zeitzeugin fürchtet nach Hochwasser um ihren Vater
Sie spricht von den Most- und Weinfässern, die in dieser Zeit häufig noch in den Untergeschossen der Häuser lagern. An den Dohlen bildet das Hochwasser Strudel. Feuerwehrleute pumpen es stundenlang aus der Straße und den Kellern.
Ich hatte Angst, dass ihm was passiert ist, weil er nicht heimkam.Iris Eßwein aus Walzbachtal
Eßwein sucht indessen ihren Vater, der auf dem Weinberg arbeitet. „Ich hatte Angst, dass ihm was passiert ist, weil er nicht heimkam“, sagt sie. Vom Sauwald läuft sie über die Hügel zurück in den Ort.
Den Vater findet sie jedoch nicht, ihn trifft sie erst zu Hause wieder. Sie ist froh, dass es ihm gut geht. „Wir haben uns verpasst“, sagt Eßwein. Denn: Ihr Vater wartete das Unwetter auf dem Weinberg ab und fuhr dann über die Hügel zurück zum Familienhaus.
1995 wird Neubaugebiet in Walzbachtal überschwemmt
Knapp 26 Jahre später flutet Hochwasser erneut die Waldstraße in Jöhlingen. Auch das Neubaugebiet „Auf dem Daubmann“ steht 1995 vollständig unter Wasser. Die Gemeinde wirft dem zuständigen Ingenieurbüro Fehlplanung vor.
Die Ingenieure weisen die Kritik zurück. Sie erklären, dass die Wassermenge zu groß gewesen sei. Den Rückstau in der Kanalisation habe niemand verhindern können. Nach dem Hochwasser bleiben Unmengen von Schlamm aus dem Walzbach auf den Straßen zurück.
Drei Menschen sterben bei Jahrhundertflut in Weingarten
In Weingarten erinnert eine Einkerbung am Haus der Bachstraße 5 an eines der schlimmsten Hochwasser aller Zeiten – darum wird es auch „Groswasser“ genannt: Im Mai 1746 tritt der Walzbach über die Ufer.
In der Bachstraße steht das Wasser 1,55 Meter hoch. Drei Menschen sterben und drei Häuser werden komplett zerstört. An der Marktbrücke in Walzbachtal erreicht das Wasser sogar die 1,75-Meter-Marke.
Mehr als zwei Jahrhunderte später sorgen starke Regenfälle im Mai 1996 zwischen Weingarten und Walzbachtal für ein Verkehrschaos. Die Bundesstraße 293 wird überschwemmt. Die Durchfahrt ist stundenlang blockiert. Zudem laufen zahlreiche Keller voll.
Weingartener wächst mit Hochwasser auf
Für Gerhard Holzmüller aus Weingarten ist das Hochwasser im Jahr 1996 nur ein Fall von vielen. Der 70-Jährige wächst mit den Überschwemmungen auf.
Die Straßen waren fast jedes Jahr überschwemmt.Gerhard Holzmüller aus Weingarten
„Die Straßen waren fast jedes Jahr überschwemmt“, sagt er. Als Kind wohnt er mit seinen Eltern an der Bahnhofstraße – dort tritt der Bach vor 1960 regelmäßig über die Ufer. Den Jungen faszinieren die Wassermassen. Mit Freunden steht Holzmüller auf der Brücke in der Luisenstraße und beobachtet die Fluten. „Wir haben heruntergeschaut und Steine ins Wasser geworfen.“
Angst hat er nicht. „Wir sind ja damit aufgewachsen“, sagt er. Seine Familie stellt sich auf die Fluten ein. Im Keller lagert sie nur wertlose Gegenstände und Fässer, die abgedichtet sind. Unwetter-Warnungen habe es trotz Radio noch nicht gegeben, erzählt Holzmüller.
Gemeinde Weingarten baut Rückhaltebecken
1960 zieht die Familie in Weingarten um. Im selben Jahr deckt die Gemeinde den Walzbach im Ortskern zu. Der Bach wird unterirdisch in der Nähe der alten Brücke umgeleitet. In Wössingen wird er schon im Jahr 1956 verdolt.
Etwa 17 Jahre später baut Weingarten zudem am Ortsausgang in Richtung Walzbachtal das Rückhaltebecken „Schlossbergsee“. Die Staumauer ist etwa zehn Meter hoch. In das Becken wird Wasser aus dem Walzbach abgeleitet, damit er nicht über die Ufer tritt.
Dadurch habe sich die Lage wesentlich verbessert, sagt Holzmüller. Überschwemmungen seien seltener. Laut Experten könnte sich das aber wieder ändern. Schuld ist der Klimawandel. Die Flutkatastrophe des vorigen Jahres ist ein Beispiel, das diese Prognose bestätigt.